Kunsthaus Bregenz: Als die Liebe auf den Markt trat
Nichts lässt sich besser kommerziell verwerten als romantische Gefühle. Wie tief die Verstrickung der beiden Sphären tatsächlich ist, lässt eine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz erahnen.
Die Ahnengalerie, die die Bregenzer Ausstellung «Liebe ist kälter als das Kapital» anruft, ist prominent und radikal. René Pollesch, das etablierte Enfant terrible der aktuellen Theaterszene, steht dabei an erster Stelle. Von ihm, der in seinen Stücken kapitalismuskritische Theorie und Slapstick wild durcheinanderwirbelt, ist der Ausstellungstitel direkt entlehnt. Pollesch wiederum bezieht sich auf Rainer Werner Fassbinder, der in seinem ersten Langspielfilm, «Liebe ist kälter als der Tod» (1969), in seiner unerbittlichen Art das Dreiecksverhältnis zwischen Liebe, Geld und Gewalt sezierte. Als weitere Kronzeugin tritt die israelische Soziologin Eva Illouz auf den Plan, die sich auf die Frage konzentriert, wie der Kapitalismus unsere Gefühlswelt beeinflusst (ein Ausschnitt aus ihrer Untersuchung «Der Konsum der Romantik» ist im Katalog publiziert). Die Romantik wird vermarktet und die Waren romantisiert, lautet – passend zum Valentinstag – ihre Kurzformel.
Verkunstet und verkopft
Mit der Radikalität dieser Referenzfiguren kann es die aktuelle Ausstellung nicht wirklich aufnehmen. Zwar illustriert ein Werk des 1990 an Aids verstorbenen US-Amerikaners Keith Haring auf der Einladungskarte – zwei riesige Hände, die nach einem roten Herzen greifen – prägnant, aber doch etwas harmlos das einschlägige Thema. Doch die Mehrzahl der Ausstellungsbeiträge erweist sich als zu «verkunstet» und verkopft, als dass sie dem Gegenstand wirklich gerecht würden. So drapiert etwa die deutsche Künstlerin Isa Genzken (64) in ihrem Ensemble «Wind» (2009) Stoffe in barocker Manier auf hohen Pfeilerskulpturen; dazwischen prangen vereinzelte Bildchen aus dem Fundus der Unterhaltungsindustrie. Es braucht mehr als guten Willen, um aus dieser trashigen Materialschlacht einen konsumkritischen Gestus herauszuschälen. Treffsicher bringt Genzken hingegen in ihrem zweiten Beitrag, einem Rollstuhl, auf dem eine Mercedes-Radkappe ruht, die Spannung zwischen Mitgefühl und Rücksichtslosigkeit zum Ausdruck.
Hermetisch gebärden sich auch die Werke von Dirk Stewen, 1972 geboren, insbesondere die für die Ausstellung geschaffenen Collagen «Untitled (Schwarzes Brett)», indem der Künstler Fotografien mit unterschiedlichen Motiven – Vasen, Affen, Muscheln, Sweater – auf eine schwarze Unterlage klebt. Mit kriminalistischem Spürsinn lässt sich zwischen diesen disparaten Elementen immerhin ein vager Zusammenhang konstruieren. Näher beim Thema zeigt sich «Empty Gift» von Pascale Marthine Tayou, 1967 in Yaoundé, Kamerun, geboren, eine aus farbenfrohen, leeren Geschenkpaketen geformte, im Raum hängende Kugel von drei Metern Durchmesser. Mit seiner dekorativen Präsenz erweist sich das «leere Geschenk» dennoch als einigermassen nichtssagend.
Eine härtere Gangart schlägt die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles, Jahrgang 1963, an in «PM 2010», 313 Drucken der Frontseite der Zeitung PM aus der Grenzstadt Ciudad Juárez von 2010. Auf jedem einzelnen Titelblatt wird jeweils die Fotografie eines Mordopfers mit einem Pin-up konfrontiert – offenbar genau die Art von zynischem Aufmacher, die sich in einer der gefährlichsten Städte der Welt (und nicht nur dort) am besten verkauft.
Das perfekte Paar
Nur wenigen Arbeiten gelingt es, die heillose Verstrickung von romantischer Liebe und ökonomischer Logik tatsächlich auf den Punkt zu bringen, allen voran die Videoinstallation «One of Us» von Julika Rudelius, 1968 in Köln geboren, die 2010 in Miami, Florida, entstand. Darin erzählen verschiedene Paare von ihrer Liebe zueinander und was diese für sie bedeutet. Was offenbar ehrlich gemeint ist – die Paare sind echt, also keine SchauspielerInnen –, erscheint in dem für die Kamera inszenierten Setting als künstliche, von romantischen Floskeln durchsetzte Inszenierung. Mit grosser Ernsthaftigkeit produzieren sich die DarstellerInnen als perfekte Paare, nie kommt auch nur ein Hauch von Ironie auf. «Without you there is no me, and without me there is no you», sagt etwa einer von ihnen – und realisiert offenbar nicht, wie fragwürdig ein solches Liebeskonzept anmutet. Als zusätzlich irritierend erweist sich das grossbürgerliche, mit Kunst vollgestopfte Ambiente. Immer wieder erscheint die Künstlerin selbst im Bild, ohne dass die Paare sie zu bemerken scheinen, und erweitert so die Vorführung um eine voyeuristische Dimension. Wer genau hinschaut, kann zudem entdecken, dass die DarstellerInnen einen Empfänger im Ohr tragen, aus dem sie Regieanweisungen erhalten – und noch einmal kippt die suggerierte Authentizität der Gefühle in ihr Gegenteil.
Einen bösen Kommentar zur Zersetzung der romantischen Liebe im Alltagstrott leistet sich die 1966 in Nordirland geborene Künstlerin Cathy Wilkes mit ihrer Installation «I Give You All My Money» (2008): Zwischen Supermarktkassen hat sie zwei nackte Schaufensterpuppen arrangiert, die eine mit einer Krankenschwesternhaube auf einer Toilette sitzend, die andere auf dem Warenlaufband postiert, über den Kopf ein Vogelkäfig gestülpt, dazwischen überall dreckiges Geschirr und Abfall.
«Als die Liebe auf den Markt trat» ist ein Kapitel in Eva Illouz’ Abhandlung überschrieben, in dem sie darlegt, wie sich die Bedeutung von Liebe mit derjenigen von Konsum, Waren und Freizeittechnologien vermengte; sowohl Rudelius als auch Wilkes finden treffende Bilder für dieses Spannungsverhältnis, aus dem es offenbar kein Entrinnen gibt.
Andy Warhols TV
Auffallend viele Kunstausstellungen kreisen derzeit um das Thema des Privaten und Persönlichen. So ist in der Frankfurter Kunsthalle Schirn eben eine Schau mit dem Titel «Privat» zu Ende gegangen, die dem Exhibitionismus im Zeitalter der sozialen Medien nachspürte. Und auch in Wien wurde unlängst unter dem Titel «Keine Zeit. Erschöpftes Selbst / Entgrenztes Können» der Einfluss der Informationstechnologien auf die Befindlichkeit der Menschen untersucht, der sich in Überforderung, Depression oder Burn-out manifestiert. Bereits 2001 zeigte die Shedhalle Zürich eine Ausstellung zum Thema Schlaf/Schlaflosigkeit in einem gesellschaftlichen Zusammenhang.
Die Bregenzer Ausstellung reiht sich in diese Tendenz ein, das Private als Politisches zur Anschauung zu bringen und dabei die entscheidende Rolle der Medien zu beleuchten. Als kluge Ergänzung erweist sich dabei die Präsentation von «Andy Warhol: Fifteen Minutes of Fame», die den Fernsehprogrammen des US-amerikanischen Popkünstlers gewidmet ist und damit einen wenig bekannten Werkkomplex Warhols aus der Versenkung holt. Zwischen 1979 und 1987 produzierte er 42 TV-Sendungen, die nicht nur den Celebrity-Kult ins Fernsehformat übersetzen, sondern als Vorläufer der heutigen Realityshows gelten können.
Die Ausstellungen «Liebe ist kälter als das Kapital. Eine Ausstellung über den Wert der Gefühle» sowie «Andy Warhol. Fifteen Minutes of Fame» im Kunsthaus Bregenz dauern bis 14. April 2013. www.kunsthaus-bregenz.at