Maos Mango: Vom Kultobjekt zum Konsumprodukt

Nr. 8 –

Aus ungewohnter Perspektive blickt die Ausstellung «Maos Mango – Massenkult der Kulturrevolution» im Zürcher Museum Rietberg auf eine kurze Spanne innerhalb der «Grossen Proletarischen Kultur» in China.

Es war vor rund zehn Jahren, als Alfreda Murck erstmals Mangoobjekte auf den Antiquitäten- und Flohmärkten von Beijing entdeckte. Die US-amerikanische Kunsthistorikerin begann sich für die Geschichte und die Bedeutung der Frucht in China zu interessieren und fing an, Mangoobjekte zu kaufen. Diese sind der Grundstein für ihre Sammlung, die nun in der Ausstellung «Maos Mango – Massenkult der Kulturrevolution» im Zürcher Museum Rietberg zu sehen ist.

Am 4. August 1968, als der pakistanische Aussenminister Mian Arschad Hussain in Beijing zu Besuch weilt, schenkt er Mao Zedong als Zeichen der Freundschaft einen Korb voller Mangos. Am folgenden Tag lässt Mao die Früchte, die in Nordchina noch weitgehend unbekannt sind, durch seine Leibwächter den Arbeiter- und Bauernpropagandatrupps an der Tsinghua-Universität in Beijing überbringen.

Auf den Frontseiten der Zeitungen erscheint einen Tag später landesweit ein Foto, das die Beschenkten strahlend und mit emporgereckten Roten Büchlein zeigt. Im Vordergrund liegen die Mangos wie auf einem Altar, und auf einem Papierstreifen ist zu lesen: «Respektvoll sei dem Vorsitzenden Mao ewiges Leben gewünscht.»

Das Präsent bringt die Propagandatrupps in einen Konflikt. Wie soll man mit einem Geschenk des Vorsitzenden umgehen? Einfach aufessen geht nicht. Einige der prallgelben Früchte werden nach nächtelangen Diskussionen in einem Spital in Formaldehyd eingelegt, um sie für die Ewigkeit zu konservieren.

Das Mangogeschenk wird durch die gleichgeschaltete Presse schnell und landesweit zu einem Symbol für die Güte Maos verklärt. In ihrer wächsernen Form unter Glas dient die Mango als Propagandamittel und wird als besondere Auszeichnung an revolutionäre Arbeitsbrigaden, verdienstvolle Kader und ArbeiterInnen verliehen.

Mit den Mangovitrinen, auf denen oft ein Porträt Maos im Strahlenkranz zu sehen ist oder ihm mindestens in einem Text ewiges Leben gewünscht wird, werden die glücksverheissenden Attribute, die im traditionellen China dem Pfirsich zugeschrieben werden, auf die Mango übertragen.

Kulturrevolutionen

Zwei Jahre vor der Lancierung des Mangokults, im Mai 1966, läuft die vom alternden Mao initiierte «Revolution von unten», die seine Machtbasis sichern und die Vision einer neuen Gesellschaft realisieren sollte, völlig aus dem Ruder. Die überall im Land von SchülerInnen und StudentInnen gegründeten Roten Garden setzen LehrerInnen und ParteifunktionärInnen ab, schlagen und demütigen sie öffentlich. Es kommt zu Verletzten und Toten. Die Fraktionskämpfe greifen von den Schulen und Universitäten auf die Betriebe über, die Produktion kommt weitgehend zum Erliegen.

Mao, der seine und die Macht der Partei gefährdet sieht, beauftragt im Februar 1967 die Armee damit, die radikalsten revolutionären Organisationen aufzulösen. Bis im Juli 1968 fügen sich die meisten dem Diktat.

An der Tsinghua-Universität hingegen gehen die Fraktionskämpfe mit grösster Heftigkeit weiter. Am 27. Juli marschieren mehrere Tausend unbewaffnete Leute als «Arbeiter- und Bauernpropagandatrupps zur Verbreitung der Mao-Zedong-Ideen» auf das Universitätsgelände. Sie sollen die erbitterten und blutigen Kämpfe zwischen den verschiedenen Rotgardisten-Fraktionen befrieden helfen. Im Hintergrund zieht aber die Armee die Fäden.

Devotionalien

Auf chinesischen Märkten entdeckt Alfreda Murck über drei Jahrzehnte später Mangos in vielfältigsten Ausprägungen. Sie stösst auch auf die Glasvitrinen mit Mangos aus Wachs, die wie Reliquien wirken. In seltenen Fällen enthalten sie Hinweise auf die Beteiligung der Volksbefreiungsarmee bei ihrer Verleihung. Sie zieren Tassen, Teller und Töpfe aus Email oder eine weitverbreitete Zigarettenmarke.

Auf den Märkten spricht sich herum, dass Alfreda Murck sich für Mangos interessiert und die Objekte gut bezahlt. Stoffe und Bettbezüge werden ihr zugetragen. Auf meist rotem Hintergrund, der für die Revolution steht, sind neben heroischen Darstellungen der Armee und der Industrialisierung auch immer wieder Körbe mit Mangos und einzelne Früchte zu entdecken.

Fotografien und gemalte Bilder in der Ausstellung zeigen, wie riesige Mangos aus Pappmaschee in Paraden mitgetragen und verehrt werden. Millionenfach erscheinen die Mangos unter Maos Kopf auf Ansteckknöpfen mit der Aufschrift «Auf ewig treu dem Vorsitzenden Mao». Ein aktueller Film, in dem ZeitzeugInnen berichten, zeigt, dass die «Mango-Episode» von 1968 im China von heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Ihre Sammlung hat Alfreda Murck vor zwei Jahren dem Museum Rietberg geschenkt. Nach Zürich geht die Ausstellung, die Murck zusammen mit Alexandra von Przychowski konzipiert hat, auf Reisen. Ob sie in China auch gezeigt werden kann, ist im Moment noch unsicher. «Am ehesten im Rahmen einer Kunstausstellung», meint die Chinakennerin an der Pressekonferenz. Die Geschichte der «Grossen Proletarischen Kulturrevolution», die China zwischen 1966 und 1976 erschütterte und Tausende von Toten forderte, ist immer noch ein hochbrisantes Thema – Mangos hingegen sind inzwischen auf den Frucht- und Gemüsemärkten Chinas erhältlich.

Alfreda Murck (Hrsg.): «Maos Mango – Massenkult der Kulturrevolution». Verlag Scheidegger & Spiess. Zürich 2013. 238 Seiten. 39 Franken.

Die Ausstellung im Zürcher Museum Rietberg dauert bis 16. Juni 2013. Der Eintritt in die Sammlung des Museums ist frei. www.rietberg.ch