«Helden Afrikas» in Zürich: Die Kraft afrikanischer Masken aus meisterlichen Händen

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Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich Picasso und andere KünstlerInnen von der Abstraktionskraft afrikanischer Masken und Skulpturen inspirieren lassen. Doch bis heute gelten afrikanische Kunstwerke als unpersönliche Objekte für den rituellen Gebrauch. Die Ausstellung im Zürcher Rietberg-Museum präsentiert eine andere Sicht.

Idealisierung bei gleichzeitiger Herausarbeitung individueller Züge: Frauenmaske des Chokwe-Volkes, um 1820 im heutigen Angola gefertigt.

Auf der Suche nach afrikanischen Kulturgegenständen besuchte der deutsche Ethnologe Leo Frobenius 1910 die Stadt Ife im Südwesten Nigerias und entdeckte dort unter anderem eine Bronzebüste von ausserordentlicher Ausdruckskraft. Frobenius hielt es für undenkbar, dass einheimische afrikanische KünstlerInnen ein formal und technisch so meisterhaftes Abbild hätten schaffen können, und vertrat die These, er habe da in Westafrika die Reste einer griechischen Kolonie 
aus dem 13. Jahrhundert vor Christus vorgefunden.

Die Zeiten haben sich geändert. Heute muss kaum mehr jemand von der Grösse der afrikanischen Kunst überzeugt werden. Auf dem aktuellen Kunstmarkt werden alte afrikanische Originalskulpturen wie Bronzefiguren von Alberto Giacometti zu Preisen im zweistelligen Millionenbereich gehandelt.

Die Köpfe der Ife-Kultur, die zwischen dem 10. und dem 16. Jahrhundert aus Bronze und Terrakotta, geschaffen wurden, sind eindrückliche Zeugnisse der Schaffenskraft afrikanischer KünstlerInnen. Wie andere Kunstschätze aus aller Welt sind viele von Reisenden geraubt oder billig erworben worden und heute vor allem in Museen und Privatsammlungen in Europa sowie in den USA zu finden. Viele sind jedoch auch in Ife verblieben und im Nationalmuseum in der nigerianischen Hauptstadt Abuja zu bewundern, wie Lorenz Homberger erklärt, der Afrika-Kurator des Museums Rietberg in Zürich, der die Ausstellung «Helden Afrikas» aus dem New Yorker Metropolitan Museum nach Zürich geholt hat.

Einer dieser Terrakottaköpfe der Ife in der Rietberg-Ausstellung übt mit seinen Gesichtszügen eine geradezu magische Wirkung auf die Betrachtenden aus. «Das ist wirklich Spitzenklasse, etwas vom Allerschönsten, was man sich in der Weltkunst an Darstellung eines Gesichts ausdenken kann», meint Homberger.

Die Anmut des Gesichts

Die Köpfe, die die Ife sorgfältig in Grabhainen vergruben, sind aber nicht nur idealisierte Abbilder menschlicher Schönheit. Sie sind auch Darstellungen von individuellen Persönlichkeiten. Das zeigt sich in vielfältigen, insbesondere physiognomischen Eigenheiten wie Augen- und Mundformen, Stirnwölbungen oder mehr oder weniger hervorstehenden Backenknochen – aber auch in Narbungen, Frisuren, Kopfbedeckungen, Zierrat und Schmuck. «Wir werden vielleicht niemals herausfinden, wessen Porträts wir vor uns haben und welche Rolle die Terrakotten in ihrer Entstehungszeit spielten», schreibt Alisa LaGamma, Kuratorin des New Yorker Metropolitan Museum, welches die Ausstellung gestaltet hat, im Ausstellungskatalog. «Es macht den Anschein, als hätten die Künstler in Ife mit den Mitteln der Bildhauerei das Wesen der Elite ihrer Stadt einfangen wollen. Um dies zu erreichen, formulierten sie ein Ideal menschlicher Erhabenheit und kombinierten es mit äusseren Merkmalen und Charakterzügen dieser Personen.» LaGamma breitet im reich bebilderten Katalog ihre jahrelange Forschung über die Porträtkunst in Afrika aus.

Seit langem berühmt sind die Bronzeköpfe von Obas (Königen) der Benin-Kultur im heutigen Südwesten, die über einen enorm langen Zeitraum, nämlich vom 15. bis ins 19. Jahrhundert, in derselben Art hergestellt wurden. Typisch dabei: der hohe Korallenkragen, ein starres Gebilde aus Korallenketten, das den Hals umschliesst und den Kopf steif und etwas nach oben gerichtet fixiert – und manchmal bis unter den Mund reicht. Typisch auch die geflochtene Korallenkrone auf dem Kopf mit Perlenketten beiderseits, die das Ohr freilassen.

Die frühen Bronzeköpfe – die Ausstellung zeigt ein Exemplar aus der Zeit um 1580 – sind dünnwandig und leicht. Spätere, die daneben zu sehen sind, sind dickwandiger und schwerer. Das liegt daran, dass die früher rare Bronze durch Lieferungen aus Europa in grösseren Mengen verfügbar geworden war. Die Ausarbeitung ist mit der Zeit gröber geworden, wie sich etwa an den Ohren ersehen lässt. Doch alle sind sie auf jugendliche Schönheit und Würde hin gearbeitete, typisierte Repräsentationen von individuellen Königen oder Königsmüttern mit unterschiedlichen Gesichtszügen, Tätowierungen, Narben und Perlen. Die Figuren wurden zum Gedenken an den dargestellten Herrscher auf Altären aufbewahrt. Auf alten Fotos, von denen in der Ausstellung einige zu sehen sind, erkennt man grosse, geschnitzte Elefantenstosszähne, die aus den Köpfen wachsen.

Herausragende Persönlichkeiten

Idealisierung und gleichzeitig Individualisierung kennzeichnen diese Ausstellung. Die Kunstschätze stammen zur Hauptsache von acht Ethnien West- und Zentralafrikas. Auf dem Weg zu ihnen kommt man zuerst an einzelnen ägyptischen und römischen Statuen und Büsten vorbei. Dadurch soll, wie Kurator Homberger erklärt, die Wichtigkeit des Universalporträts in allen Regionen, Zeiten und Kulturen offensichtlich werden.

Seit mehreren Jahrtausenden haben sich KünstlerInnen in aller Welt die Frage gestellt, wie Verstorbene darzustellen sind, damit die Darstellungen ewig gültig sind. Auch in Afrika. Über Jahrhunderte hinweg schufen afrikanische MeisterInnen Bildnisse von Königen und Königinnen, Kriegshelden, Staatsgründern und Angehörigen der Eliten, um sie so für die Nachwelt zu erhalten. Die Ausstellung vereinigt Kunstwerke vom 12. bis zum 19. Jahrhundert und wirft so ein neues Licht auf die vorkoloniale Geschichte Afrikas. Diese war wie überall von herausragenden Persönlichkeiten geprägt.

Fruchtbarkeit dank Maskentanz

Eine solche Persönlichkeit war auch Chibinda Ilunga. Er lebte Anfang des 17. Jahrhunderts im heutigen Angola, war Freiheitskämpfer und Kriegsheld und galt als Gründervater des Chokwe-Volks. Alte Figuren von ihm sind nicht bekannt. So zeigen die im 19. Jahrhundert geschaffenen Holzstatuetten, die in der Ausstellung zu sehen sind, wie zwei Jahrhunderte später die KünstlerInnen die überlieferten Eigenheiten des Helden interpretierten. «Helden Afrikas» heisst denn auch der Ausstellungstitel, und Kurator Homberger fügt hinzu: Helden und Heldinnen Afrikas.

Heldinnen gab es viele und gibt es auch einige hier zu sehen. Besonders eindrücklich ist eine Pwo-(=Frauen)-Maske der Chokwe. Mit solchen Masken wurden Frauen öffentlich gefeiert, die Kinder geboren und Ansehen erworben hatten. Deren Fruchtbarkeit sollte sich durch den Maskentanz auf die ZuschauerInnen übertragen. Träger der Frauenmaske war immer ein Mann, der aber mit der dargestellten Frau in einer besonderen Beziehung verbunden war. Denn obgleich allgemeine Schönheitsideale der Chokwe den Pwo-Masken ihr würdiges Gepräge gaben, war doch jede einzelne nach einer individuellen Frau gefertigt.

Gedenkfigur aus der Hemba-Gruppe der Niemba-Völker, geschaffen um die Wende zum 20. Jahrhundert in der heutigen Demokratischen Republik Kongo.

«Helden Afrikas – Ein neuer Blick auf die Kunst Afrikas», Ausstellung im Museum Rietberg in Zürich, Samstag, 25. Februar, 18 Uhr, Eröffnung. So, 26. Februar, 11 Uhr, Vortrag von Alisa LaGamma: «Enshrining Greatness through African Sculpture». Di–So, 10–17 Uhr; Mi/Do, 10–20 Uhr. Ausstellung bis 3. Juni. www.rietberg.ch