Theaterszene in Griechenland: Spielend durch die Krise
Was tun, wenn die staatlichen Subventionen massiv gekürzt oder gar ganz gestrichen werden? Mit viel Kreativität versuchen Theaterschaffende in der griechischen Hauptstadt, aus der Not eine Tugend zu machen.
Aus den Proberäumen des Nationaltheaters Athen ist mehrstimmiger Gesang zu hören. Efi Theodorou, die stellvertretende künstlerische Leiterin, sitzt in ihrem Büro im Personalgebäude: «Noch wird das Nationaltheater subventioniert», sagt sie.
Der Beitrag jedoch, den der Staat zur Verfügung stellt, wird zunehmend kleiner: «Schon im Jahr 2007, als ich eingestellt wurde, war das Budget niedrig – 9 Millionen Euro pro Saison», erinnert sich Theodorou. «Dann wurde es auf 8 Millionen und im vergangenen Jahr auf 7,2 Millionen gesenkt. Kürzlich wurde uns angekündigt, dass wir im nächsten Jahr nur noch 6,3 Millionen bekommen.»
Längst sind die Zeiten vorbei, als das renommierte Theater mit seinen Produktionen weitherum für Aufsehen sorgte. 7 Millionen Euro gibt das Theater für die Gehälter der festen MitarbeiterInnen und SchauspielerInnen aus – damit ist das Geld, das der Staat zur Verfügung stellt, bereits aufgebraucht. Alle weiteren Produktionskosten müssen durch den Ticketverkauf eingespielt werden. Immerhin, so Theodorou, habe das Nationaltheater in den vergangenen Jahren erstaunlich viele BesucherInnen anziehen können – ein möglicher Hinweis darauf, dass Theater gerade auch in Krisenzeiten besondere Beliebtheit geniesst. Gewiss spielen dabei auch vergünstigte Eintrittskarten von fünf Euro für Arbeitslose und MigrantInnen eine Rolle.
Die erfreuliche Publikumsentwicklung könnte sich im Verlauf der Krise aber bald einmal ändern. Täglich werden Firmen geschlossen – und MitarbeiterInnen ohne Vorwarnung in die Arbeitslosigkeit entlassen. Die Zahl der Menschen, die sich trotz vorhandenem Interesse keinen Theaterbesuch mehr leisten können, steigt von Tag zu Tag.
Genug von der Vetternwirtschaft
Erschwerend kommt ein neuer Gesetzesentwurf hinzu: Demnach müsste die Direktion des Nationaltheaters dem Kulturministerium Jahr für Jahr aufs Neue die Gründe darlegen, weshalb das Haus weiterhin subventioniert werden soll – worauf in Absprache mit dem Finanzminister entschieden wird, wie viele und ob überhaupt weiterhin staatliche Gelder zur Verfügung gestellt werden.
Mit dem Wegfall einer garantierten staatlichen Unterstützung ist das Theater an sich infrage gestellt – und damit auch seine Rolle als gesellschaftliche Instanz. Die Folgen lassen sich bereits am Spielplan ablesen, auch inhaltlich: «Wenn ein Theater fast vollständig vom Billettverkauf abhängig ist, besteht die Gefahr, allzu einseitig auf billige Unterhaltung zu setzen. Ein sorgfältiger Spielplan mit fortschrittlichen Inhalten lässt sich nur auf der Basis eines stabilen Budgets machen – dann erst kann das Nationaltheater die gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, die ihm eigentlich zusteht», sagt Efi Theodorou.
Eine ganz andere Sicht auf die Situation des Theaters in der Krise hat Dimitris Piatas. Der 61-jährige Film- und Theaterdarsteller, der seit über vierzig Jahren auf verschiedensten staatlichen und privaten Bühnen des Landes auftritt, will in der Wirtschaftskrise eine Chance für das Theater sehen. Mehr noch: Er wittert derzeit gar so etwas wie Frühlingsluft in der griechischen Theaterszene – «und zwar genau weil der Staat sich nicht um uns kümmert». Indem sich der Staat durch die Finanzkrise mehr oder weniger aus der Kultur verabschiedet habe, so Piatas, «hat er uns quasi freigegeben. Er interessiert sich nicht mehr für uns, weil er andere Probleme hat.»
Demgegenüber sei es in den Jahren, als der Staat die Kultur noch weit grosszügiger unterstützte, auch in der Theaterszene zu Vetternwirtschaft und Korruption gekommen: «Damit hat der Staat nicht in erster Linie für eine lebendige Theaterlandschaft gesorgt, sondern vielmehr einzelne Leute unterstützt. Eine solche Unterstützung will ich nicht mehr.»
Bereits sind viele Theaterhäuser, die jahrelang auf staatliche Unterstützung gebaut haben, pleitegegangen. Auf vielen Bühnen in Athen jedoch, auf denen weiter gespielt wird, ist ein Umdenken auszumachen: «Bis vor einigen Jahren wurde in vielen Theatern vor allem Klamauk gezeigt», erzählt Piatas, «vielen Schauspielern waren die Kostüme wichtiger als der Inhalt ihrer Stücke. Heute ist das anders: Immer mehr Aufführungen setzen sich mit den aktuellen gesellschaftlichen Problemen auseinander.»
Es sind vor allem unabhängige Gruppen, die an unterschiedlichsten Orten in der griechischen Metropole einen kreativen Umgang mit der Krise pflegen. Noch selten seien in Athen so viele gute Produktionen zu sehen gewesen wie in diesen Tagen. Zuletzt sei das wohl zwischen 1967 und 1974 zu beobachten gewesen – zur Zeit der Junta, der griechischen Militärdiktatur unter den Obristen: «Auch damals florierte die Kulturszene», erinnert sich Piatas, «überall gab es Kabaretts und kleine Theater.»
Fast alles – ausser Zahnfüllungen
Stimmt es, dass die aktuelle Krise in Griechenland den Kreativgeist unter vielen Theaterleuten zusätzlich herausfordert? Fakt ist zumindest, dass sich immer mehr junge SchauspielerInnen zu Gruppen zusammenschliessen und aus der Not eine Tugend machen – etwa indem sie die Strasse zur Bühne erklären oder ihre Stücke in Bars, Kellern oder kleinen Zimmern zeigen.
Wie zum Beispiel Melissa Kotsakis. Die 25-jährige Schauspielerin spielt mit ihren beiden Kolleginnen von der Theatergruppe Tzokara regelmässig in solchen Räumen, für die sie keine Miete zahlen müssen. Nach der Vorstellung wird jeweils ein Hut durchs Publikum gereicht: «Vielen Leuten hier geht es finanziell sehr schlecht. Jemand, der kaum seine Miete und sein Essen bezahlen kann, überlegt sich dreimal, ob er Geld für eine Theatervorstellung ausgeben soll», sagt Kotsakis. Wenn ein Hut herumgehe, könne jeder das hineingeben, was möglich sei.
Zusammen mit diversen Nebeneinkünften reichen diese Kollekten knapp für den Lebensunterhalt der drei Schauspielerinnen. Möglich ist das aber nur, weil die drei praktisch alles selber machen – vom Nähen der Kostüme bis zur Technik: «Wir sagen untereinander spasseshalber, wir hätten durch unseren Job fast alles gelernt – nur Zahnfüllungen machen können wir noch nicht.»
Ihre Lebensbedingungen aber sind prekär: Keine der drei Schauspielerinnen hat eine Krankenversicherung abgeschlossen. Melissa zum Beispiel ist noch immer über ihren Vater versichert: «Was danach kommt, weiss ich nicht. Eine Rente werde ich eh nicht mehr bekommen. Das kann unsere Generation vergessen.» Überhaupt glaube sie nicht mehr an staatliche Absicherungen – und ganz allgemein nicht mehr an den Staat: «In unserer Generation geht es doch nur noch um arbeiten, essen, arbeiten, essen. Das wars dann auch schon.»
Auch der 34-jährige Schauspieler Nikolas Maragopoulos spielt sich in freien Gruppen durch Athen. Mit der zwölfköpfigen Truppe Zoo tourt er in den Abend- und Nachtstunden durch Bars und Cafés. Die Stücke haben stets die Krise zum Inhalt – allerdings immer auf komödiantische Weise: «Es ist jetzt nicht die Zeit, die Leute mit Satire noch weiter fertigzumachen. Die meisten fühlen sich schon schlecht genug», meint Maragopoulos. Die Menschen bräuchten Stücke, die ihnen Hoffnung gäben und bei denen sie vielleicht sogar mal über die Situation lachen könnten.
Streik der Sterne
Derzeit tritt die Gruppe mit einem lauten Musiktheaterstück auf. In dessen Mittelpunkt steht der arbeitslose 35-jährige Fokaras, der im heutigen Athen mit seiner Frau, deren Mutter und Grossmutter in einer Wohnung lebt. Durch einen Fehler wird Fokaras auf die schwarze Liste einer Bank gesetzt – sodass er schliesslich im Gefängnis landet und verrückt wird. Maragopoulos will das Stück als Kritik an all jenen verstanden wissen, die die Situation des jungen Mannes mitverursacht haben – jene, «die den Staat, so wie er ist, mitgestaltet haben».
Mit einer weiteren Truppe namens Tziritzantzoules zeigt Maragopoulos zudem jeden Sonntag im kleinen Performanceraum «Dynamo» im zentralen Athener Stadtteil Kerameikos ein selbst geschriebenes Kindertheaterstück. Darin geht es um Sterne, die in einen Streik treten und so das Licht verweigern. In schrillen Kostümen rattern, rennen und tanzen die vier SchauspielerInnen eine Stunde lang über die Bühne. Dabei versuchen sie, den Kindern nahezubringen, dass es sich lohnt, für seine Träume zu kämpfen und der Ungerechtigkeit entgegenzutreten. «Im Finale werden die Kinder selbst gefragt, ob sie streiken wollen oder nicht», so Maragopoulos. Das sei jedes Mal eine überaus spannende Angelegenheit – Kinder seien nun mal nicht so einfach zu überzeugen und würden nicht so schnell zu MitläuferInnen.
Auch im «Dynamo» geht am Ende der Vorführung ein Hut durch die Publikumsreihen. Maragopoulos kommt mit seinem Anteil an diesen Einnahmen sowie dem Verdienst aus seiner Nebentätigkeit in einem Tonstudio einigermassen über die Runden. Krankenversichert ist aber auch er schon lange nicht mehr.