«Währungskrieg»: Die Politik mit dem starken Franken

Nr. 10 –

Die ganze Welt spricht von einem «Währungskrieg», den Länder wie Japan oder China angeblich führen sollen. Dabei gerät auch die Schweiz in die internationale Kritik. Und dies zu Recht.

Unspektakulär erscheint das Thema, zu dem sich Nationalbankpräsident Thomas Jordan kürzlich verlauten liess: «Starker Franken und hoher Ertragsbilanzüberschuss: ein Widerspruch?» Nein, ein Widerspruch sei das nicht, hielt der oberste Frankenhüter in einem ausführlichen Referat am Schweizerischen Institut für Auslandforschung (Siaf) fest, das er mit vielen Statistiken spickte.

Thomas Jordans Ausführungen sorgten allerdings für wenig Aufmerksamkeit. Widerspruch gab es darauf hin erst recht keinen. Obwohl dieses Thema für die Schweiz äusserst brisant ist. Mit seinem Referat reagierte der Nationalbankpräsident auf die massive internationale Kritik an die Adresse der Schweiz, die in jüngster Zeit ertönte. Diese Kritik gipfelte im Vorwurf, die Schweiz sei «Weltmeister in der Währungsmanipulation». Konkret: Die Nationalbank halte den Franken tief, damit Schweizer Unternehmen mehr exportieren könnten. Und das natürlich auf Kosten der Exporte anderer Länder.

Im Herbst letzten Jahres hatte der angesehene Direktor des Brüsseler Center of European Policy Studies (CEPS), Daniel Gros, die Schweiz an den Pranger gestellt. Nicht etwa China, wie oft behauptet werde, sondern vielmehr die Schweiz sei der grösste Währungsmanipulator; zumindest, wenn man die Länder an ihrer jeweiligen Wirtschaftsstärke messen würde, rechnete er vor. Ende des Jahres doppelte das einflussreiche Washingtoner Peterson Institute for International Economics nach. Der abtretende Direktor des Peterson Institute, Fred Bergsten, rechnete mit Koautor Joseph Gagnon in einer Studie vor, dass sich die Gegensätze zwischen Schuldner- und Gläubigerstaaten weiter vertiefen. Und die Schweiz ist ihrer Ansicht nach die grösste Sünderin: «Sie ist der weitaus grösste Währungsmanipulator im Jahr 2012.» Dies ausgerechnet zu einer Zeit, in der ihre wichtigsten Handelspartner nach überwundener Rezession erneut stagnierten.

«Zentralbanken tun ihre Pflicht»

Es ist kein Wunder, dass Nationalbank-Präsident Jordan nun das sperrige Thema der Schweizer Ertragsbilanz aufgegriffen hat, die regelmässig einen grossen Überschuss ausweist (vgl. «Die Schweizer Ertragsbilanz», Im Anschluss an diesen Text) – zumal der jähe Einbruch des japanischen Yen die Währungskriegsdebatte neu entfacht hat. Jordan will rechtzeitig die Welt besänftigen, dass die Schweiz keine sogenannte «Beggar-thy-neighbour»-Politik auf Kosten anderer Länder betreibe. Die Schweiz soll nicht wieder unter Beschuss geraten wie beim Bankgeheimnis.

Support erhielt Jordan von Ex-Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand, der in einem Gastkommentar für die «Financial Times» schrieb: «Die Zentralbanken machen bloss, was ihre Pflicht ist und was sie immer getan haben.» Damit meinte er neben den Notenbanken der USA, Japans und Britanniens auch die Schweizerische Nationalbank mit ihrer Verteidigung des Frankenkurses gegenüber dem Euro bei 1.20 Franken, die er selbst im September 2011 eingeführt hatte. Das sei kein «Währungskrieg». Die Nationalbanken stützten damit die Wirtschaft ihrer Länder, während die Inflation weiterhin stabil sei.

Der Krieg, der nicht stattfand

Auch die G20-FinanzministerInnen versuchten auf ihrem Gipfel Mitte Februar, die Wogen zu glätten. Sie erachten die derzeit lasche Geldpolitik der Nationalbanken als durchaus marktkonform. In einem dürren Communiqué demonstrierten sie Einigkeit: «Wir werden nicht aus wettbewerblichen Gründen unsere Wechselkurse als geldpolitische Ziele nehmen; werden allen Formen von Protektionismus entsagen und unsere Märkte offen halten.» Jedes Land soll machen, was es als nötig erachtet, um aus der Rezession herauszukommen. Entsprechend halten die Nationalbanken die Zinsen tief und öffnen darüber hinaus die Geldschleusen. Damit hoffen sie, die Wirtschaft zum Investieren zu animieren.

Der Haken an dieser Strategie ist: Wer soll investieren, wenn die Nachfrage fehlt? Wer soll konsumieren, wenn die Einkommen in den reichen Ländern bestenfalls stagnieren und vielerorts sinken? Wer soll importieren, wenn alle Staaten in der Krise auf mehr Export setzen? Und die stark verschuldeten Staaten – sie können oder dürfen auf Geheiss der Gläubigerländer gar nicht mehr ausgeben.

Unter diesen Bedingungen setzen die Banken nicht auf die Realwirtschaft. Sie ziehen es vor, auf den volatilen Finanzmärkten schnelle Gewinne zu machen.

Was mit dem vielen Geld auf den Finanzmärkten geschieht und wie sich die Wechselkurse entwickeln, scheint die Finanzminister entweder nicht zu kümmern – oder dann sind sie sich eben doch nicht so einig, wie das Communiqué den Anschein erwecken sollte. Die Währungsmärkte wird es nicht stabilisieren. In Zukunft so wenig wie in den letzten Monaten. Und die waren recht turbulent. Das ist ganz nach dem Geschmack der DevisenspekulantInnen. Hedgefonds sollen mit ihren Wetten auf fallende Yen-Kurse fette Gewinne erzielt haben. Allein der Spekulant George Soros soll damit gemäss «Wall Street Journal» einen Milliardengewinn eingestrichen haben.

Die neue Schwäche des Yen mag helfen, Japans Wirtschaft nach zwei Jahrzehnten der Stagnation wieder auf Kurs zu bringen. Doch sie irritiert die Konkurrenz: die USA, die weiterhin tiefrote Handelszahlen ausweisen, aber auch die Euroländer. Die USA versuchen, ihr Exportbusiness über einen schwächeren US-Dollar anzukurbeln und so ihre chronischen Handelsdefizite zumindest zu verkleinern. Die Euroländer setzen ebenfalls auf Exporte in die anderen Weltregionen. Dies soll helfen, die negativen Folgen des internen Sparkurses zu lindern. Frankreichs Präsident François Hollande reagierte entsprechend erbost auf die japanische Abwertung, hofft er doch nach dem langsamen Niedergang seiner Exportindustrie auf Besserung.

Druck auf die Überschussländer

Die Staaten, die mehr einnehmen als ausgeben, sollten vorangehen. Sie müssten mehr importieren, um den Defizitländern aus der Stagnation herauszuhelfen. China vor allem, aber auch Deutschland. Sie sind die Länder mit den grössten Exportüberschüssen. Mehrere kleinere Länder erzielen jedoch an ihrer wirtschaftlichen Stärke gemessen noch viel grössere Überschüsse: Korea, Singapur, Dänemark zum Beispiel – aber auch die Schweiz. Auch diese Länder müssten ihre Währungspolitik ändern, fordern Bergsten und Gagnon vom Peterson Institute in ihrer Studie. Nur so könnten sich die Gegensätze zwischen den Schuldner- und Gläubigerstaaten entschärfen. Nur auf diese Weise könnte die Weltwirtschaft aus der Krise finden.

Geschehe dies nicht freiwillig, so Bergsten und Gagnon, müssten die Überschussländer unter Druck gesetzt werden. Der französische Präsident Hollande forderte kürzlich vor dem EU-Parlament gar eine Reform des internationalen Währungssystems und damit eine Rückkehr zu geordneten Verhältnissen auf den Finanzmärkten.

Noch verhallen diese Aufrufe ungehört. Doch weil sich die internationalen Ungleichgewichte zuspitzen statt verkleinern, werden sie nicht verstummen. Die Verteidigung des Schweizer Frankens könnte dann international erst recht zum Thema werden.

Rekord trotz Frankenstärke

Eine Aufwertung des Frankens brächte nichts, versuchte Nationalbank-Präsident Jordan in seinem Referat schon mal prophylaktisch dagegenzuhalten und beschwor den Schweizer Sonderfall. Die Schweiz sei anders als die meisten anderen Überschussländer: Denn der Wechselkurs beeinflusse nur den Handel mit Waren, und dieser mache nur «einen Bruchteil des hohen Ertragsbilanzüberschusses» der Schweiz aus. Weit stärker ins Gewicht fielen die Erträge aus Direktinvestitionen in andere Länder, die im Ausland erzielten Bankenerlöse sowie die Einkünfte aus dem Rohstoffhandel. Zudem werde der Ertragsbilanzsaldo statistisch zu hoch veranschlagt.

Die Schweiz ist zwar nicht mit China zu vergleichen, das seine Überschüsse fast gänzlich aus dem Warenhandel schöpft. Doch so unbedeutend, wie Nationalbank-Präsident Thomas Jordan behauptet, ist «der Bruchteil» des Warenhandels nur gerade im Jahr 2010, das er als Vergleichsjahr heranzieht. Vorher und nachher lag dieser Bruchteil um einiges höher. Das gilt erst recht für 2012: Trotz der hierzulande viel beschworenen Frankenstärke weist die Handelsbilanz einen neuen Rekordüberschuss aus.

Doch welche Faktoren auch immer hinter den regelmässig hohen Überschüssen der Schweiz stecken, Tatsache ist: Die Ungleichgewichte zwischen den Schuldner- und den Gläubigerstaaten waren nicht nur ein wesentlicher Grund für die globale Finanzkrise, sie bilden auch ein wichtiges Hindernis, die Krise zu überwinden.

Die Schweiz ist Teil des Problems, das sich weiter zu verschärfen droht.

Die Schweizer Ertragsbilanz

In der Ertragsbilanz werden die Einnahmen und Ausgaben erfasst, die ein Land in den wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland erzielt beziehungsweise tätigt. Die Schweiz erzielt seit vielen Jahrzehnten Überschüsse. Am grössten sind sie beim Dienstleistungsverkehr (lange Zeit vor allem Bankenerlöse im Ausland; neuerdings werden sie von den Einnahmen aus dem Rohstoffhandel übertroffen). Gross ist der Überschuss auch bei den Kapitaleinkommen. Sie resultieren vor allem aus den Gewinnen der Direktinvestitionen im Ausland. Im Krisenjahr 2008 gab es bei den Kapitaleinkommen ausnahmsweise ein Defizit.

Beim Warenhandel erlitt die Schweiz bis in die neunziger Jahre hinein meist ein Defizit. Das hat sich seither geändert. Daran rüttelte auch der derzeitige starke Frankenkurs nicht. Für das vergangene Jahr hat die Oberzolldirektion sogar einen rekordhohen Aussenhandelsüberschuss bekannt gegeben.