Weltwirtschaftskrise: Jetzt kommt die dritte Phase der Finanzkrise
Sechs Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise geraten zahlreiche Schwellenländer ins Strudeln, weil massive Kapitalmengen abgezogen werden. Die finanzielle Globalisierung fordert neue Opfer.
Zuerst traf es die türkische Lira. Dann folgten der russische Rubel, der südafrikanische Rand und viele andere Währungen. Anfang Jahr verloren sie allesamt plötzlich stark an Wert. Böse Erinnerungen an die Asienkrise der neunziger Jahre wurden wach, als bis nach Lateinamerika viele Länder in den Strudel einer dramatischen Schuldenkrise gerieten, die sie in eine mehrjährige Rezession führte.
Mittlerweile haben sich die Märkte für Devisen etwas beruhigt. Doch ausgestanden ist die Krise noch lange nicht, auch wenn die Finanzminister der G20-Staaten – darunter Deutschland, die USA und China – Ende Februar in Sydney so taten, als ob nichts wäre. In ihrer gemeinsamen Erklärung mahnten sie die NotenbankerInnen lediglich, zu bedenken, dass ihre Geldpolitik Kapitalabflüsse aus gewissen Ländern auslösen könne, die diese in Schwierigkeiten brächten.
Vor ein paar Wochen hatte der Chef der indischen Notenbank, Raghuram Rajan, die USA weitaus expliziter kritisiert. Die US-Notenbank habe bei ihrer Geldpolitik lediglich das Wohl der USA im Auge und nehme keine Rücksicht auf andere Länder. Der Hintergrund: Die US-Notenbank hatte mit ihrem Entscheid von Ende Jahr, die historisch aussergewöhnlich expansive Geldpolitik zu korrigieren, InvestorInnen dazu angespornt, ihr Kapital aus den Schwellenländern in die USA zu verschieben, was zu den Währungsturbulenzen geführt hatte.
Rajan, ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) und einstiger Professor an der Hochburg des Neoliberalismus, der Universität von Chicago, hat recht. Die USA richten ihre Geldpolitik nach ihren eigenen Interessen aus. Doch das ist nicht neu. Und für einmal ist es auch nicht falsch. Die US-Wirtschaft läuft wieder etwas besser als vor ein, zwei Jahren, die von der Notenbank eingeleitete Wende ist eine logische Konsequenz.
Dennoch ist Rajans Aufschrei verständlich. Die Kapitalflucht, die die US-Notenbank mit ihrer Geldpolitik ausgelöst hat, ist gewaltig. Bereits im letzten Frühjahr, als die USA erstmals eine Abkehr von ihrer lockeren Geldpolitik angekündigt hatten, brachen die Währungen Brasiliens, Indiens, Südafrikas und anderer Länder ein. Ende Januar hat sich dies nun wiederholt – nur diesmal in viel grösserem Ausmass.
Wie ein Jo-Jo
Die Kapitalmärkte gleichen einem Jo-Jo-Spiel: Nach Ausbruch der Finanzkrise 2008, als die Notenbanken der USA und Europas die Zinsen senkten, verschoben die InvestorInnen ihr Kapital in die Schwellenländer. Hohe Zinsen und hohes Wachstum lockten, der schnelle Gewinn war garantiert. Jetzt geht es in die Gegenrichtung – ebenso schnell und in ebenso grossem Ausmass. Die Wirtschaftsaufsteiger geraten in Schwierigkeiten. Die Währungen verlieren an Wert, damit werden die Konsumgüter aus dem Ausland teurer. Zwar wehren sich die Staaten, indem sie die Zinsen ebenfalls erhöhen. Doch dies bremst die Investitionen und bringt Schuldner in Bedrängnis.
Der Aufstieg der neuen Märkte ist vorerst gebremst. Und es könnte schlimmer kommen. Zum einen sind die Banken und andere Firmen in den aufstrebenden Märkten äusserst verwundbar, wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) kürzlich festhielt. Seit Ausbruch der Finanzkrise haben sich ihre Schulden verdoppelt. Kollabiert eine von ihnen, droht eine Kettenreaktion. Dann könnte das Worst-Case-Szenario eintreffen, das die Weltbank kürzlich skizziert hat: Die Kredite an die sogenannten Emerging Markets würden auf zwanzig Prozent des bisherigen Niveaus schrumpfen.
Wie gross der Kapitalabfluss auch sein wird: Derzeit bestätigt sich, was seit der Asienkrise der neunziger Jahre offensichtlich ist. «Die Finanzglobalisierung ist eine Quelle der Instabilität», wie die Starökonomen Dani Rodrik und Arvind Subramanian ihrem Kollegen Rajan entgegenhalten. Schuld sei nicht die US-Zentralbank. Oder in Anlehnung an die Wahlkampfparole des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton könnte man sagen: «Es ist die finanzielle Globalisierung, du Dummkopf!» Immer wieder bringt sie Länder in Bedrängnis, mal durch einen plötzlichen Kapitalzufluss, mal durch einen Abfluss.
Die Gegenmassnahmen sind bekannt
Egal welcher der zwei Fälle eintrifft, jedes Mal wird Kritik laut: Als vor zwei Jahren massive Kapitalzuflüsse aus den Finanzzentren den Real in die Höhe trieben, sprach der brasilianische Finanzminister von einem Währungskrieg. Tatsächlich schwächte die massive Aufwertung der Währung die Exportindustrie der führenden Wirtschaftsmacht Lateinamerikas. Jetzt folgt die Flucht, was die Immobilienblasen und viele Konsumträume zum Platzen bringt.
Dass es so komme, meint Ökonom Rodrik, überrasche nicht. Überraschend sei vielmehr, dass sich alle überrascht gäben.
Die Gegenmassnahmen wären bekannt: Die Entwicklungs- und Schwellenländer sollten nicht den aus dem Ausland zuströmenden Geldern vertrauen, wird ihnen entgegengehalten. Insbesondere nicht den auf kurze Frist gewährten Krediten. Im Unterschied zu den neunziger Jahren werden neuerdings auch Kapitalkontrollen nicht mehr pauschal als Verstoss gegen die Ziele eines globalen Finanzsystems angesehen.
Trotzdem werden selten Massnahmen ergriffen. Rajan hat in Indien selber die Liberalisierung der Finanzmärkte vorangetrieben. Die prominente indische Ökonomin Jayati Ghosh gab sich denn auch über Rajans USA-Bashing erstaunt. Die Finanzglobalisierung ist noch immer hoch im Kurs. Das Geschäft mit Devisen erzielt Rekordumsätze. Und entsprechend grosse Gewinne. Der globale Devisenmarkt ist der grösste Handelsplatz der Welt. Mehr als 5000 Milliarden Dollar werden auf ihm täglich umgesetzt.
Während die Banken seit dem grossen Crash zumindest ein kleines bisschen strenger reguliert werden und die G20 in grossem Tempo Massnahmen gegen die Steuerflucht beschliessen – die die Schweiz zu spüren bekommt –, lässt man der Spekulation mit Währungen freien Lauf. So schwach reguliert wie dieser Markt ist kaum ein anderer. Statt über öffentliche Börsen läuft der Handel zwischen den Banken ab. Die kürzliche Meldung, dass Regulierungsbehörden den Verdacht hegen, auf dem Markt seien Kurse manipuliert worden, überrascht kaum.
Die Schwellenländer haben nach der Finanzkrise 2008 mit ihren hohen Wachstumsraten die Weltwirtschaft vor einem noch schlimmeren Absturz bewahrt. Sie boten sich den alten Industrienationen als neue Absatzmärkte an. Die Euroländer setzen ganz besonders auf sie. Sie versuchen ihre Stagnation durch Exporte in aussereuropäische Länder zu überwinden. Falls nach der Türkei, Südafrika und Indien auch weitere Schwellenländer stagnieren und weniger Waren und Dienstleistungen importieren, wird dies für die traditionellen Industrieländer nicht ohne Folgen bleiben. Erst recht, da nun in China auch noch die Angst umgeht, eine Immobilien- und Finanzblase könnte demnächst platzen.
Es träfe die Euroländer in einem dummen Moment. Entgegen dem offiziell zur Schau gestellten Optimismus droht ihnen eine langjährige Stagnation. Die Währungskrise der Schwellenländer könnte nach dem US-Immobiliencrash und der Eurokrise die dritte Phase der Finanzkrise einleiten.