Philippinen/Malaysia: Ein Sultan auf dem Kriegspfad

Nr. 13 –

Im ostmalaysischen Bundesstaat Sabah sorgen Mitglieder einer bewaffneten Gruppierung für Unruhe. Das ist kein gutes Zeichen für den Friedensprozess im Süden der Philippinen.

Seit dem zweiten Februarwochenende herrscht Missstimmung zwischen den südostasiatischen Nachbarländern Malaysia und Philippinen. Grund dafür ist eine Aktion von Mitgliedern einer Organisation, die sich Königliche Armee des Sultanats von Sulu nennt. Am 9. Februar waren zwischen 100 und 300 – teilweise bewaffnete – Angehörige dieser «Armee» von südphilippinischen Inseln aus mit Motorbooten in Lahad Datu und anderen Orten des malaysischen Bundesstaats Sabah gelandet. Seither sind in den Hauptstädten Kuala Lumpur und Manila DiplomatInnen bemüht, die Wogen zu glätten.

Angeführt wurden die in Malaysia umgehend als «Kriminelle» und «Terroristen» bekämpften Eindringlinge von Agbimuddin Kiram, einem Bruder des Sultans. Man sei gekommen, liess Sultan Jamalul Kiram III. durch seinen Sprecher Abraham Idjirani verkünden, um seit langem bestehende Rechte endlich durchzusetzen und das «Heimatland wieder in Besitz zu nehmen».

Kolonien und Verträge

Was wie eine Posse anmutet, hat sich zu einer tödlichen Geschichte entwickelt. Nach unterschiedlichen Meldungen beider Seiten sind bislang zwischen 66 und 80 Menschen bei den Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Während die malaysischen Behörden die Ereignisse herunterspielen und bereits von einem Rückzug der AnhängerInnen des Sultans sprechen, bezeichnet dieser solche Berichte als Propaganda. Gegenüber der in Manila erscheinenden Tageszeitung «Philippine Daily Inquirer» verkündete Sultan Jamalul Kiram III.: «Wir bleiben vor Ort. Warum sollten wir unsere Heimat verlassen? Die Malaysier bezahlen uns doch dafür bis heute Miete.» Tatsächlich überreicht die malaysische Botschaft in Manila jährlich einen Scheck in Höhe von 5300 malaysischen Ringgit, etwa 1700 US-Dollar.

Der historische Hintergrund des Streits ist komplex: Im Jahr 1658 vermachte der Sultan von Brunei seinem Amtsbruder in Sulu jenes Territorium, das sich heute Sabah nennt – als Dank dafür, dass der Sultan von Sulu mit der Entsendung von Truppen dazu beigetragen hatte, eine Revolte in Brunei niederzuschlagen. Einer von dessen Nachfahren wiederum unterzeichnete 230 Jahre später, im Januar 1878, mit Vertretern der British North Borneo Company ein Abkommen. Es erlaubte dem britischen Unternehmen gegen eine jährliche Zahlung von rund 5000 Ringgit die Nutzung des Gebiets von Sabah. Was genau damit gemeint war, ist umstritten. Der in der Tausug-Übersetzung verwendete Begriff «padjak» heisst wörtlich «verpachten» oder «mieten»; im englischen Vertragstext war indes von «grant and cede» die Rede: «überlassen und abtreten».

1946 übergab die British North Borneo Company Sabah an die Regierung in London (Nordborneo wurde damit britische Kronkolonie), woraufhin der damalige Sultan von Sulu das Abkommen aufkündigte. Während die Bevölkerung in Sabah 1963 mehrheitlich für den Anschluss der Region an die neu geschaffene Föderation Malaysia votierte, übertrug das Sultanat von Sulu, das seit der philippinischen Unabhängigkeit 1946 integraler Bestandteil der Philippinen ist, der Regierung in Manila das Recht, seinen Anspruch auf Sabah politisch und diplomatisch durchzusetzen.

Um die ohnehin verzwickte Lage noch zu komplizieren, berufen sich die AnhängerInnen des Sultans heute zudem auf einen 1915 mit den USA (der damaligen Kolonialmacht der Philippinen) geschlossenen Pakt. In ihm hatte sich Washington verpflichtet, die Interessen der Sultansfamilie zu schützen. Davon will der heutige US-Botschafter in Manila, Harry Thomas, freilich nichts wissen. Und in Manila selbst hatte man die Sabah-Frage derweil als «schlafend» eingestuft, um in beidseitigem Interesse die Beziehungen nicht zu belasten. Aus gutem Grund.

Belastete Beziehungen

Denn es gab auch so Konfliktpunkte genug. Nach dem Jabidah-Massaker 1968 (vgl. «Die Exekution» im Anschluss an diesen Text) an jungen muslimischen Moros war auf dem Sulu-Archipel und der Südinsel Mindanao die Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF) entstanden, die für einen unabhängigen Staat kämpfte. Es herrschte jahrelang Bürgerkrieg, während dem das vorwiegend muslimische Malaysia KombattantInnen der MNLF gestattete, Sabah als Trainingslager und Rückzugsgebiet zu nutzen. Dazu kamen zahlreiche aus der Region der Sulusee geflohene Menschen, denen sich mit der gesellschaftlichen Integration in diesem Teil des multiethnischen Malaysia eine neue Lebensperspektive bot. Heute leben und arbeiten dort etwa 800 000 Filipinos und Filipinas, vorwiegend aus dem Süden der Philippinen.

Mitte der siebziger Jahre entspannte sich das Verhältnis zwischen Kuala Lumpur und Manila kurzfristig: Ende 1976 schloss der MNLF-Gründungsvorsitzende Nur Misuari ein Friedensabkommen mit dem Regime des damaligen philippinischen Machthabers Ferdinand Marcos. Da nicht alle SeparatistInnen mit diesem Abkommen einverstanden waren, entstand kurz danach die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF), eine Abspaltung von der MNLF – die daraufhin von der malaysischen Regierung hofiert wurde. Denn die MILF war bald zur grössten und bedeutsamsten muslimischen Gruppierung auf den Südphilippinen avanciert.

Andererseits ermöglichten es die guten Beziehungen zur MILF und die diplomatischen Kontakte zu Manila, dass unter der Schirmherrschaft der Regierung in Kuala Lumpur ab 1997 zunächst Waffenstillstands- und später Friedensverhandlungen zwischen den RebellInnen und der philippinischen Regierung in Manila begannen.

Zum Durchbruch kam es am 15. Oktober des vergangenen Jahres. An diesem Tag trat der philippinische Präsident Benigno S. Aquino III. vor die Kameras und erklärte: «Das unterzeichnete Abkommen ebnet den Weg für einen endgültigen und dauerhaften Frieden in Mindanao.» Auf Basis eines Rahmenabkommens strebe die MILF, so Aquino, «nicht länger einen unabhängigen Staat an». Ghazali Jaafar, stellvertretender MILF-Vorsitzender und verantwortlich für politische Angelegenheiten, begrüsste seinerseits die Einigung mit den Worten: «Darauf haben wir viele, viele lange Jahre gewartet.»

KritikerInnen machen mobil

Eckpunkt des Abkommens zur Regelung der Belange der Moro-Nation ist die Schaffung einer autonomen Region namens Bangsamoro. Ein Übergangskomitee soll die Details ausarbeiten. Die Entscheidungsgewalt über Sicherheits- und Aussenpolitik, Währungspolitik und Fragen der Staatsbürgerschaft bleibt der Zentralregierung vorbehalten. Allerdings hängt die für das Jahr 2016 geplante Gründung von Bangsamoro von der Zustimmung des philippinischen Parlaments und einem Plebiszit ab.

Enttäuschte MILF-KämpferInnen kritisierten jedoch das Abkommen – und spalteten sich unter Führung des Regionalbefehlshabers Ustadz Ameril Umbra Kato von der Organisation ab. Sie gründeten die Bangsamoro Islamische Freiheitsbewegung (BIFM) mit den Bangsamoro Islamischen Freiheitskämpfern (BIFF) als bewaffnetem Arm. Die MILF sei unter der Führung von al-Hadsch Murad Ebrahim und Chefunterhändler Mohagher Iqbal gegenüber der Regierung in Manila eingeknickt und habe die Vision eines unabhängigen Moro-Staats aus dem Blick verloren, begründeten sie ihren Schritt. Mit genau diesem Argument hatten sich 1977 frühere MNLF-AnhängerInnen zur Gründung der MILF entschlossen.

Ausgerechnet in dieser heiklen Situation kam es nun zum Angriff – und die Folgen sind unabsehbar. Denn jetzt sind die auf Sabah lebenden Filipinos und Filipinas Schikanen seitens der malaysischen Sicherheitskräfte ausgesetzt. Und in Manila befürchten die Behörden einen Massenexodus, der die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage der Philippinen zusätzlich belasten könnte.

Wer genau hinter dem militärischen Abenteuer steckt, steht noch nicht fest. Aber es gibt auf Mindanao zahlreiche einflussreiche Landlords, die im Fall eines Friedensabkommens nicht mehr so einfach ihre Geschäfte betreiben könnten. AnhängerInnen der früheren Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001–2010) haben sich ebenfalls abfällig über das Rahmenabkommen geäussert. Arroyos ehemaliger Sprecher Jesus G. Dureza feuerte Mitte des Monats eine ungewöhnliche Breitseite gegen die Regierung ab. Diese würde die Interessen der philippinischen Landsleute in Malaysia nicht angemessen vertreten – ein Argument, das vor allem bei Arroyo-AnhängerInnen verfängt. Die Expräsidentin steht nämlich noch immer unter Hausarrest; auf sie warten womöglich mehrere Gerichtsverfahren wegen Vorteilnahme im Amt und der aussergerichtlichen Hinrichtungen während ihrer Präsidentschaft.

Der MNLF-Mitgründer Misuari wiederum beklagt, dass er in den Friedensprozess nicht eingebunden wurde. «Mit den Ereignissen in Sabah» habe er zwar nichts zu tun, betonte er in den vergangenen Tagen. Doch seine Nähe zum Sultan ist bekannt: Er befürwortet dessen Anspruch auf Sabah. Dass Angehörige der MNLF die Aktion unterstützten, ist unbestritten. Und die MILF? Deren Chefunterhändler Iqbal hält sich auffällig bedeckt und hebt lediglich hervor, dass die Friedensverhandlungen eine Sache seien und die Sabah-Frage eine andere.

Weshalb es gerade jetzt zur Attacke kam, zeigt ein Blick auf den Wahlkampfkalender. Mitte Mai stehen Zwischenwahlen an, vor allem PolitikerInnen der Opposition gehen mit nationalistischer Rhetorik auf Stimmenfang. Und dazu bietet die Torpedierung des Rahmenabkommens eine gute Möglichkeit. Bleibt die spannende Frage: Wer schulterte die beträchtlichen Kosten eines Unterfangens, das Aquinos Sprecher Edwin Lacierda als «höchst töricht» bezeichnet?

Rainer Werning ist Mitherausgeber des «Handbuchs Philippinen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur».

Die Exekution

Vor 45 Jahren führte ein von der philippinischen Regierung lange verschwiegenes Massaker dazu, dass sich die muslimischen Moros auf der südphilippinischen Hauptinsel Mindanao für den bewaffneten Kampf entschieden: Am 18. März 1968 waren mindestens zwei Dutzend junge Rekruten von ihren Vorgesetzten auf der Insel Corregidor in der Bucht von Manila exekutiert worden.

Nach Aussage des einzigen Überlebenden hatten sie sich Anfang 1968 geweigert, von der kleinen südphilippinischen Insel Simunul aus nach Sabah überzusetzen, also dort einzumarschieren. Der Befehl dazu kam von ganz oben, vom damaligen Präsidenten und Oberbefehlshaber Ferdinand Marcos. Hintergrund des Operationsplans «Merdeka» (Freiheit) war der 1962 erhobene Anspruch auf Sabah, Anlass war ein bevorstehender Wahlkampf.

Nach dem Massaker entstand die Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF), die von Malaysia unterstützt wurde.