Offshore-Leaks: Die Geografie des Geldes
Längst war alles bekannt, wie ein Dürrenmatt-Leak zeigt: Vor rund einem Vierteljahrhundert veröffentlichte der Schriftsteller seinen letzten Roman, «Durcheinandertal», über den Grossen Alten: den reichsten Menschen der Welt, der bei seinen Machenschaften von einem Verbrechersyndikat und von der Anwaltskanzlei Raphael, Raphael und Raphael an der Minervastrasse in Zürich unterstützt wird. Die drei Anwälte sehen alle gleich aus, sprechen gleich, und über ihre Geschäftsreisen heisst es: «Wusste niemand, wer da flog, so wusste der nicht, der da flog, wohin er flog, denn er wurde stets anderswohin geflogen, aber auch zu wem, war nie festzustellen. Das Flugzeug war fensterlos, und es war unmöglich, ins Cockpit zu gelangen.»
Doch nicht alles war im Detail bekannt: Mit Daten aus dem Offshore-Leak des Portcullis-Trusts aus Singapur und der Commonwealth Trust Limited auf den britischen Virgin Islands, die letzte Woche publik wurden, kann nachgezeichnet werden, wie die Finanzströme zur Steuervermeidung genau verlaufen. Sofern man darauf Zugriff hat: Die investigative Journalistenstiftung ICIJ in Washington, der die Daten von bisher unbekannter Seite zugestellt wurden, hat ausgewählten Medientiteln exklusiv Einblick gewährt.
Die Daten geben demnach den SteuerhinterzieherInnen ein Gesicht. Es sind Potentaten, Kunstsammlerinnen oder Waffenhändler. Ihre Helfershelfer erhalten eine Adresse. Raphael, Raphael und Raphael heisst in der Wirklichkeit Lenz & Stähelin, und Dürrenmatts Apokalypse wird bloss dadurch übertroffen, dass in dieser Kanzlei am Bleicherweg in Zürich nicht drei, sondern 169 AnwältInnen arbeiten.
Sichtbar wird eine Geografie des Geldes. Dass die JournalistInnen die Verwirrwege des mobilen Kapitals gerne in Karten aufzeichnen, hat seine Logik: Das Kapital wird durch kleinste juristische Einheiten wie die Schweizer Kantone oder eine Karibikinsel gejagt, was erstens seine Herkunft verschleiert und es zweitens von Steuern befreit. Das unabhängige Tax Justice Network schätzt die Summe des Schwarzgelds weltweit auf zwanzig bis dreissig Billionen Franken. Seit 2005 wächst die Summe jährlich um fünfzehn Prozent.
Einzuzeichnen auf diese Karten des 21. Jahrhunderts wären noch die Zäune und Drohnen zur Migrationsabwehr, wobei das natürlich eine andere Geschichte ist. Oder doch die gleiche, stammt doch die Hälfte des Fluchtkapitals aus den Entwicklungsländern.
In der Schweiz konnte aufgeatmet werden: Nur 300 Namen in Offshore-Leaks! Die Daten betreffen vor allem britische Trusts. «Ich bin froh, dass für einmal auch über andere Finanzplätze gesprochen wird», sagte Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und forderte «gleich lange Spiesse für alle Steueroasen». Als ob UBS und Credit Suisse als weltweit grösste Vermögensverwalterinnen im System der Steuervermeidung nicht weiterhin eine zentrale Rolle spielten. Entsprechend werden sie in den Dokumenten tausendfach erwähnt. Gleich lange Spiesse – für wen schon wieder?
Es braucht neben dem investigativen Journalismus, der dem letzten, geheimen Dokument nachspürt, auch einen interpretierenden: Die Welt ist kein Geheimnis, und die Politik, die immer mehr Geld in die Hände von wenigen spielt, ist offensichtlich. Gerade in der Schweiz.
Eine Arbeitsgruppe von Bund und Kantonen diskutiert derzeit, wie der Kritik der EU an der Steuerbefreiung von Spezialgesellschaften begegnet werden soll: Die Genfer Regierung fordert für die Rohstoffhandelsfirmen eine Senkung der allgemeinen Gewinnsteuern auf dreizehn Prozent, was allein in den grössten Wirtschaftskantonen Zürich, Basel, Waadt und Genf Steuerausfälle von jährlich zwei Milliarden Franken bedeuten würde. Die rot-grüne Basler Regierung will für die Pharmakonzerne und die Industrie «Innovationsboxen» einführen, wodurch Erfindungen und ihre Erträge ebenfalls weniger besteuert würden.
Die Karte ist hier zu ändern, wo sie erneut entworfen wird.
siehe auch «Die Schweiz wird sich noch wundern»