«Der seltsame Fremde»: Aus der Welt gefallen

Nr. 18 –

Christian Hallers bildungsbürgerliches Roadmovie ist auch eine Satire auf den globalisierten Kulturbetrieb.

Es steckt viel drin in Christian Hallers neuem Buch: eine Geschichte der Wahrnehmung, sei es der Bilder, des eigenen Ichs oder der Himmelsvisionen von Dante bis zur heutigen Astrophysik. All dies ist schön verpackt in ein dramatisches Roadmovie, das der Ich-Erzähler Clemens Lang erleidet.

Lang ist ein Fotograf der meditativen Art, der immer wieder den Fluss vor seinem Haus fotografiert hat. Überraschend wird er zu einem internationalen Kongress über Fotografie eingeladen. Schon beim Warten auf den Flug in das fiktive Land, das sowohl eine koloniale Vergangenheit wie eine sozialistische Diktatur hinter sich hat, fühlt er sich wie aus der Welt gefallen – erst recht, als sich ein selbst ernannter «Causeur» als Begleiter anbietet, der seine irdische Existenz einfach an- und ablegen kann. Dieser (mit Mark Twains «Geheimnisvollem Fremden» verwandte) Teufelskerl macht sich ein Vergnügen daraus, Clemens Lang zu verunsichern – und sorgt auch beim Kongress für einen Eklat.

Mit der Beschreibung des Kongresses liefert Haller, der Ende Februar seinen 70. Geburtstag feierte, auch eine Satire auf den globalisierten Kulturbetrieb, dessen ExponentInnen sich im Smog einer südlichen Grossstadt im Stau durch Slums quälen, um sich im ehemaligen «Englischen Klub» zu hochdifferenzierten Gesprächen über Ästhetik zu versammeln oder im Museum für Gegenwartskunst, das sich im Gebäude der früheren Zentrale der Staatssicherheit befindet, über Porträts von Stars zu reflektieren.

Roadmovie und Satire bieten eine fesselnde Lektüre. Ausgebremst wird diese allerdings durch langatmige kulturgeschichtliche und philosophische Betrachtungen des seltsamen Fremden, der zuweilen auch Züge eines früheren Mentors annimmt: Jener Grüninger hat Clemens Lang einst in der Hinwendung zur Kunst bestärkt. Oder hat er ihn manipuliert? Die Frage nach der Identität, die in der Fremde so brüchig wird, bildet die unterirdische Strömung im Fluss dieses vielschichtigen Romans.

Christian Haller: Der seltsame Fremde. Luchterhand Literaturverlag. 
München 2013. 384 Seiten. Fr. 32.90