Mörderischer Pfingstglauben in Guatemala: Mit Sturmgewehr und Bibel

Nr. 19 –

Der ehemalige guatemaltekische Diktator Efraín Ríos Montt ist der grausamste aller Pfingstprediger. Sein Glaube und seine Massaker an der Zivilbevölkerung waren Teil einer Antiaufstandsstrategie der USA.

Der Prediger steht vor Gericht. Efraín Ríos Montt, Guatemalas prominentestes Mitglied der Pfingstkirche Verbo (deutsch: das Wort), ist angeklagt wegen Völkermord. Der 86-Jährige ist nicht nur fanatischer evangelikaler Christ; er ist auch General und war in den Jahren 1982 und 1983 siebzehn Monate lang Militärdiktator des zentralamerikanischen Landes. 43 Prozent der rund 250 000 Morde des 36 Jahre währenden Bürgerkriegs wurden in dieser kurzen Zeit begangen. Eine Wahrheitskommission der Uno hatte schon 1999 festgestellt, dass unter der Herrschaft dieses Pfingstpredigers ein Völkermord am indigenen Volk der Maya stattgefunden hat. Dreissig Jahre später muss er sich endlich seinen damaligen Taten stellen.

Ríos Montt hat seinen Glauben immer stolz vor sich hergetragen. In den ersten Monaten seiner Gewaltherrschaft trat er Sonntag für Sonntag in Radio und Fernsehen auf, meist in Zivil, in der Hand eine Bibel und neben sich einen Kerzenleuchter. Er sprach über Politik, über Wirtschaft, über Soziales, immer mit einem religiösen Unterton und im Stil eines evangelikalen Predigers. Im Volksmund nannte man diese sonntäglichen Regierungserklärungen «Predigten», und irgendwie waren sie es auch. «Ein guter Christ», sagte Ríos Montt einmal in einer solchen Ansprache, «hat in der einen Hand das Sturmgewehr und in der anderen die heilige Bibel.»

Jorge Serrano Elías, unter Ríos Montt Kabinettchef und von 1991 bis zu einem gescheiterten Selbstputsch 1993 gewählter Präsident Guatemalas, hat das Phänomen dieses heiligen Kriegers einmal so erklärt: «Er hat zwei Wertesysteme im Kopf: Zum einen ist er ein Soldat und zum anderen ein moralischer Krieger. Nur wenn man beides zusammen sieht, kann man seine Regierungszeit verstehen.» Das US-Nachrichtenmagazin «Newsweek» nannte Ríos Montt den «Ayatollah von Guatemala»; er selbst sieht sich als Werkzeug der göttlichen Vorsehung und hat deshalb bis heute keinerlei Schuldbewusstsein.

Als Ríos Montt im März 1982 mit einem Putsch die Macht an sich riss, feierte seine in Eureka, Kalifornien, entstandene Kirche den 100. Jahrestag ihrer Gründung. Damals, 1882, wurde in Guatemala der erste evangelische Christ offiziell registriert. Das Land war so gut wie ausschliesslich katholisch und blieb es noch lange: 1940 bekannten sich nach einer Volkszählung noch nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung zu einer protestantischen Glaubensgemeinschaft. Als Ríos Montt putschte, war es schon nahezu ein Viertel, und heute sind es 43 Prozent. Fast alle gehören Pfingstkirchen oder anderen konservativen evangelikalen Organisationen an.

Von der CIA gesandt

Die Gründe für das rasante Wachstum sind gut dokumentiert: im Bericht der sogenannten Rockefeller-Kommission von 1975. Die vom damaligen US-Präsidenten Gerald Ford eingesetzte und von seinem Vizepräsidenten Nelson Rockefeller geleitete Kommission untersuchte illegale Aktivitäten des Geheimdiensts CIA. Unter anderem wird im abschliessenden Dokument von einem Programm berichtet, bei dem es darum ging, massenhaft Pfingstprediger zur Mission nach Lateinamerika zu entsenden. Denn die katholische Kirche, glaubte die CIA nach diesem Bericht, sei «empfänglich für die subversive Unterwanderung» antiamerikanischer Kräfte.

Im südlichen Teil des Kontinents hatten die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 und vor allem die lateinamerikanische Bischofskonferenz 1968 im kolumbianischen Medellín Wirkung gezeigt. Die Mehrheitskirche hatte sich zur sogenannten «Option für die Armen» verpflichtet, die Befreiungstheologie entstand, Priester und Seminaristen schlossen sich linken bewaffneten Aufstandsbewegungen an oder unterstützten sie: Camilo Torres in Kolumbien, Ernesto Cardenal in Nicaragua. Dem sollten die reaktionären Pfingstler mit ihrer Mission ein Ende bereiten. Denn Pfingstler wollen keine Veränderung der Verhältnisse. Sie denken nicht kollektiv und in sozialen Kategorien, wie es die damaligen Befreiungstheologen taten. Pfingstler suchen das ganz individuelle Erweckungserlebnis.

Die Anfang der 1970er Jahre einsetzende massive Missionierung durch Prediger aus den USA «war eindeutig Teil eines Antiaufstandsplans», sagt die guatemaltekische Anthropologin Claudia Dary. «Jede Konvertierung war ein Erfolg für den Antikommunismus der USA, ein Leben fern von jeglicher Politik wurde als ideal angesehen.» Die neuen Kirchen wurden vor allem in den ärmsten ländlichen Gegenden gegründet; dort, wo staatliche Institutionen kaum präsent waren und wo man glaubte, dass Befreiungstheologen oder gar Guerilleros schnell AnhängerInnen finden könnten. Das Ziel der Missionierung war «nicht spirituell», schreibt der in Guatemala lebende argentinische Sozialpsychologe Marcelo Colussi. «Es war eine Strategie der sozialen Kontrolle.»

Dreieinigkeit der Politik

Ríos Montt hat diese Strategie auf ihre tödliche Spitze getrieben. Seinen Glauben an die göttliche Dreifaltigkeit übersetzte er in eine Dreieinigkeit der Politik: Moral, Disziplin und nationale Einheit. In der guatemaltekischen Gesellschaft erkannte er drei grosse Sünden: fehlende Verantwortung, kein Respekt vor der Autorität und keine Moral. Das sichtbarste Symptom dieser Sünden war ihm «die Subversion». In anderen Worten: die linke Guerilla und ihre tatsächlichen oder vermeintlichen UnterstützerInnen.

Die Sünde von der Erde zu tilgen, war für Ríos Montt gleichbedeutend mit einer Strategie der verbrannten Erde in den Rückzugsgebieten der damaligen linken Guerilla URNG. Mehr als 400 Mayadörfer wurden in seiner kurzen Regierungszeit dem Erdboden gleichgemacht, Hunderte von Massakern an der Zivilbevölkerung begangen. Für den Diktator war dies ein notwendiger Reinigungsprozess, nach seinen eigenen Worten ein «Heiliger Krieg». Er träumte von einem «neuen Guatemala», das er sich nach dem Vorbild des «neuen Jerusalem» aus dem 21. Kapitel der Offenbarung des Johannes ausmalte: ein Land, das am Ende aller Tage vom Himmel herabfährt. Vorher aber kommt es zum Endkampf zwischen Gott und Teufel, zur Apokalypse. Die Apokalypse hat das Land unter Ríos Montt durchlitten. Das «neue Guatemala» aber ist bis heute nicht entstanden.