Wichtig zu wissen: Zweitvisionungen
Susi Stühlinger über Träume und Visionen des FC-Sion-Präsidenten.
«Hurensohn, Scheisstyp!», schrie er, hastete die Stufen hoch und haschte nach Franz Webers Gurgel. Doch bevor er zupacken konnte, zerrte ihn Landschaftsschützer Raimund Rodewald weg und führte ihn unter dem Hohngelächter der Fans vom Gelände, während Weber sich diskret durch den Hintereingang drückte. Christian Constantin erwachte schweissgebadet. Dieser Traum verfolgte ihn seit Tagen: Er, Präsident des FC Sion, in einer absurden Parodie der Rolle von Xavier Margairaz, seinem besten Mittelfeldspieler im Stall, der nach einer bitteren Niederlage gegen die Grasshoppers hatte handgreiflich werden wollen. Es war ein Albtraum, den das Bundesgericht mit seinem Entscheid zur Zweitwohnungsinitiative bereits hatte wahr werden lassen.
Vom Chaletprojekt in Randogne bei Crans-Montana würde nicht mehr übrig bleiben als ein paar Aktenordner voller wertloser Projektskizzen. Und im Gegensatz zu den Vorfällen im Tourbillon-Stadion half ihm in dieser Sache auch ein Dutzend stramme Robocops nicht weiter. Also kein Briefkastenchalet für den bayrischen Kollegen Uli Hoeness, keine Walliserplatte im Kerzenschein mehr mit Bill Gates. Vielleicht war es eine Fügung des Schicksals: Kaum hatte er das Kader des FC Sion grosszügig restrukturiert, restrukturierte der vermaledeite Franz Weber seine Visionen. Christian Constantin verwarf den Gedanken und wälzte sich in seiner Bettwäsche aus exklusiver Thaiseide. Er glaubte in Wahrheit nicht an Fügung und auch nicht an Gott und war geneigt, auch an die CVP nicht mehr zu glauben, nachdem Christophe Darbellay die angekündigte Anti-Zweitwohnungsinitiativen-Initiative auf Druck der Restschweizer Parteikollegen im Rekordtempo zurückgezogen hatte.
Nein, so konnte es nicht weitergehen, er brauchte neue Verbündete. Die einstige Idee der Ausgliederung des Kantons Wallis aus der Eidgenossenschaft hatte er mittlerweile verworfen. Er brauchte eine neue Idee. Eine Vision. Etwas, das ihn wieder ins Rennen brachte. Denn noch hatte der ägyptische Kollege Sawiris gut lachen. Noch war dessen Projekt in Andermatt noch nicht wie sein eigenes gestorben.
Ägypten. Moment. Der FC-Sion-Präsident kratzte sich am Kopf. Ägypten! Die Verpflichtung dieses ägyptischen Goalies damals, die ihm die Transfersperre beschert hatte. Er musste transferieren. Oder, ähm, transformieren. Vom Bett aus tätigte er einen kurzen Anruf nach Laax. Es sollte kein Problem sein. Er würde die Chalets doch noch bauen – als Unterkunft für nordafrikanische Asylbewerber. Und wenn die Chalets längst gebaut wären, würde die Walliser Bevölkerung auf die Barrikaden gehen, wie es die Laaxer Bevölkerung gerade bei diesem Hotel getan hatte, und dann war der Weg frei. Er nahm erneut den Hörer zur Hand und wählte die Nummer von Staatsrat Oskar Freysinger. Einige Stunden später wurden sie sich bei einer Flasche Fendant einig. Constantin durfte das Experiment zur Rettung seines Projekts wagen – im Gegenzug würde der Staatsrat die verbleibenden FC-Sion-Fans jeweils in der Halbzeitpause mit selbst geschriebenen Liedern und Gedichten beglücken.
Susi Stühlinger freut sich, wenn der FC Sion in der übernächsten Saison in die Challenge League absteigt und auf ihren frisch dorthin aufgestiegenen Heimklub FC Schaffhausen trifft.