Interpol: Pharmamillionen für die internationale Polizeiarbeit

Nr. 29 –

Die Pharmaindustrie versucht zunehmend Einfluss auf die Arbeit von Polizei und Zoll auszuüben. Dafür wird schon mal Interpol in Lyon gesponsert.

Es ist eine dieser Nachrichten, die man leicht übersieht. Auf Anregung des Pharmakonzerns Glaxo Smith Kline hielten die niederländischen Zollbehörden im November 2008 in Amsterdam 49 Kilogramm indische Aidsmedikamente zurück. Die günstigen Generikaprodukte waren für PatientInnen in Nigeria bestimmt. Sowohl in Indien als auch in Nigeria waren die Medikamente zugelassen, die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte ihre Qualität sogar durch Tests bestätigt. Doch Glaxo Smith Kline hatte offensichtlich ein Interesse an der verzögerten Auslieferung, denn die Nachahmerprodukte waren günstige Kopien der eigenen teuren Präparate. «Jeder gewonnene Tag beziffert sich für die Pharmaindustrie in Millionen von Franken», sagt dazu Patrick Durisch von der Organisation Erklärung von Bern. In der Zwischenzeit, so Durisch, müssten die PatientInnen die Produkte der Originalhersteller kaufen.

Der Vorfall in Amsterdam ist kein Einzelfall: Im November 2009 wurde in Rotterdam einen Monat lang die Lieferung eines Blutdruckmedikaments für 300 000 brasilianische PatientInnen gestoppt, ein Jahr später wurden in Frankfurt drei Millionen Tabletten eines Antibiotikums blockiert. Jedes Mal war es ein grosses Pharmaunternehmen, das die Lieferung verzögert hatte. Und der Einfluss der Pharmaindustrie auf Polizei und Zollbehörden nimmt weiter zu. Im März dieses Jahres wurde bekannt, dass 29 grosse Pharmakonzerne der internationalen Polizeiagentur Interpol zusammen eine Spende von 4,5 Millionen Euro zukommen lassen.

Fifa, Tabakfirma, Pharma

Interpol ist mit 190 Mitgliedstaaten die nach der Uno zweitgrösste zwischenstaatliche Organisation. Von Lyon aus arbeiten mehr als 500 BeamtInnen daran, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Polizeistellen der einzelnen Mitgliedstaaten zu verbessern. Interpol schult zudem Polizistinnen und Zollbeamte und fahndet im Auftrag der Staaten nach VerbrecherInnen.

Seit den achtziger Jahren hat sich die Zahl der MitarbeiterInnen bei Interpol fast verdoppelt, die Zahl der Fahndungen mehr als verzehnfacht. Das Budget der Organisation ist allerdings mit aktuell siebzig Millionen Euro vergleichsweise klein geblieben. Jahrelang hatte Interpol nur Geld von seinen Mitgliedstaaten sowie einzelnen Stiftungen bekommen. Vor zwei Jahren änderte sich das, als der Weltfussballverband Fifa zwanzig Millionen Euro spendete, um den Kampf gegen Wettbetrug zu verstärken. 2012 spendete der Tabakkonzern Philip Morris fünfzehn Millionen Euro, um Interpols Aktivitäten gegen den Zigarettenschmuggel zu unterstützen. Gleichzeitig brachte der Konzern Interpol dazu, sich künftig auf das von der Tabakindustrie entwickelte Kontrollsystem zur Identifizierung von Zigarettenpackungen zu stützen, das viele ExpertInnen als zu wenig effektiv ablehnen. Der Tabakindustrie wird vorgeworfen, oft selbst in Schmuggelaktivitäten involviert zu sein.

Bei der aktuellen Spende der Pharmaindustrie, die über einen Zeitraum von drei Jahren ausbezahlt werden soll, geht es um die Finanzierung einer «globalen Initiative gegen gefälschte Medikamente». Merkwürdig ist, dass Interpol dabei nach eigenen Angaben eng mit dem Institut der Forschung gegen gefälschte Medikamente (IRACM) zusammenarbeitet. Das IRACM mit Sitz in Paris wurde vom Pharmakonzern Sanofi gegründet, der auch dessen MitarbeiterInnen bezahlt. Bereits im Oktober 2012, so schreibt Interpol, habe man in Mexiko gemeinsam mit dem IRACM einen Trainingskurs organisiert mit dem Zweck, «bei lateinamerikanischen Beamten investigative Kompetenzen bei der Erkennung von Pharmaverbrechen zu schulen».

Der Verdacht besteht, dass die Pharmaindustrie mit ihrem Interpol-Sponsoring nicht primär den Kampf gegen gefährliche Medikamentenfälschungen verstärken, sondern unliebsame Generikakonkurrenten schwächen will. Die Pharmaindustrie wolle durch die Kooperation mit Interpol «Verwirrung stiften und Verdächtigungen schüren», so etwa die Einschätzung von Iván Germán Velázquez. Der 34-jährige Argentinier leitete bis 2010 die Abteilung Gesundheit, Innovation und Urheberrecht der WHO. Mit seiner internationalen Organisation South Centre berät er heute Entwicklungsländer. Die Industrie vermische absichtlich die Begriffe «Fälschung eines Originals» und «Kopien schlechter Qualität», sagt Velázquez. Seine Befürchtung: Interpol könnte künftig gegen die Generikaindustrie eingesetzt werden.

Wie eng sind die Maschen?

Der einzige Unterschied zwischen einem Originalpräparat und einem Generikum ist der Preis. Tatsächlich verkaufen Generikahersteller etwa aus Indien oder Brasilien ein bis auf den Namen identisches Produkt viel billiger, mitunter beträgt der Preis bloss ein Hundertstel desjenigen des Originals. So kommt es, dass heute bereits sieben Millionen Menschen mit indischen Aidsmedikamenten versorgt werden.

Man dürfe den Deal zwischen Interpol und der Pharmaindustrie nicht nur negativ bewerten, sagt dagegen Patrick Durisch. «Gut ist, dass sich Interpol kriminellen Netzen zuwendet, die giftige Medikamente vertreiben und der öffentlichen Gesundheit schaden», sagt er. Wenn aber die Maschen des Netzes zu eng gewoben würden, könnten auch Generika in diese Kategorie fallen. Das Interesse der Industrie bei dem Deal sei, den ZöllnerInnen mehr Macht zu geben und ihnen zu sagen: «Wenn ihr auch nur den kleinsten Zweifel habt, haltet die Ladung an.» Hier liege das Problem. «Ob es sich um eine Fälschung handelt oder nicht, muss eine Kommission feststellen», findet Durisch.

«Es geht darum, die Patienten zu schützen», betont der Schweizer Pharmalobbyist Thomas Cueni, der den Deal mit Interpol ausgehandelt hat. Cueni bemüht im Gespräch den Vergleich mit der Uhrenindustrie: Eine echte Rolex bekomme man auch nicht für hundert Euro. Auch das Interpol-Generalsekretariat unterstreicht auf Nachfrage die hehren Absichten der gemeinsamen Initiative. Kein Unterzeichner eines Abkommens mit Interpol habe Einfluss auf Programme und die Nutzung der Gelder. Der Kampf gegen die Pharmakriminalität sei jedoch von grossem Interesse. Sie bedrohe die Gesundheit von «Millionen von Menschen in der ganzen Welt». Man ermutige «Pharma-Markenhersteller und Generikaproduzenten» gleichermassen, die Polizeiarbeit zu unterstützen.

Allerdings gehören bis jetzt nur Markenfirmen zu den Interpol-Sponsoren.

Was ist eine Fälschung?

Die Pharmaindustrie hat eine andere Vorstellung von der Definition eines gefälschten Arzneimittels als etwa Ge­sund­heits­prak­ti­ker­In­nen. Das zeigte sich am Beispiel der 2011 gescheiterten Verhandlungen innerhalb der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion über den Kampf gegen gefälschte Medikamente. Die massive Einflussnahme der Pharmaindustrie auf die Verhandlungen sei auf starke Kritik gestossen, erinnert sich Hans-Georg Koch vom Max-Planck-Institut für ausländisches und in­ter­natio­na­les Strafrecht. Man habe sich nicht auf eine für alle Staaten geltende De­fi­ni­tion einigen können. «Schliesslich haben Brasilien und Indien die Verhandlungen platzen lassen», sagt Koch. In diesen Ländern steht Patientenschutz über Patentschutz.