Kenia: Der minutiös geplante Treuebeweis des Emirs
Mit dem Anschlag auf ein Einkaufszentrum in Nairobi meldet sich die somalische al-Schabab zurück. Damit dürften interne Machtkämpfe vom Tisch und die Unterstützung durch al-Kaida gesichert sein.
Oft habe ich samstags gegen ein Uhr mittags meinen Einkaufswagen durch die Regalreihen des Megamarkts in Nairobis Westgate Mall geschoben, sauer auf mich selbst, dass ich nicht früher aus dem Haus gekommen bin, um den Massen an der Kasse zu entgehen. Um diese Uhrzeit hatte sich das von Glas, Chrom und Gold glitzernde Einkaufszentrum bereits in eine Freizeitlandschaft für Besserverdienende verwandelt, mit Verkaufsshows, Hüpfburgen und Promibühnen. Tausende strömten in die Westgate Mall, um sich zu vergnügen. Die Terroristen, die am vergangenen Samstag um 13 Uhr das Gebäude stürmten, wussten das. Sie hatten die Zeit bewusst gewählt, um möglichst viele Menschen zu ermorden.
FreundInnen und Bekannte, die an diesem Tag durch die Regalreihen hasteten und auf einmal Schüsse und Detonationen hörten, erzählen von herzzerreissenden Schicksalen. Besonders bewegt mich die Geschichte eines Bekannten, vor dessen Augen einer der Terroristen eine hochschwangere Frau mit einem Kopfschuss hinrichtete. Sie hatte zuvor eine Koransure aufgesagt. «Warum hast du sie getötet, sie war doch Muslimin», keuchte mein Bekannter. «Weil sie nicht verhüllt war», erwiderte der Angreifer. Meinen Bekannten, auch er ein Muslim, liessen sie laufen; er hasst sich jetzt selbst dafür.
Zum schlimmsten Anschlag in Kenia seit 1998 mit über siebzig Toten und 200 Verletzten hat sich die islamistische militante Bewegung al-Schabab bekannt, die bis heute in Teilen Somalias brutal regiert. Die Uno schätzt die Zahl der selbst ernannten GotteskriegerInnen auf 5000. Einige Hundert davon sollen aus dem Ausland sein – viele, nicht alle, mit somalischen Wurzeln. Seit Kenias Armee Ende 2011 in Somalia einmarschiert ist, um die Schabab zu vertreiben, hat die Schabab-Führung spektakuläre Anschläge in Kenia angedroht. Mehrere sollen in den letzten Monaten verhindert worden sein.
Drei Autos hielten AugenzeugInnen zufolge vor der Mall. Zwischen zehn und fünfzehn Vermummte teilten sich in kleinere Gruppen auf. Minuten später eröffneten sie von Eingängen im Erdgeschoss und im dritten Stock aus das Feuer, während die Nachhut draussen auf PassantInnen schoss. Das Massaker, so viel steht fest, war minutiös geplant. Tagelang hielt die kleine Gruppe Hunderte SoldatInnen und Spezialkräfte in Schach; in zwei grossen Taschen soll sie Sprengsätze und Munition mitgebracht haben. Die Westgate Mall stand auf der Liste der Terrorziele ganz oben, das wussten auch die israelischen Besitzer, doch auf einen derart brachialen Angriff waren sie nicht vorbereitet.
Für Schabab-Chef Ahmed Abdi Godane, genannt Abu Zubeyr, war der Anschlag ein Befreiungsschlag. Denn intern brodelt es bei der Miliz. Seit der heute 37-Jährige vor fünf Jahren den Posten des Emirs der Schabab übernommen hat – Vorgänger Aden Hashi Ayro war von einer US-Drohne getötet worden –, ging es mit der Bewegung bergab. Zuletzt stellte selbst einer seiner engsten Vertrauten, Ibrahim al-Afghani, Abu Zubeyrs Treue zum Terrornetzwerk al-Kaida infrage – in einem offenen Brief an Al-Kaida-Chef Sawahiri. Abu Zubeyr liess Afghani dafür hinrichten, ebenso wie den amerikanischen Dschihadisten Abu Mansur «al-Amriki». Andere interne Kritiker flohen und drohten damit, al-Schabab entlang Klanlinien auseinanderbrechen zu lassen. Für Abu Zubeyr, dessen Volksgruppe im Süden Somalias bedeutungslos ist, wäre dies das Ende gewesen. Mit dem Anschlag in Nairobi aber ist sein Problem gelöst – zumindest vorläufig. Zwar befindet sich al-Schabab in Somalia weiter militärisch unter Druck, doch kann dem Emir nun kaum noch jemand Stärke und Entschlossenheit absprechen.
Noch wichtiger dürfte sein, dass Abu Zubeyr der Al-Kaida-Führung seine Treue zum globalen Dschihad unter Beweis gestellt hat. Denn die Hilfe al-Kaidas braucht die Schabab dringend, seit Kenias Armee die Hafenstadt Kismayo befreit hat. Allein mit der Verschiffung von Holzkohle soll die Gruppierung dort über 36 Millionen Franken jährlich eingenommen haben – Geld, das ihr für den Kampf gegen den seit einem Jahr regierenden Präsidenten Hassan Scheich Muhammad und die knapp 18 000 afrikanischen Friedenssoldaten in Mogadischu fehlt. Ein Ziel des Anschlags dürfte daher auch sein, in Kenias Öffentlichkeit Druck für einen Truppenabzug aus Somalia zu erzeugen. Dann, so die Hoffnung, könnte al-Schabab Kismayo wieder einnehmen.
Doch ob das Kalkül aufgeht, ist unklar. Seit dem Anschlag steht das seit den Unruhen 2008 zerrissene kenianische Volk zusammen wie lange nicht mehr. Tausende spenden Blut für Verletzte und Geld für die Hinterbliebenen. Präsident Uhuru Kenyatta wird quer durch alle Lager für staatsmännische Sätze wie diesen gelobt: «Kenia wird unbesiegbar bleiben, so wie die Löwen in unserem Wappen.» Vizepräsident Ruto wurde sogar, damit er nach Nairobi zurückkehren kann, vom Internationalen Strafgericht in Den Haag freigestellt, wo gegen ihn wegen seiner Beteiligung an den blutigen Ausschreitungen nach der umstrittenen Wahl von 2007 verhandelt wird. Das verfemte Duo mit Kenyatta und Ruto an der Spitze Kenias dürfte neben der Schabab zu den grössten ProfiteurInnen des Anschlags gehören.
Der Weg zur Agenda
Der weitere Prozess zur detaillierten Formulierung der neuen Entwicklungsziele lässt den NGOs und den Direktbetroffenen eher wenig Platz. An der Uno-Generalversammlung 2014 sollen zwar «sämtliche Vorschläge» präsentiert werden, doch danach liegt es vor allem an den RegierungsvertreterInnen, die Ziele zu verhandeln. Im September 2015 sollen die versammelten Staats- und Regierungschefs die «Post-2015-Agenda» verabschieden.