Universität Zürich: Die missachtete Fürsorgepflicht
Die Universität Zürich und das Hochschulamt müssen im Fall Ritzmann über die Bücher. Mit der voreiligen Weitergabe von E-Mail-Daten haben sie – statt sich vor ihre MitarbeiterInnen zu stellen – wohl personalrechtliche Pflichten verletzt.
In einem Punkt sind sich alle einig: Es ist viel Geschirr zerschlagen worden an der Universität Zürich. Rektor Andreas Fischer trat daher letzte Woche – kurz nach WOZ-Redaktionsschluss – per sofort von seinem Posten zurück. Für ihn wurden in der Öffentlichkeit bestenfalls ein paar Krokodilstränen verdrückt. Nun sollen die Scherben zusammengekehrt, der Geschirrschrank Universität wieder aufgeräumt werden. Verschiedene Gremien bemühen sich dieser Tage um eine Klärung der Ereignisse rund um die Entlassung von Iris Ritzmann, Professorin des Medizinhistorischen Instituts.
So lässt die Universitätsleitung die Umstände der Kündigung durch einen externen Gutachter, den ehemaligen Direktor des Bundesamts für Justiz, Heinrich Koller, überprüfen. Sie hält zwar an der Kündigung fest, verzichtet aber gemäss Medienmitteilung auf die angedrohte Aberkennung von Ritzmanns Professorinnentitel und Lehrbefugnis sowie auf die geforderte Lohnrückzahlung. Interimsrektor Otfried Jarren, der Fischers Posten bis Ende Januar 2014 einnimmt, begründete diese Entscheidung damit, dass die Schritte der Unileitung in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis gestossen seien – und nicht etwa damit, dass diese aus arbeitsrechtlicher Sicht mehr als fragwürdig sind. Denn wird eine Angestellte durch ihre Vorgesetzten freigestellt, hat sie auch ohne Arbeitsleistung weiterhin Anspruch auf ihren Lohn.
Der Rechtsdienst der Universität Zürich scheint in grundlegenden arbeitsrechtlichen Fragen nicht besonders sattelfest zu sein. Auch in Sachen Datenschutz für MitarbeiterInnen hapert es gewaltig. Empörung löste nicht zuletzt die anscheinend bedenkenlose Weitergabe von E-Mail- und Telefondaten von UZH-MitarbeiterInnen durch die Universitätsleitung an die Staatsanwaltschaft aus.
Kritik des Grundrechtsexperten
Bildungsdirektorin und Universitätsrätin Regine Aeppli (SP) kündigte nun diese Woche an, dass der Universitätsrat die offenen Fragen bezüglich der Weitergabe von Telefon- und E-Mail-Daten klären wolle. Der kantonale Datenschutzbeauftragte Bruno Baeriswyl leitete derweil eine Überprüfung der Weitergabe von MitarbeiterInnendaten an die Strafverfolgungsbehörden ein: In einem Schreiben an den Datenschutzbeauftragten begrüsst der Mittelbau des Historischen Seminars diesen Schritt.
Auf Nachfrage der WOZ erklärt der Zürcher Anwalt und Grundrechtsexperte Viktor Györffy, dass die Universität vor der Herausgabe der Daten von der Staatsanwaltschaft eine sogenannte Editionsverfügung hätte verlangen können: «Eine solche Verfügung muss allerdings präzise formuliert sein und lässt keine Rasterfahndung zu, wie es im Fall der Uni Zürich geschehen ist.» Der Staatsanwalt kann demnach in einer Editionsverfügung nicht Einsicht in alle Mails einer Domain verlangen, auch nicht in alle, die beispielsweise an JournalistInnen der Tamedia gingen – diese Forderung wäre unverhältnismässig und zu unpräzise für eine Editionsverfügung. Er darf nur die Daten bestimmter Personen verlangen, gegen die ein konkreter Verdacht besteht. «Bei Banken werden oft Editionsverfügungen eingereicht», sagt Viktor Györffy. «Es wäre undenkbar, dass eine Bank der Staatsanwaltschaft Zugang zu sämtlichen Kundendaten gewähren würde, bis diese etwas findet, das sie verwerten kann. Die Staatsanwaltschaft kann auch nicht von der Bank verlangen, in allen Kundendaten nach bestimmten Geschäftsbeziehungen zu suchen und so die Verdächtigen für die Staatsanwaltschaft zu ermitteln. Die Uni hat aber genau dies zugelassen.» Die Universität Zürich hat demnach aus Sicht Györffys personalrechtliche Pflichten, insbesondere die Fürsorgepflicht, sowie Datenschutzpflichten verletzt.
Der Konflikt mit Mörgeli
Es stellt sich nun die Frage, ob dieselben Vorwürfe nicht auch an die Bildungsdirektion gerichtet werden könnten. Im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» sagte Regine Aeppli, dass der Staatsanwalt auch Daten aus dem Hochschulamt verlangt habe. Abklärungen mit einem «erfahrenen Strafverteidiger» hätten ergeben, dass die Staatsanwaltschaft im Fall einer Nichtherausgabe der Daten das Zwangsmassnahmengericht angerufen hätte, das die Herausgabe der Daten dann ohnehin verfügt hätte. Statt sich also vor Gericht für den Schutz von MitarbeiterInnendaten einzusetzen und ein Urteil abzuwarten, gab auch die Bildungsdirektion Daten in vorauseilendem Gehorsam heraus und unterscheidet sich in ihrem Verhalten somit nicht wirklich von der Unileitung.
Inwiefern auch Studierende von der Weitergabe solcher Daten betroffen sind, wird laut Prorektorin Andrea Schenker-Wicki eine interne Arbeitsgruppe der Universitätsleitung untersuchen. Gleichzeitig werde abgeklärt, wie die Datenschutzbestimmungen diesbezüglich aussehen, sagte Schenker-Wicki zur WOZ.
Am Sonntag wurde ausserdem bekannt, dass sich Iris Ritzmann in einem Antrag an die Staatsanwaltschaft und in einer Beschwerde vor Obergericht dagegen wehrte, dass Christoph Mörgeli im laufenden Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung als Geschädigter geführt wird.
Mit dem Geschädigtenstatus sind einige Rechte verbunden, wie beispielsweise die Einsicht in die Akten des laufenden Verfahrens und deren freie, auch öffentliche Verwendung. In den Untersuchungsakten der Staatsanwaltschaft dürften sich auch vertrauliche Informationen und private Details von Personen finden, die nichts mit dem Strafverfahren zu tun haben. Nach Ablehnung durch die Staatsanwaltschaft trat das Obergericht jedoch nicht auf die Beschwerde ein.
Nachtrag vom 12. Dezember 2013: Ritzmann nicht angehört
Letzte Woche präsentierte die Universität Zürich die Resultate eines Gutachtens, das die Umstände der Kündigung von Iris Ritzmann, Professorin des Medizinhistorischen Instituts, überprüfen sollte. Gutachter Heinrich Koller, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Justiz, kommt darin zum Schluss, dass die Kündigung «alles in allem rechtlich vertretbar und faktisch begründet» sei. Er betont, dass die Uni Ritzmanns Lohn bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist im April 2014 zu zahlen habe. Zudem seien organisatorische Massnahmen nötig, damit Fehler in der rechtlichen Beurteilung nicht mehr vorkämen. Dieser Hinweis geht an die Adresse des Rechtsdienstes der Uni, der sich in arbeitsrechtlichen und datenschützerischen Fragen als inkompetent erwiesen hat. Die Uni will Kollers Empfehlungen nachkommen.
Heinrich Koller ist ein angesehener Jurist. Umso befremdlicher mutet es an, dass er für sein Gutachten ausschliesslich mit jenen Unterlagen arbeitete, die ihm die Universität zur Verfügung stellte. Weder hat er Ritzmann die Möglichkeit einer Stellungnahme gegeben noch ihre Dokumentation der Vorkommnisse in sein Gutachten einbezogen. Ein unparteiisches Gutachten sieht anders aus. Dieser Meinung sind auch die InitiantInnen des akademischen Protests gegen die Entlassung von Iris Ritzmann in einem Nachtrag vom 6. Dezember. Sie erhalten daher ihren Protest aufrecht und fordern weiterhin die Rücknahme von Ritzmanns Kündigung.