Universität Zürich: Big Brother an der Alma Mater

Nr. 45 –

Die Universität Zürich ist ein Staat im Staat. In einer der grössten öffentlich-rechtlichen Anstalten der Schweiz studieren und arbeiten fast so viele Menschen, wie im Kanton Uri wohnen.

Die akademische Exzellenz dieser Institution und ihre gesellschaftliche Bedeutung als Ort der wissenschaftlichen Reflexion stehen allerdings im krassen Gegensatz zur Qualität ihrer internen politischen Verfasstheit. Es gibt zwar eine Regierung (das Rektorat), Parlamente (Senat und Studierendenparlament) und ein nach akademischen Titeln sortiertes Volk (ProfessorInnen, akademischer Mittelbau und Studierende). Trotzdem ist die Uni demokratiepolitisch wüstes Land: ProfessorInnen führen unipolitische Auseinandersetzungen nur hinter verschlossenen Türen. Das Wahlrecht der Studierenden ist eine Farce, die gegenseitige Kontrolle der Organe funktioniert nicht, und Berufungen und strategische Entscheidungen in Lehre und Forschung verlaufen meist völlig intransparent. Universitäten sind Oligarchien im republikanischen Mäntelchen.

Nun ist die Universität Zürich durch die Untersuchungen der Zürcher Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Entlassung des Zürcher SVP-Nationalrats Christoph Mörgeli als Konservator des Medizinhistorischen Museums auch noch zum Überwachungsstaat geworden: Der Rechtsdienst der Uni händigte der Staatsanwaltschaft von sich aus E-Mail-Daten von 100 akademischen MitarbeiterInnen aus. 23 von ihnen wurden von der Staatsanwaltschaft in den letzten Wochen vernommen. Sie alle werden vom Rektorat verdächtigt, in der Zeit von Mörgelis Entlassung vertrauliche Informationen an JournalistInnen weitergegeben zu haben. Für einen solchen Verdacht reichte im Fall eines Mitarbeiters des Kunsthistorischen Instituts offenbar ein Hinweis auf eine Veranstaltung, die der Betreffende einem Journalisten der «Tages-Anzeiger»-Beilage «Züritipp» weitergeleitet hatte.

«Heikle Anfragen» der Presse müssten Mitarbeitende der Universität stets an die Medienstelle der Universität weiterleiten, verlangte Rektor Andreas Fischer letzte Woche von allen Uniangehörigen in einer internen E-Mail. Und drohte, dass sie ansonsten der Loyalitätsverletzung gegenüber ihrem Arbeitgeber bezichtigt werden könnten. Was das für Unimitarbeitende bedeuten kann, zeigt der Fall der Medizinhistorikerin Iris Ritzmann: Ihr wirft das Rektorat vor, schwere Loyalitätsverletzungen begangen zu haben, nur weil sie dem «Tages-Anzeiger» während Recherchen zum Fall Mörgeli Zugang zur universitären E-Learning-Plattform OLAT der Uni verschaffte, zu der auch sämtliche 26 000 Studierenden der Universität Zugang haben. Ritzmann wurde letzte Woche entlassen. Ausserdem tut das Rektorat alles, um ihre akademische Existenz zu vernichten.

Mitarbeitende unter Loyalitätszwang gegenüber der Führung; daten- und arbeitsrechtliche Rücksichtslosigkeiten der Führung gegenüber den Mitarbeitenden; von oben verordnetes Stillschweigen gegenüber der Öffentlichkeit; Monopolisierung des Informationsflusses: Die Universität Zürich gebärdet sich wie ein verschwiegener Konzern und huldigt der Intransparenz. Das war jüngst schon im Fall von fünf neuen Volkswirtschaftslehrstühlen so, die die UBS sponserte (siehe WOZ 42/13 ). Dieses Verhalten passt zur Ökonomisierung, die an den Universitäten seit der Bologna-Reform Einzug gehalten hat, widerspricht aber ihrer Funktion als Hort der geistigen Freiheit und als öffentlicher Reflexionsraum einer demokratischen Gesellschaft.

Nicht jene fügen der Universität Schaden zu, die «Indiskretionen begehen», wie Rektor Andreas Fischer meint. Sondern jene, die die Universität vom gesellschaftlichen Diskurs isolieren wollen, indem sie Unimitarbeitende in ihrer Privatsphäre beschneiden, Maulkörbe verpassen und überhaupt die Interaktion zwischen Akademie und Medien unterbinden. Wer den Umgang mit der vierten Gewalt im Staat kriminalisiert, greift das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung an, zerstört das für eine Demokratie essenzielle öffentliche Gespräch und hat an der Spitze der grössten kantonalen Universität der Schweiz nichts zu suchen.

Siehe auch «Der Rektor, die Professorin, die Undurchsichtigkeit ».