Frankreich: Eine seltsame Allianz trifft sich mit roten Zipfelmützen
Der ohnehin unbeliebte französische Präsident François Hollande kommt wegen der seit langem geplanten Ökosteuer zusätzlich in Bedrängnis. Bei den Protesten gibt die stramme Rechte den Ton an.
«Die Front der Frondeure» titelte die linksliberale Tageszeitung «Libération» und spielte damit auf eine lange zurückliegende Revolte an: Es war in den Jahren 1648 bis 1653, als die Adligen aufmüpfig wurden und sich gegen das Königshaus erhoben. In den Geschichtsbüchern heisst diese Bewegung «La Fronde». Die FeudalistInnen wehrten sich damals gegen ihnen auferlegte Steuern und die Beschneidung ihrer Privilegien durch eine mehr und mehr zentralistische Monarchie. Nicht jede Revolte ist eben progressiv; auch jene nicht, auf die sich die «Libération» mit dem geschichtsträchtigen Titel bezog.
Es geht um eine Protestbewegung, die in der Bretagne begann und sich in den vergangenen Wochen ausbreitete. Bekannt wurden die Protestierenden als «bonnets rouges» – wegen der roten Zipfelmützen, die sie bei ihren Demonstrationen tragen. Auch die sind eine historische Anspielung: Bonnets rouges wurden zuerst 1675 getragen, bei einer Revolte gegen vom König erhobene Steuern, unter der vor allem die FeudalherrInnen stöhnten. Und auch heute geht es um eine Steuer: die seit Jahren geplante und bis heute nicht eingeführte Ökosteuer.
Schon 2007 hatte die damalige konservative Regierung diese Steuer beschlossen. Nach dem Verursacherprinzip sollen umwelt- und klimaschädliche Transportmittel stärker besteuert werden als bislang, die Mehreinnahmen in den Ausbau eines umweltverträglichen Güterverkehrs gesteckt werden; also zum Beispiel in das Schienennetz.
Der so einfache wie einleuchtende Grundgedanke wurde im entsprechenden Gesetz schnell verwässert. So bekamen die mit am stärksten verschmutzenden Industriebetriebe Ausnahmeregelungen zugestanden – mit dem Argument, in ihrem Fall würde die Ökosteuer den Bestand der Arbeitsplätze gefährden. Für Lohnabhängige dagegen, die berufsbedingt pendeln müssen, soll es bislang nur vage formulierte «soziale Ausgleichszahlungen» geben.
Ursprünglich sollte die Steuer seit 2010 erhoben werden. Konservativen ParlamentarierInnen aber gelang es, sie immer wieder hinauszuzögern. Sie warfen ihrer eigenen Regierung unter Sarkozy vor, sie kümmere sich zu sehr um «Öko- und Frauenpolitikschnickschnack».
Kleinbürgerlicher Egoismus
Nun sollte es also unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande endlich so weit sein, aber dann kamen die roten Zipfelmützen. Links sind sie gewiss nicht. Was sich bei ihren Demonstrationen auf den Strassen trifft, ist eher der kollektive kleinbürgerliche Egoismus nach dem Motto: Weshalb soll ausgerechnet ich bezahlen, was geht denn mich die Umwelt an? Oder, weniger borniert: Warum eine neue Steuer, wenn der Staat gleichzeitig Milliarden für die Rettung von Banken ausgibt?
Hollande hat es wirklich nicht leicht: Der Sozialist steuert wirtschaftspolitisch eher einen Mitte-rechts-Kurs und verärgert damit die seiner Partei traditionell wohlgesinnten Gewerkschaften. Was er hier an Vertrauen verliert, kann er im konservativen Lager nicht wettmachen. Dort spricht man weiterhin von der Regierung als «linkem Regime», das Staat, Nation und die dazugehörenden Werte zerstöre. Die rechten Massendemonstrationen gegen die Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe zu Beginn des Jahres richteten sich gar gegen eine angebliche «sozialistische Diktatur».
Auch bei den aktuellen Protesten gibt die stramme Rechte den Ton an, sei es bei den bislang schon mehreren Dutzend Sabotageakten gegen Mautstellen für die zukünftige Ökosteuer, sei es bei den weit über fünfzig Anschlägen auf Radaranlagen zur Geschwindigkeitskontrolle. Auch als am 11. November – einem nationalen Feiertag zum Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs – Hollande bei einem Auftritt auf den Champs-Elysées ausgebuht wurde, waren Rechte für den Lärm verantwortlich. Bei den anschliessenden Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften wurden 73 Personen vorläufig festgenommen, darunter bekannte Gestalten wie der Jungunternehmer David Van Hemelryck. Der Mann hat seine Sommerferien am Steuerknüppel eines Segelflugzeugs über den Urlaubsstränden der französischen Atlantikküste verbracht und am Heck seines Gleiters ein riesiges Transparent befestigt: «Hollande, Rücktritt!» Er kommt genauso aus dem harten Kern der Bewegung gegen die gleichgeschlechtliche Ehe wie die drei Personen, die Ende Oktober wegen des ersten Anschlags auf eine Lastwagenmautstelle auf der Pariser Ringautobahn verhaftet wurden.
Und ganz selbstverständlich versucht auch die rechtsextreme Partei Front National, an die neue Protestbewegung anzudocken. Deren Ehrenpräsident Jean-Marie Le Pen stellte ein Video ins Internet, in dem er sich mit einer roten Zipfelmütze auf dem Kopf zeigt.
Arbeit und Kapital vereint
Am Anfang mischten auch ArbeiterInnen mit. Ihnen ging es vor allem um drohende Entlassungen in der bretonischen Lebensmittelindustrie. Auch daran sei die Ökosteuer schuld: Die Agroindustrie in der ländlich geprägten Bretagne ist nur schlecht ans französische Schienennetz angeschlossen. Also braucht man für den Transport ihrer Produkte Lastwagen, und die sollen Ökosteuer bezahlen – was letztlich die Produkte teurer macht, die dann auf dem hart umkämpften Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig sind.
Angeheizt wurden die ArbeiterInnenproteste von den UnternehmerInnen, die die drohende Not ihrer Beschäftigten nutzen, um vom Staat oder von der EU Subventionen für ihre Betriebe zu erpressen. Anfang November stürmten gar erzürnte ArbeiterInnen ein Verwaltungsgebäude in dem bretonischen Städtchen Morlaix. Ihr Chef wurde daraufhin zum Gespräch empfangen. Danach schickte er die BesetzerInnen wieder nach Hause.
Inzwischen teilt sich die seltsame Mischung aus Arbeitern, Unternehmerinnen, Kleinbürgern und dezidierten Rechten wieder auf: In Zukunft soll zumindest in der Bretagne getrennt protestiert werden. Am kommenden Samstag haben die Gewerkschaften zu Demonstrationen in allen vier Verwaltungsbezirken der Region aufgerufen. Am 30. November dann wollen die Kleinbürgerinnen, Unternehmer und Rechten mit roten Zipfelmützen in der Gemeinde Carhaix protestieren.
Aber egal ob getrennt oder vereint – für Präsident Hollande bleibt das vom konservativen Vorgänger geerbte Problem unangenehm. Sein Premierminister Jean-Marc Ayrault versucht, der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er hat am Montag eine Überarbeitung der Steuerpläne versprochen und die Einführung der Ökosteuer noch einmal verschoben. Vor 2015 werde sie jedenfalls nicht erhoben.
Die WutbürgerInnen
Ganz Frankreich ist krisenmüde und mittlerweile «eine Gesellschaft, die von Anspannung, Verzweiflung und Wut geplagt ist». So steht es in einem vertraulichen Bericht des Innenministeriums, der Ende vergangener Woche bekannt wurde. Der Frust der Bevölkerung könne sich jederzeit in «sozialen Explosionen» entladen.
Allem Anschein nach geben viele Präsident Hollande zumindest eine Mitschuld an diesem Frust: Gerade noch 15 Prozent der Bevölkerung bewerten seine Arbeit positiv, 75 Prozent jedoch negativ.