Steuerrebellion in Frankreich: In gelbe Westen mit braunen Sprenkeln gehüllt

Nr. 48 –

Der Sprit zu teuer, die Abgabenlast zu hoch: Seit zwei Wochen protestieren Tausende FranzösInnen gegen ihre Regierung. Unterstützt wird die Bewegung dabei von links wie von rechts.

Am Ende der Rue de Rivoli gibt es für den Demonstrationszug kein Weiterkommen mehr. Beamte der französischen Bereitschaftspolizei CRS haben eine Strassensperre errichtet, die etwa 200 Protestierenden, die eben noch lautstark am Louvre vorbeimarschiert sind, stehen nun ein wenig ratlos in Sichtweite des Obelisken herum, der das Zentrum der Place de la Concorde ziert. TouristInnen filmen mit ihren Smartphones, wie die Demonstrierenden in ihren gelben Warnwesten versuchen, die PolizistInnen dazu zu überreden, den Weg freizugeben; wie sie ihren Schlachtruf – «Macron, démission!» (Macron, Rücktritt!) – skandieren und schliesslich die Nationalhymne anstimmen. Doch vergebens: Die Sperre bleibt.

Etwas abseits nutzt ein älteres Ehepaar die Gelegenheit, um verstohlen Warnwesten aus dem Rucksack zu kramen und sich diese überzustreifen – so wie viele «Gilets jaunes» haben sie sich zunächst klandestin unter die PassantInnen gemischt, um dadurch einer frühzeitigen Festsetzung durch die Polizei vorzubeugen. Ob sie denn oft demonstrierten? «Nein», sagt die Frau schmallippig. Und warum dann dieses Mal? Ihr Mann lacht: «Schauen Sie hier!», sagt er und zeigt auf sein Leibchen, auf das er mit schwarzem Filzstift «Steuern – Abgaben – Maut – Schnauze voll!» geschrieben hat.

Aussen Warnweste, innen WutbürgerInnen – seit zwei Wochen hält die Bewegung der Gilets jaunes Frankreich in Atem. Rund 8000 «Gelbwesten» sollen laut den Behörden am vergangenen Samstag nach Paris gekommen sein, um gegen hohe Spritpreise, die Steuerlast und die allgemein prekäre Situation aufzubegehren, in der sich viele Haushalte der unteren Mittelschicht befinden. Die meisten von ihnen versammelten sich auf den Champs-Élysées, obwohl eine Demonstration dort verboten worden war.

Die Prachtmeile als Schlachtfeld

Auf dem Luxusboulevard kam es zu schweren Auseinandersetzungen: Barrikaden wurden errichtet und angezündet, Tränengasgranaten und Steine flogen durch die Luft. Weil die Polizei deswegen das Gebiet schon vormittags weiträumig abgeriegelt hatte, waren weitere kleinere Demonstrationszüge in der Stadt unterwegs, was die Lage noch chaotischer machte.

Trotz des Spektakels in der Hauptstadt hat die Bewegung der Gilets jaunes aber an Fahrt verloren. Am zweiten Protestwochenende beteiligten sich nach Regierungsangaben landesweit nicht einmal halb so viele Menschen wie zum Auftakt Mitte November. Fraglich indes, inwieweit das zu bedauern ist. Denn obwohl auch Teile der französischen Linken versuchen, in der eher heterogenen Bewegung der SteuerrebellInnen mitzumischen, ist deren Rechtsdrall kaum zu leugnen.

Das sieht nicht nur der Innenminister Christophe Castaner so, der Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtspopulistischen Rassemblement National, für die Eskalation in Paris verantwortlich machte. Le Pen habe, so Castaner, mit ihrem Aufruf, dem Versammlungsverbot zu trotzen, «ultrarechte Randalierer» angestachelt. Ob diese Interpretation wirklich zutrifft, ist schwer zu überprüfen; kaum jemand bestreitet jedoch, dass unter denjenigen, die sich zuletzt gelbe Warnwesten übergestreift haben, auch viele Anhängerinnen und Wähler Le Pens waren.

Wütende AutofahrerInnen

Trotzdem bleibt die Bewegung der Gilets jaunes schwer zu greifen: Keine Partei oder Gewerkschaft steht hinter ihr, klare Strukturen gibt es genauso wenig wie Führungsfiguren. Stattdessen organisieren sich die Proteste über die sozialen Netzwerke. Ihr Ursprung liegt in der Wut über die hohen Spritpreise. Vor allem in ländlichen Regionen, in denen die öffentlichen Verkehrssysteme nur unzureichend funktionieren, empören sich viele AutofahrerInnen über die Steuererhöhung auf Kraftstoffe, mit der die Regierung den ökologischen Umbau des Landes vorantreiben will.

Vorwärtsgerichtet ist dieser Protest wohl nur bedingt: Traditionell tendieren Steuerproteste nach rechts, allein schon, weil die Steuergesetzgebung das zentrale Werkzeug ist, mit dem der Staat den gesellschaftlichen Reichtum umverteilen kann; daher wahren etwa die Gewerkschaften Distanz zu den Gilets jaunes. Zudem gibt es in Frankreich für dergleichen Bewegungen ein historisches Negativbeispiel: den Poujadismus, eine in den fünfziger Jahren bedeutende populistische Strömung, die sich gegen das Steuersystem richtete und die eine der Keimzellen des Front National bildete. Marine Le Pens Vater Jean-Marie war einst Poujadist.

So überrascht es nicht, dass es bereits zu rassistischen Übergriffen bei Blockaden der Gilets jaunes gekommen ist. Zudem wurde bekannt, dass ein Blogger, der mit Videobotschaften die Proteste mitinitiiert hatte, früher Mitglied des Front National war, ehe er aus der Partei ausgeschlossen wurde – unter anderem wegen eines gegen Muslime hetzenden Posts im Internet. Bezeichnend ist auch eine Szene, die sich vergangene Woche im Nordosten des Landes abspielte: Als dort Gilets jaunes bei einer Blockade Geräusche aus einem Lastwagen bemerkten, verständigten sie die Polizei; diese fand im Fahrzeug versteckte MigrantInnen, deren Festnahme die BlockiererInnen hämisch kommentierten.

Trotzdem engagieren sich auch Linke in den Protesten, allen voran aus den Reihen der Linkspartei La France insoumise. So gab etwa François Ruffin, Abgeordneter in der Nationalversammlung, auf den Champs-Élysées eine spontane Pressekonferenz, begleitet von Leuten in gelben Warnwesten, die aus seinem Wahlkreis angereist waren. Und während hinter ihm dichte Rauchwolken über den Boulevard zogen, beschrieb Ruffin die Proteste mit den Worten: «Hier wird der Teil Frankreichs sichtbar, der lange unsichtbar war.»

Eine antiliberale Querfront?

Das Kalkül dabei: Sollte es gelingen, die ökonomischen Schwierigkeiten, in der sich viele FranzösInnen befinden, in direkten Zusammenhang mit der generell wirtschaftsliberalen Politik von Präsident Emmanuel Macron zu bringen, könnte die Bewegung der Gilets jaunes nach links gedrängt werden. Entsprechend betonen Ruffin und andere «Insoumis» immer wieder, dass die Erhöhung der Steuern auf Kraftstoffe die einzige ökologische Massnahme gewesen sei, die der Präsident bislang beschlossen habe; ausgerechnet diese aber treffe vor allem die Ärmeren, während die Vermögenden von Steuerreformen profitiert hätten. Am Dienstag erklärte Macron zwar, die Sorgen der Protestierenden verstehen zu können; trotzdem will er an seinem Kurs festhalten.

Für La France insoumise bleibt die Angelegenheit delikat, hatte sich die Partei doch erst zur vergangenen Präsidentschaftswahl einem dezidiert ökologischen Programm verschrieben. Zudem muss sie in Kauf nehmen, die Proteste gemeinsam mit der Rechten zu unterstützen. Deswegen sehen einige bereits eine antiliberale Querfront aufziehen, die von ganz links bis ganz rechts reicht. So schimpfte etwa der Publizist Bernard-Henri Lévy, dass die Westen der Protestierenden in Wahrheit nicht gelb, sondern braun seien. Lévy ist für seine Polemiken berüchtigt und politisch eher ein Irrlicht. Womöglich aber liegt er dieses Mal mit seiner Einschätzung nicht ganz daneben.