Bahnhofsausbau in Bern: «Haben wir denn überhaupt eine Wahl?»

Nr. 3 –

Bern soll einen neuen Tiefbahnhof für den Regionalverkehr erhalten. Zehn Jahre hat Verkehrsdirektorin Barbara Egger (SP) alle Kritik am 870-Millionen-Projekt unter dem Deckel gehalten.

Er ist zu klein und soll unter der Berner SBB-Perronhalle neu gebaut werden: Der unterirdische Kopfbahnhof für die Schmalspurbahn Regionalverkehr Bern-Solothurn. Foto: RBS

Im November 2013 lief die Referendumsfrist ab. Damit ist das Projekt «Zukunft Bahnhof Bern» (ZBB) auf kantonaler Ebene entschieden. In einer ersten Etappe soll unter der SBB-Perronhalle ein viergleisiger Schmalspurtiefbahnhof für Züge der im Pendlerverkehr wichtigen RBS (Regionalverkehr Bern-Solothurn) erstellt werden. Die Bahnanlagen kosten 520, die Publikumswege 350 Millionen Franken. In einer zweiten Etappe ist ab 2030 ein oberirdischer Ausbau der Normalspur vorgesehen.

Dem Grossen Rat wurde das Projekt im kunterbunten «Rahmenkredit 2014–17 für Investitionen im öffentlichen Verkehr» unterbreitet. Mit 135 Ja- gegen 5 Nein-Stimmen bei 8 Enthaltungen hat sich die SP-Verkehrsdirektorin Barbara Egger-Jenzer, die im Planungsprozess die dominierende Rolle spielte, fast total durchgesetzt. Eine ernsthafte Debatte über den Tiefbahnhof fand nicht statt. Man referierte mit Formeln: Linke und Grüne für ein «Jahrhundertwerk im öffentlichen Verkehr», Bürgerliche für «Standortvorteile» und ein «Wirtschaftsförderungsprogramm». Da und dort blitzte Frust auf. Die Grünliberale Franziska Schöni Affolter fragte: «Haben wir denn überhaupt eine Wahl?» Der Oberländer SVP-Vertreter Thomas Knutti versteckte seine Überforderung nicht: «Wir können nur glauben und hoffen, dass wir heute einen weisen Entscheid fällen.»

Hinter vorgehaltener Hand

Offensichtlich ist man dem Appell der Verkehrsdirektorin gefolgt, mit einem geschlossenen Ja ein starkes Signal ins Bundeshaus zu senden. Offen will niemand mehr über das Projekt sagen. Hinter vorgehaltener Hand nennen aber manche andere Gründe für ihre Zustimmung: im links-grünen Lager Parteidisziplin hinter der SP-Magistratin; unter Bürgerlichen Angst, in anderen, für ihre Regionen wichtigen Projekten den Goodwill der Verkehrs- und Energiedirektorin aufs Spiel zu setzen.

Bürgerproteste gab es nie, weil der RBS-Tiefbahnhof unter die Erde kommt. Aber in Fachkreisen, Bundesämtern und im Bundesparlament stiess die Berner Planung früh auf grundsätzliche Kritik. Ab 2001 bemängelte der langjährige SBB-Infrastrukturplaner Hans Stieger, an für den Bahnhofsausbau wichtigen Orten würden unkoordiniert präjudizierende Einzelprojekte geplant: die neue Post, der Bahnhofplatz, der Autobahnzubringer. Stieger verlangte dringend ein Gesamtkonzept für den Berner Bahnhof. Unter dem Druck der SBB startete der Kanton 2007 die ZBB-Planung. Schon ein Jahr später präsentierte Verkehrsdirektorin Egger ein Projekt, das sich auf alte Ideen des RBS für eine Weiterführung der Bahn Richtung Westen stützte. Varianten, wie der bestehende RBS-Bahnhof weitergenutzt werden könnte, wurden als technisch nicht machbar abgeschrieben.

Diese Konzentration auf den Regionalverkehr führte zum Konflikt mit dem Uvek, dem eidgenössischen Verkehrsdepartement. Im Parlament forderten der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen und der Tessiner SP-Vertreter Fabio Pedrina einen Gesamtplan. Kritisiert wurde, nach Inbetriebnahme eines RBS-Tiefbahnhofs wäre ein Tiefbahnhof der SBB technisch nur noch mit grössten Schwierigkeiten zu bauen. Die RBS-Perrons wären bis sieben Stockwerke unter der Unterführung nur in langen Rolltreppenfahrten zu erreichen. In einer Antwort an Wasserfallen schrieb der Bundesrat, er werde nötigenfalls selbst eine Gesamtstudie veranlassen.

Unter diesem Druck erteilte Regierungsrätin Egger dem ETH-Verkehrsexperten Ulrich Weidmann den Auftrag zur Projektüberprüfung. Im Juni 2009 publizierte der Professor ein niederschmetterndes Urteil: Der RBS-Tiefbahnhof verursache Kosten, die durch den Verkehrsnutzen nicht zu rechtfertigen seien. Das Projekt schien am Ende. Aber Egger blieb am Ball. Sie versprach, man werde die Pläne überprüfen, und reichte flankierend beim Presserat Klage gegen die Zeitung «Bund» ein, die unter Mitarbeit des Autors dieses Artikels kritisch über die ZBB-Planung berichtet hatte. 2010 wies der Presserat ihre Vorwürfe «vollumfänglich» ab.

Aber da stand das Projekt schon fast wieder auf den Schienen: Egger hatte Weidmann als «Begleiter» der Überprüfung an Bord genommen. 2011 stellte sie ein Konzept vor, das in seiner ersten Etappe mit wenigen Abstrichen das RBS-Projekt von 2008 neu auflegte. Für die zweite Etappe war eine oberirdische Erweiterung der Perronhalle vorgesehen. Jetzt kritisierten Fachleute zu enge Kurvenradien im Bahnhof und wiesen darauf hin, dass bei einer oberirdischen Erweiterung das Lorraineviadukt verbreitert und der Aarehang zerstört würde.

Macht der Bund mit?

Da wagte im Sommer 2012 SVP-Grossrat Gerhard Fischer den letzten Versuch, eine Alternative zum ZBB-Plan einzufordern. Die Regierung müsse eine von Hans Stieger erarbeitete, sehr viel kostengünstigere Variante mit einem Kapazitätsausbau für den RBS in der SBB-Perronhalle prüfen. Regierungsrätin Egger liess den mutigen Motionär mit einem wahrhaft bernischen Manöver ins Leere laufen: Sie erklärte, alles sei schon geprüft, und brachte den Rat dazu, die Motion anzunehmen und gleichzeitig abzuschreiben.

In den nächsten Monaten will der Bundesrat bekannt geben, welche Kantone aus dem Infrastrukturfonds wie viel Bundesgeld erhalten sollen. Bern hat für sein ZBB-Projekt, das insgesamt 870 Millionen Franken kostet, 300 Millionen bereitgestellt. Man braucht also hohe Bundesbeiträge. Regierungsrätin Egger erklärte, Bern sei gut positioniert; sie verfüge über «gute Beziehungen auf höchster Ebene». Da ist wohl Verkehrs- und Energieministerin Doris Leuthard gemeint, mit der sie als Verwaltungsrätin der Bernischen Kraftwerke (BKW) in Sachen AKW Mühleberg zusammenarbeitet.

Der unermüdliche Projektbegleiter Hans Stieger sieht eine allerletzte Hoffnung: «Die besten Optionen sind verbaut. Aber die SBB könnten noch für eine gute Lösung sorgen.»