Bahnausbau: Zug um Zug ins Defizit

Nr. 33 –

In der Schweiz entscheidet die Politik, wie viel öffentlicher Verkehr möglich ist. Das ist richtig so. Doch es provoziert auch zusätzlichen Verkehr, zusätzliche Zersiedelung und privilegiert die Pendlerinnen und Unternehmen. Eine Rechnung.

Würden Bund und Kantone die Hälfte des Stroms bezahlen, den private Firmen und Haushalte verbrauchen, ginge ein Aufschrei durchs Land. Linke und Grüne würden kritisieren, der Staat subventioniere die Atomkraftwerke (was er teilweise tut, indem er etwa die Haftung für den Grossteil der atomaren Risiken übernimmt, doch das ist eine andere Geschichte). In der Praxis aber zahlen die BezügerInnen von Strom alle Kosten, die die - mehrheitlich staatlichen - Elektrizitätsunternehmen ausweisen, und bescheren diesen darüber hinaus erkleckliche Gewinne.

Ganz anders verhält es sich beim Bahnverkehr: Von den Gesamtkosten von 14,8 Milliarden Franken, welche die neuste Eisenbahnrechnung der Schweizer Bahnen für das Jahr 2005 auswies, deckten die Tarifeinnahmen aus dem Güter- und Personenverkehr nur 25 Prozent. Die Nebeneinnahmen, die den Bahnen aus Pacht und Miete zufliessen, steuerten weitere 17 Prozent bei. Den Löwenanteil von 58 Prozent (oder 8,6 Milliarden Franken) aber zahlten Bund, Kantone und Gemeinden in Form von Infrastrukturbeiträgen, Abgeltungen und Zinsen.

Obwohl der Staat also mehr als die Hälfte aller Bahnkosten deckt, protes-tiert kaum jemand; Protest gibts nur, wenn die Bahnen ihre Tarife um drei Prozent erhöhen. Denn die Bahnen sind uns heilig und werden hierzulande besser geschützt als Wölfe und Bären. Die Milliarden, die der Staat den Bahnen zahlt, sind denn auch politisch abgestützt. Grund: Ohne Subventionen kann bei den heutigen Verkehrspreisen keine Bahn überleben. Und ohne Bahnen bräche der Strassenverkehr in den Agglomerationen und auf den Hauptrouten zusammen, was auch jenen schaden würde, die im Auto verkehren und damit hohe Umweltkosten auf die Allgemeinheit abwälzen.

Mehr Verkehr, mehr Defizit

Bemerkenswert ist, dass die Defizite der Bahnen trotz wachsender Nachfrage nicht sinken, sondern steigen: 1994 bezahlte die öffentliche Hand laut Eisenbahnrechnung erst 40 Prozent der damals noch tieferen Gesamtkosten, 2005 wie erwähnt 58 Prozent. Und dies, obwohl die Schweizer Bahnen immer mehr Personen und Güter transportieren. Der Grund für dieses - ökonomisch irre - Resultat: Der Bund investierte seit 1994 viel Geld, um das Angebot der Bahnen auszubauen. Dabei stiegen die Kosten des wachsenden Angebots stärker als die Erträge aus dem wachsenden Verkehr.

Die Verkehrsspirale treibt also die Subventionsspirale an: Je mehr Verkehr die Bahnen bewältigen, desto höher wird das Defizit, das alle Steuerzahlenden berappen, unabhängig davon, ob sie die Bahn benutzen, mit dem Auto die Welt belasten, mit dem Velo zur Arbeit fahren oder daheim bleiben. Das gilt selbst für jene Bahnen (sowie Bus- und Trambetriebe), die sich landesweit der grössten Nachfrage erfreuen: Der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV), der die randvollen S-Bahn-Züge betreibt, erhöhte 2006 die Zahl der PassagierInnen gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent. Gleichzeitig stieg das Defizit; es liegt heute bei 43 Prozent der Gesamtkosten.

Mehr Defizit, mehr Angebot

Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, wie das bei den Bahnen in Spitzenzeiten auf mehreren Verbindungen der Fall ist, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder erhöht man die Preise, profitiert von einer höheren Gewinnmarge und dämpft damit die Nachfrage. Oder man baut das Angebot aus und steigert den Umsatz, was ein privates Unternehmen aber nur tut, wenn der zusätzliche Umsatz die Kos-ten des höheren Angebots deckt. Nun sind die Schweizer Bahnen glücklicherweise nicht privat, sondern gehören dem Staat. Und dieser Staat will das Angebot weiter ausbauen, die Preise respektive Tarife hingegen nur in homöopathischen Dosen erhöhen. Damit werden die Subventionen weiterwachsen.

Konkret schlägt Verkehrsminister Moritz Leuenberger in seiner aktuellen Vorlage vor, 5,2 Milliarden Franken in die zweite Etappe von Bahn 2000 zu investieren, um das Konzept Bahn 2030 zu verwirklichen. Dabei handelt es sich um das Geld, das nach dem Bau der besonders defizitären Neat im Fonds für öffentlichen Verkehr noch übrig bleibt (vgl. Kasten «Eine Milliarde mehr»). Leuenberger folgt dabei den Plänen der SBB, die jene Ausbauten bevorzugen, die den Fahrplan optimieren und Engpässe beseitigen.

In der soeben abgeschlossenen Vernehmlassung stiess das Ausbaukonzept des Bundesrates aber auf breite Kritik: Namentlich Kantone und auch bürgerliche Parteien, die stets die Steuern und Sozialausgaben senken wollen, fordern zusätzliche Bahnbauten, die Milliarden verschlingen. Die Regierungen von Basel, Solothurn und Aargau etwa begehren den Wisenbergtunnel durch den Jura. Die «Gotthardkantone», angeführt von Zürich und Luzern, wollen den sistierten Neat-Tunnel durch den Zimmerberg ins Bahn-2030-Programm aufnehmen. Die Romands wünschen ein durchgehendes drittes Gleis von Lausanne nach Genf, die Berner die zweite Lötschbergröhre. Bei all diesen Zusatzwünschen geht es primär dar-um, die Bauwirtschaft sowie die lokale Stellung im nationalen Standortwettbewerb mit Bundesgeld zu fördern.

Politik gegen Prinzipien

In der Schweiz entscheiden die politischen Instanzen, wie viel Verkehrsinfrastruktur der Staat bereitstellt und wer wie viel an dieses Angebot bezahlen muss. Das ist richtig so. Denn die Verkehrswege und insbesondere die Bahnen gehören dem Staat. Zudem zählt eine Grundversorgung mit öffentlichem Verkehr zum Service public. Die heutige Politik, welche die Bahn mit Inves-titionen und tiefen Tarifen fördert, ist also politisch legitimiert. Ebenso zutreffend aber ist die Feststellung, dass die zunehmenden Subventionen, die vor allem der Bund auf die Schienen schüttet, den Prinzipien von Kostenwahrheit und verursachergerechter Kostenverteilung widersprechen.

Die höchsten Kosten verursachen nämlich jene BahnpassagierInnen, die die am stärksten ausgelasteten Züge am häufigsten benützen und damit den defizitsteigernden Ausbau des Bahnnetzes erst erzwingen. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Leute, die während den morgendlichen und abendlichen Spitzenstunden über wachsende Distanzen pendeln. Doch just diese Langdistanz-PendlerInnen, welche die steigenden Grenzkosten verursachen, bezahlen heute pro verursachten Bahnkilometer am wenigsten. Sie profitieren also von happigen Mengenrabatten. Beispiel: Wer werktäglich - also an rund 240 Tagen pro Jahr - von Bern nach Zürich pendelt und dafür ein Generalabonnement für 2990 Franken pro Jahr kauft, zahlt pro Fahrt hin und zurück rund 13 Franken (oder noch weniger, wenn er oder sie auch für Freizeitfahrten gelegentlich die Bahn dem Auto vorzieht). Wer hingegen weniger oft Bahn fährt und deshalb ein Halbtaxabonnement plus Einzelbillett löst, zahlt für die gleiche Strecke rund viermal mehr. Auch im Regionalverkehr wird - wenn auch etwas weniger ausgeprägt - das Vielfahren mit Wenigzahlen belohnt.

Nach dem Verursacherprinzip müssten also die Preise für alle Abonnements, die unbeschränktes Bahnfahren erlauben, am stärksten erhöht werden. Das würde in erster Linie das Pendeln verteuern - und hätte darüber hin-aus zwei positive Nebeneffekte: Die Stadtflucht in Einfamilienhausplantagen, die viel Land fressen und längere Verkehrswege sowohl auf der Schiene als auch auf den Strassen verursachen, verlöre an Attraktivität. Gleichzeitig könnten Unternehmen, die von der guten Erschliessung durch die subventionierten Bahnen profitieren, zur Kasse gebeten werden. Denn diese Unternehmen müssten sich an den höheren Abonnementspreisen beteiligen (was einige heute schon tun), wenn sie nicht riskieren wollen, fern siedelnde Arbeitskräfte zu verlieren.

Umstieg aufs Auto?

Der Einwand, höhere Preise respektive tiefere Mengenrabatte könnten Bahnreisende veranlassen, aufs Auto umzusteigen und damit die Welt noch stärker mit Abgasgiften, Klimagasen und Lärm zu belasten, mag für den Freizeitverkehr in Randzeiten zutreffen. Aus diesem Grund ist nicht zu empfehlen, die Tarife für Einzelbillette zu erhöhen. Auf den am stärksten frequentierten Pendelrouten hingegen ist der Umstieg aufs Auto kaum noch möglich, denn das würde zum Verkehrskollaps auf den Strassen führen. Die Verteuerung der Bahnabonnements ist deshalb nicht nur kosten- und verursachergerecht, sondern dient auch dazu, das Wachstum des Gesamtverkehrs zu bremsen.

Bleibt der Einwand, höhere Bahntarife für Leute, die aufs Pendeln angewiesen sind, seien unsozial. Das mag sein. Doch soziale Härten soll der Staat mit Sozialpolitik lindern, nicht mit Verkehrssubventionen. Denn Subventionen, ob für den Bahn- oder Strassenverkehr, fördern die Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsplätzen. Was den Zielen der Raumplanung, Energie- und Umweltpolitik klar widerspricht.

Eine Milliarde mehr

Um Grossprojekte zum Ausbau der Bahnen zu finanzieren, bewilligte das Volk 1998 den sogenannten FinöV-Fonds. Damit stehen total 30,5 Millionen Franken zur Verfügung, um die bereits vollendete erste Etappe von Bahn 2000, die Neat, Lärmschutzmassnahmen, Anschlüsse ans europäische Schnellbahnnetz sowie die zweite Etappe von Bahn 2000 (Bahn 2030) zu finanzieren. Doch weil die Kosten für die Gotthard-Neat von Jahr zu Jahr steigen, schrumpfen die verbleibenden Mittel für Bahn 2030. Nach heutigem Budgetstand stünden dafür nur noch 4,2 Milliarden Franken zur Verfügung. Damit liesse sich das angestrebte Fahrplankonzept, das schnellere Verbindungen und zusätzliche Bahnkapazität im Mittelland ermög-licht, nicht mehr verwirklichen. Deshalb beantragt nun Verkehrsminister Moritz Leuenberger, den FinöV-Fonds um eine Milliarde Franken aufzustocken und so die notwendigen 5,2 Milliarden für Bahn 2030 zu sichern. «Das genügt nicht», kritisierten umgehend Kantonsregierungen und Bahnlobby; sie fordern zusätzliches Geld, um den Wisenberg- und Zimmerbergtunnel und weitere Gross-projekte zu finanzieren.