Mark Divo: «Wer mich beklaut, macht mir ein Kompliment»

Nr. 7 –

Der nomadisierende Künstler Mark Divo ist gerade in Prag angekommen, um dort seine Zürcher Erfahrungen weiterzugeben. Ein Sammelband hält seine flüchtigen Werke fest.

In einer herrschaftlichen Fünfzimmerwohnung am Prager Wenzelsplatz betreibt der umtriebige Schweizer Künstler, Kulturaktivist und Kurator Mark Divo momentan sein aktuellstes Projekt. Ganz bescheiden, wie es so seine Art ist, nennt er es «Solutions». Die Wohnung liegt an einer Ecke des Wenzelsplatzes, die als etwas unsicher gilt und wo keine reklamierenden NachbarInnen zu erwarten sind. So «können wir hier die Kuh ungestört fliegen lassen», schreibt er in einer Mail kurz nach der Eröffnung. Damit meint er den für alle offenen Partybetrieb, der jeweils samstags auf ein «critical dinner» für geladene Gäste folgt.

Jeden zweiten Donnerstag findet eine Vernissage mit einer Künstlerin aus Prag und einem Gastkünstler aus der Schweiz statt. Alternierend dazu sind Veranstaltungen zu den Ausstellungen geplant. An der ersten offiziellen Vernissage, am 13. Februar 2014, ist der Zürcher Künstler Ingo Giezendanner zu Gast. Er hat unter dem Pseudonym GRRR in Zürich und anderswo, wie Divo, so manch besetztes Haus mitgestaltet. Im Salon der Wohnung ist das «d.i.v.o. Institut» untergebracht. Es ist ein Raum, den Divo langsam bis unter die Decke mit Kunst auffüllen will. Im angrenzenden Atelier «Wings of Madness» sind seine tschechischen MitstreiterInnen Adam Stanko und Helena Sequens aktiv.

Subversiver Einfallsreichtum

Mit «Solutions» knüpft Divo an die kulturellen Aktivitäten der späten achtziger und neunziger Jahre an, als er und unzählige andere in illegalen Bars und besetzten Häusern über den Gastrobetrieb und Discos ein ausgesprochen buntes und weiterführendes kulturelles Programm ermöglichten. Sie verwandelten die Häuser zu begehbaren Gesamtkunstwerken, veranstalteten darin Ausstellungen, Lesungen, Performances, Konzerte und immer wieder Partys. Selbst das sonntägliche Gratisfrühstück für die QuartierbewohnerInnen fehlte nicht.

Divo, der in den achtziger Jahren noch unter dem Namen «Hackepeter» in Berlin unterwegs war, lernte dort Riesen-WGs kennen, verkehrte in heimlich besetzten Häusern am Prenzlauer Berg und fiel vor allem durch seinen kreativen und subversiven Einfallsreichtum auf. Dann kehrte er nach Zürich zurück, war ab 1991 bei der Besetzung des Wohlgroth-Areals beim Hauptbahnhof von «Zureich» beteiligt. 2002 exponierte sich Divo als Teil der Krösus-Gruppe mit der Besetzung des Cabaret Voltaire und brachte auch hier mit dadaistischer Fantasie einiges durcheinander, bevor es mithilfe von Swatch zum Museum wurde.

Der Mann ist in Bewegung, seine Kunst ist flüchtig, nicht für die Ewigkeit konzipiert. Er meldet meistens auch keine alleinige Urheberschaft an den Werken an, obwohl inzwischen einige seiner Arbeiten in Museen hängen und gekauft werden können.

Nun ist unter dem Titel «Im Bett mit Mark Divo. 1988–2012» ein rechter Wälzer erschienen. Rein Wolfs, Jean-Pierre Hoby und Jan Theiler – der als Pastor Leumund seine Spuren in Zürich hinterlassen hat – haben geistreiche Texte beigesteuert. Vom Kunstkritiker Fritz Billeter stammen ein Vor- oder Nachwort und ein langes Interview mit Divo. Es fusst auf vier vierstündigen Begegnungen, die zwischen Oktober 2010 und Januar 2011 stattfanden, und erhielt den Untertitel «ein rekonstruiertes Gespräch».

Begehbare Kunstwerke

Das «coffee table book» dokumentiert mit vielen Fotografien Divos Schaffen und das seiner MitstreiterInnen in Göttingen, Berlin, Kopenhagen, Prag und vor allem in Zürich. Es ist ein ausführliches zeitgeschichtliches Kompendium, das zum Verweilen einlädt und gleichzeitig wehmütig macht. Die meisten der darin gezeigten besetzten Gebäudekomplexe, die zu multifunktionalen Gesamtkunstwerken und begehbaren Skulpturen umfunktioniert wurden, mussten nach begrenzter Zeit Überbauungen weichen. Erinnert sei an die Wohlgroth oder an das jahrelang leer stehende Fabrikareal der Sihlpapier in Zürich. Die BesetzerInnen hatten es 2003 in einen vier Monate dauernden gigantischen Taumel versetzt, bevor es zum Einkaufstempel Sihlcity wurde.

Divo ruht nicht, wie seine Aktivitäten in Prag zeigen, er gehört zu denjenigen, die nomadisierend von Objekt zu Objekt, von Land zu Land ziehen und über ein rhizomartig verästeltes Beziehungsnetz verfügen. Wenn er in Zürich zu Besuch weilt, ist er im Labitzke-Areal und in anderen besetzten Häusern anzutreffen.

Den Titel «Im Bett mit Mark Divo» versteht er wie vieles in seiner Arbeit und seinem künstlerischen Schaffen als Täuschung, als Irritation oder Appropriation, wie er im Gespräch gerne sagt. Er denkt dabei an Aneignungen, ohne sich dabei allzu lange mit Urheberrechtsfragen aufzuhalten. «Ich möchte die Lizenz zum Klauen in jede Richtung ausdehnen, gerade auch auf geistiges Eigentum», sagt er im Interview mit Billeter: «Wer mich beklaut, macht mir ein Kompliment.» Im Buchtitel sieht er eine weitere Appropriation und denkt dabei an Madonnas «In Bed with Madonna», obwohl er vermutet, «dass dort nichts passiert sei».

Mark Divo: Im Bett mit Mark Divo. 1988–2012. Edition Clandestin. Biel 2013. 445 Seiten, zahlreiche Abbildungen. 75 Franken