Medientagebuch: Toll, toller, «Tagi»

Nr. 7 –

Der «Tages-Anzeiger» und die Zuwanderung.

Am stärksten überfüllt von der Zuwanderung waren in den letzten Jahren nicht die Züge, sondern die Medien. Das zeigt ein Rückblick im Medienarchiv: Erzielte der Begriff «Zuwanderung» im Jahr 2007 in allen Presseerzeugnissen der Schweiz erst 770 Treffer, so waren es 2013 sage und schreibe 3919. Eine Verfünffachung innerhalb von wenigen Jahren! Das Wort «Zuwanderung» kennt nur eine Richtung: die der SVP-Argumentation, wonach immer mehr AusländerInnen immer mehr Platz beanspruchen.

Die Nähe der SVP zu einzelnen Medien ist bekannt. Doch auch der als linksliberal geltende «Tages-Anzeiger» leistete den Argumenten der Initiative Vorschub. Wie eine Auswertung des Medienforschers Kurt Imhof zeigt, «überwiegen im ‹Tages-Anzeiger› Beiträge mit positivem Tenor zur Initiative». Das Gleiche gilt, wenn auch mit geringerem Überhang, für die Tamedia-Gratiszeitung «20 Minuten». Kritisch gegenüber der Initiative äusserten sich die «NZZ» oder der «Blick».

«Positiver Tenor» ist von Imhof noch freundlich ausgedrückt: Vor Weihnachten erschien im «Tages-Anzeiger» beispielsweise ein Interview mit dem Schriftsteller Leon de Winter, in dem dieser auf einer Doppelseite kulturalistische Thesen von der Überlegenheit des Europäers verbreiten durfte. Natürlich betonte er, kein Rassist zu sein, aber … Winter im O-Ton zur Migration: «Natürlich ist es nicht politisch korrekt, was ich nun sage, aber es ist die Realität: Es gibt mehr Kriminalität, mehr Bettler.»

Dass die RechtspopulistInnen bereits vor mehreren Jahrzehnten von der Kategorie der Rasse auf die der Kultur gewechselt haben, um die immer gleichen Probleme immer neu zu skandalisieren, thematisierte Interviewer Hannes Nussbaumer nicht. Dafür war das Interview im Netz pompös mit Videos aufgemacht, und Redaktorin Michèle Binswanger twitterte an ihre 7500 FollowerInnen: «Tolles Inti mit dem tollen Leon de Winter toll aufbereitet.»

Von Chefredaktor Res Strehle war in den letzten zwei Monaten nichts zu hören. Nun endlich, nach den Abstimmungen, meldete er sich doch noch zu Wort. Er verteidigte die Medien, sie seien für das Ja nicht haftbar zu machen, sondern hätten bloss die Argumentation beider Seiten aufgezeigt. Vielleicht sollte Strehle einmal in ein Medienwirkungsseminar bei Imhof. Oder sich als ehemaliger Klassenkämpfer ein paar Gedanken machen, ob in der Berichterstattung seiner Zeitung nicht ein eklatantes strukturelles Problem zum Ausdruck kommt: Sie wird überwiegend von Schweizer Männern geschrieben, überhaupt sträubt sich die Medienbranche noch immer gegen eine interkulturelle Öffnung. Gleichzeitig geraten die Arbeitsverhältnisse unter Druck, obwohl etwa der Tamedia-Konzern von Pietro Supino Millionengewinne erzielt. In kaum einer Branche zeigen sich die Abstiegsängste des Mittelstands so deutlich wie den Medien.

Den Schlusspunkt durfte dann noch «Tagi»-Reporter Jean-Martin Büttner setzen. Sein besonders mutiger Kommentar trug den Titel «Dieses linke Flennen». Wenn die Linken sich in den sozialen Medien für die Abstimmung schämen würden, so koste sie diese Scham nichts. Und wenn sie sich über Rassismus beschwerten, seien sie bloss selbst rassistisch.

Gratis war nun allerdings genau dieser Kommentar. Es sind noch immer die Opportunisten, die Umbrüche legitimieren.

Kaspar Surber ist WOZ-Redaktor.