Philippinen: Die Hilfe wird vom «Schlächter» organisiert
Im November hat Taifun Haiyan Teile der Philippinen verwüstet. Die Regierung benutzt jetzt die Katastrophe dazu, Aufständische zu bekämpfen. Der Wiederaufbau wird dagegen nur mangelhaft unterstützt.
10 000 farbige Luftballons haben Überlebende des Supertaifuns Haiyan vergangene Woche an der Küste der philippinischen Stadt Tacloban in die Luft steigen lassen. Jeder Ballon symbolisierte ein Leben, das aufgrund des katastrophalen Sturms Anfang November ausgelöscht wurde. Zwar wird offiziell von 6200 Toten gesprochen, doch gehen viele von weit mehr Opfern aus. Tacloban lag im Zentrum der Verwüstungen. In der Stadt mit rund 250 000 BewohnerInnen haben über 2000 Menschen ihr Leben verloren, Zehntausende hausen noch heute in provisorischen Unterkünften.
Zwar wurde am Anlass von vergangener Woche auch der internationalen Hilfe gedacht, die die Stadt nach der Zerstörung erhielt. Doch über die philippinischen Behörden herrscht bei vielen Betroffenen grosse Unzufriedenheit. Von der grosszügigen Hilfe und dem Wiederaufbau, den die Regierung sofort versprach, haben die Menschen in Tacloban, aber auch in anderen betroffenen Gebieten, bislang nur wenig gesehen. Allein am 24. Januar sind in der Stadt deshalb über 12 000 Menschen auf die Strasse gegangen. Gefordert werden ausreichende Nahrungsmittel, menschenwürdige Unterkünfte und medizinische Versorgung.
Zur Kundgebung hatte eine religiöse Bewegung namens People Surge (Aufbegehren des Volkes) aufgerufen. Deren Sprecherin, Schwester Edita Eslopor, begründete den ungewohnten Protestzug mit der «tiefen Unzufriedenheit der Menschen über die kriminelle Vernachlässigung und das klägliche Unvermögen von Präsident Aquino». Diese Demonstration, so Eslopor, sei lediglich der Auftakt zu weiteren Protestmärschen in anderen Städten des Landes.
Leere Worte aus Manila
Eines muss man dem philippinischen Präsidenten Benigno Aquino allerdings lassen: Seit seinem Amtsantritt im Sommer 2010 hat er es verstanden, sich selbst zu inszenieren und stets vollmundige Versprechungen abzugeben. So war es auch, als Aquino am 7. November 2013, einen Tag vor Haiyan, seine Landsleute mit der Botschaft beruhigte, seine Regierung habe sämtliche Vorkehrungen getroffen. Dreissig Flugzeuge und Helikopter der Luftwaffe sowie zwanzig Schiffe der Marine stünden für Rettungs- und Nothilfemassnahmen zur Verfügung. Doch als der Taifun am nächsten Tag mit voller Wucht zuerst die östliche Küstenregion der Insel Samar traf und auf den Nachbarinseln Leyte, Bohol, Cebu, Negros und Panay Schneisen der Verwüstung hinterliess, waren Aquinos Versprechungen schnell Schall und Rauch.
Medienberichten zufolge war von einer Regierungspräsenz nirgends etwas zu sehen. Die Betroffenen blieben auf sich gestellt. Selbst fünf Tage nach dem Taifun sei laut BBC nicht zu erkennen gewesen, wer eigentlich wofür verantwortlich ist. Die angebliche Unterstützung wirke eher wie «eine Zerstörung als wie eine organisierte Wiederaufbauhilfe».
Von RegierungspolitikerInnen aus der Region oder aus Manila, vom Präsidenten ganz zu schweigen, war vor Ort lange Zeit nichts zu sehen; Schäden und Opferzahlen wurden kleingeredet. Stattdessen tauchten in den verwüsteten Gebieten fremde Uniformierte auf. Sechs US-amerikanische Kriegsschiffe inklusive eines Flugzeugträgers kreuzten vor der betroffenen Küste auf, um bei Nothilfemassnahmen zu assistieren.
Ein Teil der philippinischen Medien bejubelte die US-Hilfsaktion überschwänglich. Dabei ging es der einstigen Kolonialmacht vor allem darum, den militärischen Einfluss auf den Philippinen zu festigen. Die auf Asien und den Pazifik fokussierte Militärstrategie von US-Präsident Barack Obama sieht vor, die Philippinen wieder dauerhaft als Ankerplatz und Operationsbasis zu nutzen. Anlässlich des Besuchs einer Delegation hochrangiger US-Kongressabgeordneter in Manila verkündete der philippinische Aussenminister Albert del Rosario Ende November denn auch, dass die Präsenz der US-Navy gezeigt habe, wie notwendig «ein Rahmenabkommen ist, das den USA eine verstärkte Rotation ihrer Einheiten erlaubt».
«Schutz vor Plünderern»
Der Taifun diente nicht bloss als Vehikel, um die US-Präsenz in der Region zu festigen, sondern auch zur stärkeren Verankerung der philippinischen Armee in der Region. So erklärten im fernen Manila Regierungssprecher nach dem Taifun, Polizei- und Armeeeinheiten seien «zum Schutz vor Plünderern» aufgeboten worden. Regionalkommandeure der philippinischen Streitkräfte lancierten zudem die Falschmeldung, Guerilleros der Neuen Volksarmee (NPA), des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), hätten Rettungskonvois am Transport dringend benötigter Hilfsgüter gehindert.
Katastrophenschutz und -bekämpfung waren schon vor Taifun Haiyan vollkommen in der Hand der Militärs. So ist seit Anfang 2013 der frühere Generalmajor Eduardo del Rosario Chef der philippinischen Katastrophenschutzbehörde. Del Rosario, der unter anderem Befehlshaber der berüchtigten 2. Infanteriedivision der philippinischen Armee war und sich gern als «Aufstandsbekämpfungsexperte» gibt, gilt bei fortschrittlichen und linken Kräften im Land schlichtweg als «Schlächter». Kurz nach dem Wirbelsturm hatte dieser Mann die Chuzpe, von «minimalen Opferzahlen» zu sprechen.
Chefmanager «Ping»
Einen Monat nach dem verheerenden Durchzug des Taifuns kam es noch dicker: Präsident Aquino kürte den 66-jährigen Panfilo Lacson zu seinem Chefmanager für den Wiederaufbau. Für die konservativen Kräfte ist Lacson, den seine Freunde kurz «Ping» nennen, ein ebenso verlässlicher wie knallharter Law-and-Order-Mann. Bereits während der Herrschaft von Diktator Ferdinand Marcos, die bis 1986 dauerte, hatte Lacson im seinerzeit gefürchteten Metropolitan Command gedient. Als Offizier mit dem Schwerpunkt nachrichtendienstliche Aufklärung und Sicherheit befasste er sich in der Hauptstadt Manila mit der Bekämpfung von Oppositionellen. Unzählige StudentInnen, die damals gegen die Diktatur auf die Barrikaden gingen, wurden auf seine Anweisung hin festgenommen und weggesperrt. Lacson wurde später Generaldirektor der philippinischen Nationalpolizei und sass von 2001 bis 2013 im Senat.
Die im Untergrund agierende CPP, deren Neue Volksarmee seit 45 Jahren einen Guerillakampf gegen die Regierung führt, verurteilte die Ernennung Panfilo Lacsons scharf. Sie befürchtet, dass damit der Widerstand der Bevölkerung unterdrückt und der Kampf gegen die CPP verstärkt werden soll.
Bereits seit Anfang 2011 läuft in dem vom Taifun betroffenen Süden des Landes ein sogenannter Operationsplan Nachbarschaftshilfe, der zivile und militärische Komponenten kombiniert, um in RebellInnengebieten schrittweise Fuss zu fassen. Bis spätestens zum Ende von Aquinos Amtszeit im Juni 2016 sollen mithilfe dieser Operation die «linken und kommunistischen Elemente zerschlagen» und dauerhaft «Hirne und Herzen» der Bevölkerung gewonnen werden.
Militärkommandeuren ist es in ihren jeweiligen Operationsgebieten gestattet, Schulen, Spitäler, Kliniken und selbst religiöse Stätten zu nutzen, um dort vor allem Kinder und Jugendliche vor «kommunistischen Frontorganisationen» zu warnen. Laut der philippinischen Menschenrechtsallianz Karapatan mussten sich allein von Juli 2010 bis Ende Dezember 2013 knapp 133 000 Menschen – meist Kinder – dieser «Schulungsmassnahme» unterziehen. Ortschaften, die dem Militär den Zutritt verweigern, werden als «Horte des Terrorismus» ins Visier genommen.
Die philippinischen Medien bezeichnen Lacson aufgrund seines neuen Aufgabenbereichs kurz als «Zaren des Wiederaufbaus». Als Hauptkoordinator der Katastrophenhilfe kann er, gestützt auf die jederzeit abrufbare Hilfe von ExpertInnen und Regierungsbehörden, darüber verfügen, welche Mittel in welcher Höhe für welche Zwecke prioritär verwandt werden. Er verfügt über einen Sonderfonds in Höhe von mehr als 40 Milliarden Peso (913 Millionen US-Dollar). Das ist ein idealer Nährboden für Nepotismus und Korruption, zwei Hauptübel in der philippinischen Politik. Die CPP befürchtet, dass Lacson mit dem Geld vor allem die Interessen eines Teils des lokalen Big Business bedient, zu dem er seit langem enge Beziehungen habe.
Schaukampf in der zerstörten Stadt
Doch die Kritik kommt auch von unverdächtiger Seite: ArchitektInnen aus dem In- und Ausland bemängeln die «vielfach schlicht menschenunwürdigen» und überteuerten Notunterkünfte, die den Katastrophenopfern zur Verfügung gestellt wurden. Durchschnittlich sind 8,64 Quadratmeter für einen Raum vorgesehen, in dem mindestens fünf – mitunter auch mehr – Personen leben sollen. Sanitäre Anlagen sind gar nicht oder in schlechter Qualität vorhanden.
«Das Leben ist für die Überlebenden noch schlimmer geworden», zitiert das philippinische Onlinemagazin «Bulatlat» Joel Abaño von der Vereinigung der Armen in Solidarität. Die Regierung handle noch immer zu langsam und schaffe es nicht, dringend benötigte Hilfsgüter bereitzustellen.
In Tacloban kommt hinzu, dass RepräsentantInnen mächtiger Familienclans und politischer Dynastien die zerstörte Stadt als eine Art Kulisse brauchen, um sich einen Schaukampf zu liefern und sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. Die Regierung plant derweil in und um Tacloban die Gründung einer Sonderwirtschaftszone für die Industrie und den Finanzsektor. Sie nutzt die Zerstörung, um die lokale Wirtschaft nach den Interessen von globalen Konzernen umzugestalten. Zudem sind Luxusresorts für TouristInnen vorgesehen, auch neue Einkaufszentren sollen entstehen. Viele Überlebende des Supertaifuns Haiyan werden es sich jedoch kaum leisten können, dort jemals einzukaufen.
Hundert Tage danach: Hilfsgelder lassen auf sich warten
Am 8. November 2013 war der heftigste jemals registrierte tropische Wirbelsturm, Haiyan (auf den Philippinen «Yolanda» genannt), über die zentrale Inselgruppe der Visayas hinweggefegt. Mit Böen von bis zu 370 Stundenkilometern und fünf Meter hohen Flutwellen hinterliess der Taifun eine breite Schneise der Verwüstung. Am schwersten betroffen waren die Inseln Samar und Leyte und die Küstenstadt Tacloban. Diese wurde buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht.
Bis Ende Januar waren laut Angaben der Uno und der Regierung in Manila über 6200 Todesopfer zu beklagen, vier Millionen Menschen wurden entwurzelt und leben unter meist miserablen Bedingungen in Notunterkünften. Insgesamt sind laut Europäischer Kommission noch immer bis zu sechzehn Millionen Menschen, etwa ein Sechstel der nunmehr hundert Millionen EinwohnerInnen zählenden Bevölkerung der Philippinen, auf unterschiedliche Weise in Mitleidenschaft gezogen. Die internationale Staatengemeinschaft hat 791 Millionen US-Dollar an Wiederaufbauhilfe zugesagt. Bis Anfang Februar ist davon jedoch gerade einmal ein Drittel geflossen; unterschiedliche Auffassungen in Manila und New York über die Verwendung der Gelder sind dafür mitverantwortlich. Aufgrund der verbreiteten Korruption bestehe bei den Hilfswerken «grosses Unbehagen», sagt Steven Rood, Repräsentant der Asia Foundation in Manila. «Die Leute vertrauen lieber ihren sozialen Netzen, als auf Geldspenden zu hoffen.» Spenden, so fürchten die Leute, «werden nur veruntreut oder gleich gestohlen».