What’s up?: Mehr Wert aus dem Cyberspace

Nr. 9 –

55 Angestellte arbeiten beim Kurznachrichtendienst «WhatsApp». Zahlen zum Umsatz gibt es nicht, nur Schätzungen. Das Abonnement für den Dienst fürs Smartphone ist im ersten Jahr gratis, danach zahlt man einen US-Dollar oder einen Euro pro Jahr. Bei 450 Millionen KundInnen ergibt das vielleicht aktuell 300 Millionen US-Dollar Umsatz.

Eine andere Zahl hingegen ist verbürgt: Soeben ist das Unternehmen von Facebook für 19 Milliarden US-Dollar aufgekauft worden, 63-mal so viel wie der geschätzte Umsatz. Zum Vergleich: Der Zementproduzent Holcim erzielt einen Umsatz von 23 Milliarden US-Dollar – mit 78 000 Angestellten.

Zwei Dinge hat Facebook durch seine Milliarden gekauft: Terabytes an Daten. Und eine Hoffnung. Die Daten sind diejenigen der bisherigen 450 Millionen «WhatsApp»-KundInnen. Die Hoffnung besteht darin, dass alle, die bisher «WhatsApp» benutzt haben, dabeibleiben und sich weiterer Funktionen bedienen, die ihnen Facebook anbietet. Es ist eine Spekulation auf einen künftigen Gewinn.

Spekuliert wird auf dem Markt grundsätzlich auf eine Differenz, auf etwas, was andere nicht haben oder können. Weil die anderen MarktteilnehmerInnen darauf reagieren, hebt die einzelne Spekulation ihre Vorteile wieder auf, und die nächste tritt an ihre Stelle.

SpekulantInnen lassen sich moralisch abqualifizieren: Finanzhaie. Heuschrecken. Geierfonds. Aber Spekulation gehört systemisch zum Kapitalismus. Sie ist dessen Zuspitzung. Angetrieben wird sie vom lockenden Extraprofit, etwa durch Produktivitätsvorteile oder durch monopolistisch ausgewertete Erfindungen.

Die Hightechbranche arbeitet mit riesigen Zahlen und minimen Zeitintervallen; so tendiert sie dazu, die lebensweltliche Zeit zu tilgen. Werbung wird auf Internetseiten aktuell für die einzelnen Besuchenden produziert. Die Spekulation versucht, die Zwischenzeiten zu verkürzen, in denen sich das Kapital auf herkömmlichem Weg nicht verwerten kann. So passen Spekulation und Hightechbranche ideal zueinander. So ist die alternative Internetwährung Bitcoin soeben durch Spekulationen in Schieflage geraten.

Ende der neunziger Jahre gab es schon einmal einen Dotcom-Boom, doch im Jahr 2000 platzte die Blase. Fünfzehn Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts seien damals vernichtet worden, wird geschätzt. Um die Dotcom-Verluste zu kompensieren, stürzten sich US-AnlegerInnen auf Immobilien. Das Platzen dieser Blase hatte dann gravierendere Auswirkungen als 2000, als überwiegend papierene Börsenwerte vernichtet wurden.

Ein paar der Start-ups vom Ende des letzten Jahrhunderts sind geblieben, und neue sind hinzugekommen. Google natürlich und eben Facebook. Wie gross sich die jetzige Dotcom-Blase aufbläst, hängt davon ab, ob das spekulative Kapital andere lukrative Felder findet.

Was wird da überhaupt produziert? Vom Gebrauchswert her scheint es einigermassen klar: Wissen. Information. Beziehungen. Freundschaft. Es lässt sich streiten, ob das gut, notwendig, real und so weiter ist. «Ist das Internet gut oder schlecht? Ja.» So sagt Zeynep Tufekci, US-Soziologin und Cyberspace-Expertin. Wie bei allen Produktionsmitteln entscheidet der Gebrauch über den Nutzen. Obwohl, das Prinzip hat Grenzen, siehe die Atomkraft.

Als verkaufte Waren aber weisen digitale Güter, wie sie Internetplattformen und Smartphone-Nachrichtendienste liefern, ein paar Besonderheiten auf. Digitale Güter sind beliebig reproduzierbar und theoretisch offen zugänglich. Diese Güter können nicht als handfeste Ware verkauft werden. Deshalb wird der Zugang verkauft. Oder eine verknüpfte Nebenleistung. Google verkauft nicht die Informationsvermittlung, sondern die mittransportierte Werbung. Die Arbeitskraft, die in diesen Gütern steckt, hat sich aus der Produktion verflüchtigt und in die Entwicklungsarbeit, in Wartung und Betreuung ausgelagert.

Die Internetbranche funktioniert weiterhin im Kapitalismus und kapitalistisch. Aber diese Aussage reicht nicht. Die Frage bleibt, ob und wie Mehrwert nicht einfach aus der Realwirtschaft abgesaugt, sondern aus neuen Formen gepresst wird. Wenn wir das wissen, wissen wir, wohin das Kapital treibt und wie es uns gefährdet.