Ostdeutschland: Landraub in der Nachbarschaft

Nr. 10 –

In Ostdeutschland treten Grossinvestoren durch Landkäufe in die Fussstapfen der preussischen Gutsherren – und kassieren millionenschwere EU-Subventionen. Familienbetriebe oder BiolandwirtInnen haben kaum noch eine Chance.

Die Schäferei rechnet sich nicht mehr, Wolle und Fleisch sind wenig lukrativ: Horst Winkler auf seinem Hof in Marxdorf.

Horst Winkler öffnet die Stalltür und zeigt auf ein Lämmchen. «Gerade auf die Welt gekommen», sagt der Mann mit dem rosigen Gesicht. Der 72-Jährige hatte in der DDR «Ingenieur für Tierproduktion» gelernt und sich schon damals auf die Schäferei spezialisiert. Der Ruhe wegen. Jetzt bewirtschaftet er mit seinem Sohn einen Hof mit 130 Hektaren und 600 Schafen im brandenburgischen Marxdorf, sechzig Kilometer östlich von Berlin. Er ist stolz auf seinen Beruf: «Die Tiere halten beim Weiden die Grasnarbe kurz, dadurch verdichtet sich das Gras, und die Unkräuter können sich nicht ausbreiten. Ausserdem kann man die Bachdämme kontrollieren, während man die Schafe hütet.» Nützlich, keine Frage.

Dennoch gehen SchäferInnen wie Horst Winkler schweren Zeiten entgegen. Denn die Schäferei rechnet sich nicht mehr, Wolle und Fleisch sind wenig lukrativ. Die HirtInnen überleben nur dank EU-Subventionen. Und die Lage spitzt sich weiter zu, denn ostdeutscher Ackerboden ist längst zu einem millionenschweren Spekulationsobjekt geworden. Land Grabbing – der berüchtigte Landraub – ist nicht bloss ein beunruhigendes Phänomen in den Staaten des Südens. Es geschieht auch in der Nachbarschaft. Mit der neuen Landnahme sind die Bodenpreise in die Höhe geschnellt. Kostete eine Hektare Agrarfläche 2008 noch 6319 Euro (rund 7600 Franken), mussten KäuferInnen 2012 schon 13 761 Euro bezahlen. Das sind Summen, die Familienbetriebe nicht erwirtschaften können.

Familie Winkler hat ihre Pachtverträge zwar gerade um zwölf Jahre verlängert, trotzdem bangt sie, dass man ihr die Pachtflächen abwirbt: «Bei den Summen, die grosse Betriebe zahlen, können wir nicht mithalten. Wir befürchten, dass wir in rund zehn Jahren einpacken müssen.» Die Zahlen des Schafzuchtverbands Berlin-Brandenburg bestätigen diese Existenzangst. Seit der Jahrtausendwende reduzierte sich der brandenburgische Schafbestand von 170 000 auf 100 000 Tiere. Die Investoren haben andere Geschäftsmodelle, Lammfleisch oder extensive Beweidung interessiert sie nicht.

Privatisierung der DDR-Ländereien

Der Ausverkauf begann nach dem Ende der DDR. Die wiedervereinigte Bundesrepublik hielt plötzlich 2,1 Millionen Hektaren ostdeutschen Ackerboden in den Händen – was etwa einem Fünftel der Fläche der ehemaligen DDR entspricht. Die Bodenverwertungs und -verwaltungs GmbH (BVVG), ein Ableger der für die Privatisierung der ehemaligen DDR-Staatsbetriebe zuständigen Treuhandanstalt, übernahm 1992 nicht nur die Rückgabe an AlteigentümerInnen, sondern auch die Verwaltung und die Privatisierung der Flächen. Der Löwenanteil des Landes ist inzwischen verpachtet oder verkauft.

In den ersten Jahren waren es vor allem die Nachfolgebetriebe der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, kurz LPGs, die das Land extrem günstig pachteten. Sie verpflichteten sich oftmals, die Flächen für zwanzig Jahre zu bewirtschaften. Inzwischen sind viele dieser Verträge ausgelaufen. Das Land ist wieder auf dem Markt: 2012 wurden 33 000 Hektaren neu verpachtet, 2011 gar etwa 79 400 Hektaren. Das ruft finanzkräftige Kapitalanleger auf den Plan. Denn seit der Finanzkrise 2008 suchen Investoren alternative Anlagemöglichkeiten zu Aktien und Finanzderivaten. Ackerboden steht für sichere und einträgliche Renditen.

Viele der Unternehmen, die in Ostdeutschland nach grossen Landflächen greifen, kommen ursprünglich nicht aus der Landwirtschaft. Das bundeseigene Thünen-Institut für Agrarforschung berechnete, dass «nichtlandwirtschaftliche Investoren» in den neuen Bundesländern je nach Region zwischen zwanzig und fünfzig Prozent der Äcker und Wiesen in ihren Händen halten (vgl. «‹Millionen für Millionäre›» im Anschluss an diesen Text).

Diese Unternehmen greifen in Ostdeutschland nach Landflächen in den Dimensionen preussischer Grossgrundbesitzer. Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat im «Kritischen Agrarbericht 2010» weit über 100 000 Hektaren Land aufgelistet, die sich inzwischen in der Hand von Investoren befinden. Zum Vergleich: Die durchschnittliche LPG in der DDR hatte 4000 Hektaren, ein bäuerlicher Durchschnittsbetrieb besitzt rund 50 Hektaren.

Boden und Dörfer veröden

Udo Kutzke sitzt hinter seinem Schreibtisch und telefoniert. Auf den ersten Blick wirkt der Agraringenieur etwas raubeinig, aber er hört geduldig zu und antwortet wortgewandt. Der 63-Jährige gehört zu den viel kritisierten Ex-LPG-Kadern, denen etwa von ExpertInnen wie Eckehard Niemann vorgeworfen wird, sie hätten ihren Einfluss über das Ende der DDR hinausgerettet. Kutzke fechten solche Behauptungen nicht an. «Ja, ich war LPG-Vorsitzender, aber ich hatte kein Parteibuch. Nach der Wende wollte ich meine Funktion abgeben, aber keiner wollte sie übernehmen. Ich habe damals gesagt: ‹Gut, dann wandeln wir uns um.›» So wurde aus der LPG Tierproduktion in Küstrin-Kietz die Cüstriner Landgut GmbH. Ironie des Schicksals: Udo Kutzke stammt aus einem ehemaligen bäuerlichen Familienbetrieb. Seine Familie wurde 1956 im Zuge der «Kollektivierungsphase» enteignet; der Betrieb ging in eine LPG über.

Auf den 1500 Hektaren der Cüstriner Landgut GmbH wachsen Weizen, Raps und Sonnenblumen. An Tieren gibt es Hühner und Kühe. Dreizehn Angestellte arbeiten hier. Das Land Grabbing trifft auch Kutzke: Er ist alarmiert darüber, dass in den letzten Jahren immer mehr Grossinvestoren Ländereien kaufen. In seiner direkten Umgebung hat sich etwa die KTG Agrar mit Biogasanlagen und riesigen Maismonokulturen ausgebreitet. «Das ist ein börsennotiertes Unternehmen, da zählt nur das Geld.» Da achte keiner mehr auf geeignete Fruchtfolgen, und es bestehe die Gefahr, dass der Boden veröde. «Bei mir zählt es, Ökonomie und Natur in Einklang zu bringen, mit Abstrichen auf beiden Seiten. Aber ich kann die Natur nicht vergewaltigen, ich habe Verantwortung für den Boden.»

Auf die amtlichen BodenverwalterInnen der BVVG ist Udo Kutzke nicht gut zu sprechen. «Wenn meine Pachtverträge auslaufen, nennt mir das Katasteramt einen bestimmten Durchschnittspreis pro Hektare.» Er lehnt sich weit über den Schreibtisch, und seine Stimme klingt ärgerlich: «Die BVVG nennt mir aber den doppelten Preis des Katasteramts. Denn der Staat braucht Geld und hat die Gesetze so gestrickt, dass er mit dem Meistbietenden ins Geschäft kommt.» Auf diesen Vorwurf kontert die BVVG, dass sie bei Ausschreibungen grundsätzlich ortsansässige Bauern bevorzuge. Doch Kutzke kennt die Tricks: «Die Grossinvestoren schicken Landwirte als Strohmänner, pachten und kaufen dann das Land. Die BVVG weiss das, versteckt sich aber hinter ihren Regeln.»

Subventionen für Grossbetriebe

«Es wird ungemütlicher. Einzelne Existenzen sind dadurch gefährdet», sagt Reinhard Jung, Sprecher des Bauernbunds Brandenburg, der vor allem Kleinstbetriebe vertritt. Er kritisiert vor allem, dass die Monokulturen das Gesicht Ostdeutschlands verändern: «Plötzlich ist der Boden Renditeobjekt, und der landwirtschaftliche Raum hat nichts davon. Wir bekommen amerikanische Verhältnisse, riesige Felder, und die Dörfer veröden. Wir wollen aber lebendige Dörfer.» Für diese Entwicklung macht er die Politik nach dem Zusammenbruch der DDR mitverantwortlich. Er ärgert sich bis heute darüber, dass sich nach der Wende niemand dafür interessierte, bäuerliche Familienbetriebe zu fördern: «Denjenigen, die sich selbstständig machen wollten, fehlten die notwendigen Seilschaften, und die Politik bremste sie systematisch aus.» Auch die LPG-Nachfolgebetriebe seien finanzschwach gewesen und schon darum überaus geeignete Anlageobjekte für Grossbetriebe.

Reinhard Jung bewirtschaftet einen Hof mit dreissig Hektaren Land in der Prignitz in Brandenburg. Der gebürtige Hamburger redet wie ein Wasserfall. Und muss selbst lachen, als er das Bild vom Landwirt aus Leidenschaft entwirft. Doch es ist ihm ernst. Sein Verband würde gerne mehr bäuerliche Familienbetriebe etablieren: «Grossbetriebe sind uns in vielen Bereichen überlegen. Nur durch unser Engagement stehen wir gut da. Deshalb ist unsere Wertschöpfung pro Hektare auch höher als die der industriellen Agrarwirtschaft.»

Die Subventionspolitik der EU stützt jedoch bislang die Geschäfte der Grossen. Das belegen Zahlen des Bundes für Umwelt und Naturschutz für das Jahr 2012. In seinem Bericht zu Agrarsubventionen heisst es: «44 Prozent der Bauern in Deutschland bekommen nicht einmal 5000 Euro pro Jahr. Die grössten Agrargüter in Deutschland erhalten dagegen ein Drittel der gesamten Direktzahlungen, obwohl sie lediglich zwei Prozent der Betriebe ausmachen.»

Das wird sich auch nach der Konferenz der AgrarministerInnen der Bundesländer vom November 2013 nicht nennenswert ändern. Die Förderung der kleinen und mittleren Betriebe bleibt minimal. Ausserdem verweigern es der Deutsche Bauernverband und die ehemalige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner weiterhin, die Zahlungen auf 300 000 Euro pro Betrieb zu beschränken. Solange sie diese Kappung ablehnen, stärken sie den Grossbetrieben weiter den Rücken und verhindern einen Strukturwandel zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft.

Grossgrundbesitzerinnen : «Millionen für Millionäre»

Am Land Grabbing in Ostdeutschland beteiligen sich viele Investoren, die ursprünglich aus nicht landwirtschaftlichen Branchen kommen. Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat im «Kritischen Agrarbericht 2010» ein gutes Dutzend solcher Grossinvestoren aufgelistet.

Darunter ist zum Beispiel die Steinhoff-Familienholding zu finden, die insgesamt etwa 20 000 Hektaren bewirtschaftet. Vor allem in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende hat der Holdinggründer Bruno Steinhoff, der vor 1989 Möbel aus Ostdeutschland und Osteuropa in den Westen importierte und damit zu einem der grössten Möbelverkäufer Europas wurde, mehrere grosse Agrarbetriebe aufgebaut. Dort werden vor allem Mais, Roggen und Gerste für Biogasanlagen sowie Getreide für den Handel angebaut, wie es aus dem Unternehmen heisst.

Siegfried Hofreiter, Chef der KTG Agrar, eines der grössten deutschen Agrarunternehmen, ist immerhin Landwirt. Der börsennotierte Konzern bewirtschaftet mit 600 Angestellten 31 000 Hektaren Ackerland an über dreissig Standorten. Angebaut wird zur Hälfte konventionell, zur Hälfte ökologisch: Biokartoffeln, -zwiebeln und -karotten. Dazu Raps und Mais für Biogasanlagen. Die Rendite der KTG Agrar lag in den letzten Jahren zwischen vier und sechs Prozent.

Nach einer Berechnung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) stehen diesem Betrieb jährlich allein neun Millionen Euro Subventionen aus der Flächenprämie zu. Die Flächenprämie erhalten alle Betriebewas bedeutet, dass die grössten Betriebe die meisten Subventionen erhalten. «Millionen für Millionäre», moniert der BUND.

Die gewaltige Anhäufung von Boden und Geld findet Fabian Lorenz, Sprecher der KTG Agrar, nicht stossend: «Wir blicken nach Osteuropa und Brasilien. Für dortige Verhältnisse sind wir ein Zwerg.»

Antje Stiebitz