Angola: Zuckerplantagen statt Savanne

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Einst war Angola der grösste Agrarproduzent von ganz Afrika. Heute muss das Land Lebensmittel importieren. Nun wollen Regierung und private InvestorInnen grosse landwirtschaftliche Betriebe aufbauen. Gibt es darin auch Platz für KleinbäuerInnen?

Hybridmais für den Weltmarkt: Auf der Black Stone Farm in Malanje spannt die chinesische Citic Construction mit der staatlichen angolanischen Agraragentur zusammen. Foto: Jörg Böthling

Die frisch gerodeten Flächen und Felder enden erst am Horizont. Dort erhebt sich die gewaltige Felsformation Pungo Andongo, deren mit Moos bewachsene Felsen im Regen wie die Rücken riesiger Urzeitechsen erscheinen. Zwischen den Felsen soll das Zentrum des Bantu-Königreichs Ndongo gelegen haben, das Ende des 17. Jahrhunderts der portugiesischen Kolonie Angola einverleibt worden war. Heute zählt Pungo Andongo zu den wenigen touristischen Höhepunkten Angolas. Doch vielleicht werden an dem geschichtsträchtigen Ort die Weichen für die Zukunft der Landwirtschaft im Land gestellt.

«Bis vor kurzem gab es hier nichts als Savanne», sagt Marco Brandão, der seinen Pick-up über einen breiten Feldweg steuert. «Aber im brasilianischen Mato Grosso war Anfang der achtziger Jahre auch nichts. Heute zählt der Bundesstaat zu den produktivsten Agrarregionen des Landes», erzählt Brandão. Der angolanische Agraringenieur mit portugiesischen Wurzeln ist in der Hauptstadt Luanda aufgewachsen und hat in Lissabon studiert. Auf dem Feld neben der Strasse ziehen Erntemaschinen von der Grösse eines Einfamilienhauses ihre Bahnen. Krachend spucken sie das geschnittene Zuckerrohr in Lastwagen, die neben den Erntemaschinen über den holprigen Acker ruckeln.

Brachliegende Äcker

Die Zuckerrohrplantage ist Teil eines riesigen Agroindustrieparks. Der PÓlo Agro-Industrial de Capanda (PAC) in der Provinz Malanje sucht nicht nur in Angola seinesgleichen. Er umfasst ein Areal von rund 410 000  Hektaren, das ist die Fläche der Kantone Zürich, Schwyz und Luzern zusammengerechnet. Auf der nur schwach besiedelten Landfläche sollen in Zukunft 300 000  Hektaren als Agrarland genutzt werden. Neben den bestehenden Siedlungen und einem Teil, der als Savanne belassen werden soll, werden Fabriken und Kraftwerke stehen, verbunden durch Strassen und mit einer Eisenbahn. Mit dem PAC im Tal des Flusses Kwanza will die Regierung die angolanische Landwirtschaft wieder ankurbeln. Oder anders gesagt: in die Zukunft katapultieren.

In den sechziger Jahren war die ehemalige portugiesische Kolonie der grösste Agrarproduzent Afrikas. Aus Angolas Häfen liefen mit Zucker, Baumwolle, Bananen und Palmöl beladene Frachter in die ganze Welt aus. Zeitweilig war das Land der viertgrösste Kaffeeproduzent der Welt. Doch der ein Jahr nach der Unabhängigkeit von 1974 ausgebrochene Bürgerkrieg zwischen den drei rivalisierenden Befreiungsbewegungen Unita, FNLA und der heute regierenden sozialistischen MPLA setzten dem ein Ende. Erst 2002 kehrte Friede ein, als die von den USA und Südafrika unterstützte RebellInnenorganisation Unita nach dem Tod ihres Führers Jonas Savimbi aufgab.

Der Bürgerkrieg hatte Hunderttausende das Leben gekostet. Weite Teile der Infrastruktur wurden zerstört. Ausserhalb der boomenden Hauptstadt sieht man immer noch Panzerwracks und zerstörte Gebäude. Ein Grossteil des Ackerlands liegt weiter brach. Angola muss deshalb heute den überwiegenden Teil seiner Lebensmittel importieren.

Dabei sind nach Angaben der Regierung von den über 124 Millionen Hektaren Land Angolas 30 Millionen Hektaren für den Ackerbau nutzbar – das entspricht fast einem Drittel der Ackerfläche der gesamten EU. Zudem sind die klimatischen Bedingungen vor allem im zentralen Hochland ausgezeichnet. Doch bislang hat sich dafür kaum jemand interessiert, da die Erdölfelder vor der Küste und die Diamantenminen im Landesinnern für üppige Einnahmen sorgten – zumindest für die Elite des Landes. Laut einer Studie des Unternehmens Mercer war Luanda 2013 nach Tokio die zweitteuerste Stadt der Welt. Der Grossteil der Bevölkerung aber lebt nach wie vor in Armut: Siebzig Prozent müssen mit weniger als 1,70 US-Dollar am Tag auskommen.

Präsidententochter mischt mit

Marco Brandão grüsst nickend den Fahrer einer Erntemaschine. Dann zeigt er auf die Zucker- und Ethanolfabrik mitten in der Plantage und sagt: «Das ist die erste neue Zuckerfabrik Angolas. Vor dem Krieg gab es drei im Land, doch die sind inzwischen veraltet oder zerstört.»

Brandão arbeitet für den brasilianischen Grosskonzern Odebrecht, der in Brasilien einer der wichtigsten Zucker- und Ethanolproduzenten ist. In Angola hat Odebrecht bereits Brücken, Strassen, Staudämme und Einkaufszentren gebaut. Seit rund fünf Jahren betätigt sich der Konzern auch in der Landwirtschaft, überwiegend im Auftrag der staatlichen Agraragentur Gestão de Terras Aráveis (Gesterra). Die vor sechs Jahren gegründete Agentur soll Grossfarmen entwickeln. In ihrem Auftrag roden und beackern verschiedene internationale Konzerne Flächen von mehreren Tausend Hektaren pro Betrieb. Neben Odebrecht ist das unter anderem die chinesische Citic Construction. Das rot-weisse Firmenlogo des Unternehmens der staatlichen Citic Group ist in ganz Angola präsent.

Im Agroindustriepark PAC hat allerdings Odebrecht die Nase vorn. Bis 2018 soll ihre Zuckerrohrplantage auf 32 000  Hektaren anwachsen. Laut Marco Brandão geht es im Park überwiegend um Zucker: «Ethanol und Strom aus dem Biomassekraftwerk werden nur Nebenprodukte sein.» Bald sollen auf der Plantage und in der Zuckerfabrik rund 1500 Menschen Arbeit finden.

Odebrecht betreibt den Park zusammen mit dem staatlichen Erdölkonzern Sonangol und einer Gruppe angolanischer InvestorInnen unter dem Firmennamen Bioenergy Company of Angola. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dabei auch die Tochter von Präsident José Eduardo dos Santos beteiligt ist. Dos Santos von der ehemaligen Befreiungsbewegung und heutigen Partei MPLA ist seit 34 Jahren im Amt. Ihm gehört unter anderem das grösste Mobilfunkunternehmen des Landes. An seinem Clan kommt in Angola niemand vorbei. Längst ist der Sozialismus angolanischer Prägung zu einer Mogelpackung verkommen, auch wenn noch immer Machete und Maschinenrad die Landesfahne zieren und sich die MPLA-Führung weiterhin als Politbüro bezeichnet.

Landwirtschaftliche Grossbetriebe haben in Angola Tradition. Bereits zur Zeit der portugiesischen Herrschaft versorgten sie den lokalen und globalen Markt. Auf vielen mussten ZwangsarbeiterInnen die harte Arbeit erledigten. KleinbäuerInnen konnten sich mit ihrer Arbeit gerade mal selbst versorgen, doch der Grossteil der Landwirtschaft und die damit verbundene Wertschöpfungskette lagen in portugiesischer Hand: die Vertriebssysteme, der Maschinen- und Gerätehandel sowie die Düngemittelherstellung. Als mit der Unabhängigkeit jedoch die meisten PortugiesInnen Angola verliessen, brach der Agrarsektor zusammen. Jene, die blieben, durften das Land zwar vom Staat pachten und bewirtschaften, doch ein Grossteil der Ländereien wurde von der MPLA eingezogen und an hochrangige Armeeangehörige sowie an die Nomenklatura der Partei verteilt. Diese kümmerten sich jedoch meist nicht um die Landwirtschaft.

Davon erholte sich das Land nur langsam. Erst als die Nachfrage nach Agrotreibstoffen immer mehr zunahm und das internationale Kapital im Zuge der Finanzkrise von 2008 die Landwirtschaft als sicheren Investitionsbereich entdeckte, änderte sich dieser Zustand. Heute investieren nicht nur internationale Konzerne, sondern auch angolanische Geschäftsleute, PolitikerInnen und hohe Militärs in die Landwirtschaft. Von diesem Trend zeugen erste Grossfarmen und Fleischbetriebe, die seither mithilfe ausländischer ExpertInnen aufgebaut wurden. Vor allem aus dem derzeit von der Wirtschaftskrise gebeutelten ehemaligen Kolonialland Portugal kommen viele Fachkräfte, aber auch aus den Niederlanden. Und nicht wenige PortugiesInnen versuchen, die zerstörten oder brachliegenden Güter ihrer Familien wiederaufzubauen.


KleinbäuerInnen ohne Landtitel

Doch wie verträgt sich dieser Trend mit der Subsistenzwirtschaft der vielen KleinbäuerInnen im Land? In Angola leben gerade einmal zwanzig Millionen Menschen auf einer Fläche, die dreissigmal so gross ist wie jene der Schweiz. Von der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche wird laut dem früheren Vizepräsidenten Fernando da Piedade Dias dos Santos bisher nur ein Fünftel genutzt.

Unklar ist, ob in diesen Angaben der Regierung bereits das Land der KleinbäuerInnen mit eingerechnet ist. Die alteingesessenen BewohnerInnen auf dem Land, die keine Besitztitel oder Pachtverträge, meist nicht einmal einen Personalausweis besitzen, laufen immer mehr Gefahr, ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Laut VertreterInnen von Entwicklungsorganisationen und der Opposition vergibt der Staat zunehmend Landnutzungsrechte an private InvestorInnen.

Dennoch glaubt Marco Brandão weiter an eine Koexistenz von Agroindustrie und lokalen BäuerInnen. «Sie werden von der Infrastruktur profitieren, die wir hier schaffen», sagt er. So unterstütze Odebrecht jene DorfbewohnerInnen in der unmittelbaren Nachbarschaft des Parks mit einem Projekt, das auch den Anbau von Gemüse fördert. Vor allem die Frauen verdienen damit etwas Geld, indem sie ihr Gemüse an die Kantinen von Odebrecht und auf lokalen Märkten verkaufen können. Eine dauerhafte Lebensgrundlage ist das jedoch nur, wenn sie nicht bald einer weiteren Grossfarm weichen müssen.

Brasilianische Interessen in Afrika : Soja und Baumwolle in Moçambique

Brasilien hat in den letzten drei Jahrzehnten einen Agrarboom erlebt, angestossen unter anderem durch den Anbau riesiger Soja- und Zuckerrohrmonokulturen im Bundesstaat Mato Grosso. Das Land ist heute der zweitgrösste Agrarproduzent der Welt. Das geht jedoch auf die Kosten unzähliger KleinbäuerInnen und der ursprünglichen Vegetation, denn angebaut wird in erster Linie, was hohe Preise auf dem Weltmarkt verspricht: Mais, Zuckerrohr, Eukalyptusbäume, Soja oder Palmöl. Die Produkte dieser häufig genmanipulierten Pflanzen finden Verwendung in der Lebensmittelindustrie, als Futtermittel und für die Herstellung von Agrosprit.

Inzwischen werden die extrem ungleich verteilten landwirtschaftlichen Nutzflächen in Brasilien knapp und immer teuer. Deshalb wird insbesondere in den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Afrika nach neuen Erschliessungsgebieten gesucht. Neben der gemeinsamen Sprache gibt es auch eine historische Verbindung über die Geschichte des Sklavenhandels, denn viele BrasilianerInnen haben afrikanische Vorfahren.

Am weitesten fortgeschritten ist das brasilianische Engagement in Moçambique. Land kostet dort wenig, die Umweltauflagen sind niedrig, und der chinesische Exportmarkt ist nah. So hat der brasilianische Agrarkonzern SLC Agricola angekündigt, ab 2015 in grossem Stil Soja in Moçambique anzubauen. Der brasilianische Staatskonzern Petrobras baut bereits Zuckerrohr an und betreibt eine Ethanolfabrik. Im besonders fruchtbaren Norden des Landes will die Regierung von Moçambique mit dem Projekt Prosavana die Landwirtschaft des Landes modernisieren. Auf über fünf Millionen Hektaren, einer Fläche grösser als die Schweiz, sollen Monokulturen mit Baumwolle, Zuckerrohr, Soja und Mais betrieben werden. Finanziert und geleitet wird das Projekt von der brasilianischen Entwicklungsbank.