Bodenpolitik: Das Bollwerk gegen Land Grabbing wird angekratzt

Nr. 8 –

Das bäuerliche Bodenrecht verhindert, dass Landwirtschaftsland zum Spekulationsobjekt wird. Die Kleinbauern-Vereinigung sieht dieses Prinzip mit der neuen Agrarpolitik in Gefahr – und ist damit nicht allein.

Wenn auch juristische Personen Agrarland kaufen können, kann sich die Bäuerin dann das Heimetli noch leisten? Im Bild: ein Hof im Emmental. Foto: Ursula Häne

Wer hat Zugang zu Land? Für Leute, die einen Bauernhof suchen, ist das eine existenzielle Frage: Immer mehr junge LandwirtInnen, besonders im Biobereich, stammen nicht aus Bauernfamilien. Aber die Frage ist nicht nur für sie relevant. Ein Dorf, in dem ein Dutzend Familien von der Landwirtschaft leben können, hat eine andere Sozialstruktur als ein Dorf mit nur einem Grossbetrieb – und wahrscheinlich auch andere Ökosysteme.

Manche QuereinsteigerInnen möchten alternative Formen jenseits des klassischen Familienbetriebs ausprobieren, zum Beispiel solidarische Landwirtschaft: die direkte Zusammenarbeit zwischen Produzentinnen und Konsumenten. Der Bundesrat und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) haben auf diese Entwicklungen reagiert. Mit der neusten Agrarpolitikreform, der AP 22+, die noch bis 6. März in der Vernehmlassung ist, wollen sie QuereinsteigerInnen den Zugang zu Land erleichtern.

Ein Grund zur Freude? «Nein, ein riskanter Schnellschuss», sagt Séverine Curiger von der Kleinbauern-Vereinigung. Denn die vorgeschlagenen Änderungen drohen eine elementare Errungenschaft der Schweizer Bodenpolitik aufzuweichen: das Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB).

Boden als Anlage?

Boden ist in der Schweiz knapp und entsprechend teuer. Ohne politische Eingriffe gäbe es wohl allein deshalb in der Schweiz keine Landwirtschaft mehr – von Hobbybetrieben abgesehen. Ein wichtiger politischer Eingriff ist die Trennung von Landwirtschafts- und Bauzonen, die zu zwei völlig verschiedenen Bodenmärkten führt: Bauland kostet ein Vielfaches mehr als Agrarland. Ein anderer ist das BGBB. Das 1992 an der Urne angenommene Gesetz stammt aus der Zeit der Stadt-Land-Initiative, die den Boden dem Kapitalismus ganz entziehen wollte. Die Initiative ging 1988 zwar mit nur gut dreissig Prozent Ja-Stimmen bachab, prägte aber dennoch den Umgang mit dem Boden.

Das BGBB hat zum Zweck, das bäuerliche Grundeigentum zu fördern, übersetzte Preise für landwirtschaftlichen Boden zu bekämpfen und die «Stellung des Selbstbewirtschafters» beim Erwerb landwirtschaftlicher Gewerbe und Grundstücke zu stärken. Landwirtschaftsland soll bevorzugt jenen gehören, die es bewirtschaften. ErbInnen, die bauern wollen, haben das Recht, den Hof günstig zum Ertragswert zu übernehmen; PächterInnen haben bei Verkauf ein Vorkaufsrecht. Juristische Personen können mit wenigen, eng definierten Ausnahmen kein Landwirtschaftsland kaufen. Das ist der Grund, warum die Schweiz bisher von einem Problem verschont geblieben ist, das global hohe Wellen schlägt: Konzerne investieren im grossen Stil in Agrarland. In Deutschland sind die Bodenpreise deshalb in wenigen Jahren so stark gestiegen, dass bäuerliche BewirtschafterInnen verdrängt werden. «Landraub ist längst auch ein Problem in Deutschland», schreibt die deutsche Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. «Viele Betriebe bekommen kein Land mehr und sind daher in ihrer Existenz bedroht.»

Die AP 22+ bringt keine freie Bahn für solches Land Grabbing. Dennoch kratzt sie an den Grundprinzipien des bäuerlichen Bodenrechts: Neu sollen juristische Personen einfacher zu Land kommen. Bei Genossenschaften und Vereinen müssen dabei SelbstbewirtschafterInnen die Mehrheit der Mitglieder stellen – «doch wie soll das langfristig überprüft werden, etwa bei Mitgliederwechseln?», fragt Séverine Curiger. Bei anderen Rechtsformen wie etwa einer Aktiengesellschaft müssen SelbstbewirtschafterInnen die Mehrheit des Vorstands und zwei Drittel des Kapitals sowie der Stimmrechte stellen – aber die restlichen Personen müssen nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, sondern können zum Beispiel einfach Kapital beisteuern.

Die Kleinbauern-Vereinigung lehnt diese Vorschläge ab. «Anlagemöglichkeiten sind gesucht, global boomen Investitionen in Land», sagt Curiger. «Kurzfristig bringt Schweizer Landwirtschaftsland wenig Profit, aber wie sieht es langfristig aus? Boden ist ein sicherer Wert über Generationen.» Vor allem sei es wichtig, dass Höfe nur gekauft würden, um eine bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten. «Wenn eine juristische Person einen Hof kauft und mit Gewinn weiterverkauft, muss der Mehrwert abgeschöpft werden. Davon steht in der AP 22+ nichts.»

Teure Pachten

Auch die Kleinbauern-Vereinigung wolle den Zugang zu Land verbessern und sehe darum Anpassungsbedarf, sagt Curiger. Doch die AP 22+ bewirke das Gegenteil. Zum einen wegen Änderungen im Pachtrecht: Neu sollen PächterInnen für ihre Wohnungen einen ortsüblichen Mietzins bezahlen – nachdem bereits letztes Jahr die Pachtzinsen wegen einer Änderung der Ertragswertschätzung generell gestiegen sind. «Für viele Pächterinnen und Pächter sind diese Verteuerungen untragbar – und wer quer einsteigt, beginnt oft mit einem Pachthof.»

Ausserdem möchte der Bundesrat die Anforderungen an die Ausbildung verschärfen. In Zukunft soll ein Lehrabschluss nicht mehr genügen, sondern nur noch die nächsthöhere Ausbildung: die BetriebsleiterInnenschule. Heute verfügen nur ein Drittel aller LandwirtInnen über diesen Fachausweis. Unklar ist, ob AbsolventInnen des sogenannten Nebenerwerbskurses (NEK), der wie eine Lehre zum Führen eines Hofes berechtigt, aber weniger lang dauert, neu zu dieser Weiterbildung zugelassen würden. Viele kritisieren den NEK als «Schnellbleiche», die Kleinbauern-Vereinigung verteidigt ihn jedoch: «Wer quer einsteigt und bereits eine Familie hat, kann sich eine Lehre finanziell oft schlicht nicht leisten», gibt Curiger zu bedenken. «Die neue Anforderung schliesst ganz viele gute Bäuerinnen und Bauern aus und führt zu einer Verschulung der Landwirtschaft.»

Die Kleinbauern-Vereinigung kritisiert eine weitere geplante Neuerung: Wenn heute einE BäuerIn ins Pensionsalter kommt, sind deren Nichten und Neffen berechtigt, den Hof günstig zum Ertragswert zu übernehmen. Der Bundesrat will dies auf direkte Nachkommen beschränken. Ein Detail? Nein, sagt Curiger: «Es kann doch nicht darum gehen, dass weniger Höfe in der Familie, dafür mehr Höfe ausserfamiliär übergeben werden. Wir wollen nicht das eine gegen das andere ausspielen.» Die Neuerung sage viel aus über die Philosophie von Bundesrat und BLW: «Sie wollen den Strukturwandel und den Wettbewerb fördern, konkurrenzfähige Quereinsteiger auf Kosten von traditionellen Hofnachfolgern stärken. Wir wollen, dass möglichst viele Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, dass es viele unterschiedliche Höfe gibt. Vielfalt macht widerstandsfähig.»

Ein Satz im Bericht zur neuen Vorlage zeigt, wohin das BLW zielt – wie so oft auf den «Markt»: «Es ist ein Ziel der AP 22+, die Bodenmobilität zu erhöhen und damit die Marktausrichtung zu verbessern und den Einstieg interessierter und fähiger Personen in die Landwirtschaft zu vereinfachen.»

«Zentral wie die Flankierenden»

Auch der Schweizer Bauernverband (SBV) wehrt sich gegen die Aufweichung des BGBB. Er fordert Nichteintreten auf alle Änderungen, die die AP 22+ in diesem Bereich vorsieht. So hat das «Parlament» des SBV, die Landwirtschaftskammer, am Mittwoch beschlossen. SBV-Präsident und CVP-Nationalrat Markus Ritter findet das bäuerliche Bodenrecht für die Landwirtschaft ähnlich zentral wie die flankierenden Massnahmen für den Rest der Wirtschaft: «Beides darf man nicht antasten. Wenn Leute, die sich nicht an der Bewirtschaftung eines Hofes beteiligen, einen Teil des Kapitals beisteuern, werden die Ziele des BGBB ausgehöhlt.» Schon vor Jahren hätten ihm Firmenvertreter gesagt, wenn sie in Landwirtschaftsland in der Schweiz investieren könnten, würden sie es sofort tun. «Land ist nicht vermehrbar, es wird täglich knapper und damit wertvoller.»