Muslimbruderschaft: Es geht nicht mit, es geht nicht ohne sie

Nr. 11 –

Nachdem die islamistische Organisation nicht nur in Ägypten, sondern auch in Saudi-Arabien verboten worden ist, verliert sie zunehmend an Unterstützung.

Der Druck auf die ägyptische Muslimbruderschaft nimmt weiter zu: Nachdem die Organisation im Februar von einem Gericht in Kairo offiziell zur terroristischen Vereinigung erklärt worden war, verbot ein anderes Gericht vergangene Woche nun die Hamas. Laut Gerichtsentscheid muss der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft seine Büros in Ägypten schliessen, sein Vermögen wird beschlagnahmt. Und weitere Länder ziehen nach: Nur wenige Tage nach dem Entscheid gegen die Hamas stufte Saudi-Arabien die Muslimbruderschaft ebenfalls als terroristisch ein und kündigte an, gegen deren wachsenden Einfluss im eigenen Land vorgehen zu wollen.

Kurz zuvor war es zu einem diplomatischen Eklat gekommen, bei dem Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain ihre Botschafter aus Katar abgezogen hatten. Die drei Mitglieder des 1981 gegründeten Golf-Kooperationsrats – zu dem auch Oman und Kuwait gehören – begründeten ihre Entscheidung damit, dass Katar sich nicht an ein Abkommen halte, in dem das Land sich verpflichtete, seine Unterstützung für die Muslimbruderschaft sowie für andere islamistische Gruppen einzustellen.

Katar pflegt seit Jahren gute Beziehungen zur Muslimbruderschaft. Immer wieder gewährt es ihren Mitgliedern Zuflucht. So lebt Jussef al-Karadawi, der als geistliches Oberhaupt der Muslimbruderschaft gilt, seit 1961 in Katar im Exil. Das Land bietet den Brüdern neben Asyl aber auch noch ein wichtiges Sprachrohr: Der 1995 von der Herrscherfamilie gegründete Nachrichtensender al-Dschasira gilt als Propagandamaschine der Organisation und berichtet zudem kritisch über andere Golfstaaten. Das ist denn auch einer der Gründe für den Eklat im Golf-Kooperationsrat: Gemäss der gemeinsamen Vereinbarung des Rats ist es den Mitgliedern untersagt, sich in die inneren Angelegenheiten der anderen Mitglieder einzumischen, genauso wie keine «feindlichen Medien» unterstützt werden dürfen.

Katars Strategie

Den Nachbarstaaten Katars missfällt allerdings nicht nur dessen Unterstützung der Muslimbruderschaft, die sie mit für die Radikalisierung des Islam in der Region verantwortlich machen. Auch die Hilfsleistungen an die Ableger der Organisation etwa in Syrien und im Jemen stehen in der Kritik. Allerdings sei es «den Kataris egal, was die Saudis sagen oder verlangen», sagt Mehran Kamrava, Direktor des Zentrums für Internationale Politik- und Regionalstudien an der Georgetown-Universität in Katar. «Wenn es in Katars strategischem Interesse ist, die Muslimbruderschaft zu unterstützen, werden sie es auch weiterhin tun.» Dem Land gehe es laut Kamrava darum, sich als Regionalmacht zu profilieren. Auch deshalb habe sich Katar gleich zu Beginn der ägyptischen Revolution auf die Seite der Muslimbrüder geschlagen. Damals schien klar, dass die Organisation als Gewinnerin aus dem Umbruch hervorgehen würde. Diese Verpflichtung könne das Land nun aber nicht so leicht wieder aufkünden.

Anfang dieser Woche hat Katar bekannt gegeben, dass es weder seine Botschafter aus Saudi-Arabien, den VAE und Bahrain abziehen noch seine Aussenpolitik ändern werde. Der ägyptischen Muslimbruderschaft kann das nur recht sein. Nach drei Jahren Revolution ist Ägypten zutiefst gespalten. Auf der einen Seite stehen die UnterstützerInnen des Militärs und die Gefolgschaft von Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi, der als aussichtsreichster Bewerber für das höchste Staatsamt gilt. Auf der anderen Seite stehen die Muslimbrüder und ihre AnhängerInnen. Irgendwo dazwischen sind die liberalen und linken Kräfte, die es bis heute nicht geschafft haben, eine entscheidende Rolle zu spielen.

Seit Herbst sitzt nun fast die komplette Führungsriege der Muslimbruderschaft hinter Gittern, und gegen den im letzten Sommer vom Militär entmachteten Präsidenten Muhammad Mursi wurden mehrere Anklagen erhoben, unter anderem wegen Aufruf zum Mord sowie wegen Verschwörung, Hochverrat und Terrorismus. Wöchentliche Aufrufe der «Nationalen Allianz zur Unterstützung der Legitimität», eines Bündnisses aus islamistischen Parteien, hinter dem sich auch die Muslimbrüder verbergen, werden zwar noch immer befolgt. Aber es fällt der Allianz zunehmend schwerer, den Druck von der Strasse aufrechtzuerhalten. Bei den Kundgebungen kommt es regelmässig zu Zusammenstössen, bei denen Menschen verletzt oder getötet werden, viele der AktivistInnen landen im Gefängnis. Laut Angaben des Ägyptischen Zentrums für Soziale und Wirtschaftliche Rechte wurden bisher über 16 000  AnhängerInnen der Allianz verhaftet.

«Sie legen sich nie fest»

Um eine politische Lösung zu finden, legte der Politikwissenschaftler Hassan Nafaa erneut deshalb eine Versöhnungsinitiative vor. Sie stand schon nach Mursis Sturz zur Diskussion, wurde aber verworfen: Weder die Übergangsregierung noch die Muslimbruderschaft zeigten sich damals zu einem Dialog bereit. Dies könnte sich nun ändern. Bestanden die Brüder noch bis vor kurzem auf die Wiedereinsetzung von Mursi, könnten sie sich gemäss Angaben politischer BeobachterInnen mittlerweile auf Kompromisse einlassen. Allerdings gibt es dazu bisher keine offiziellen Aussagen. «Das ist das Problem der Muslimbrüder», sagt Nafaa, der an der Kairo-Universität lehrt: «Sie legen sich nie fest.» Laut Nafaa dient seine Versöhnungsinitiative dazu, die Spaltung zu überbrücken und weiteres Blutvergiessen zu vermeiden. Ein Grossteil der Bevölkerung lehnt inzwischen jedoch Verhandlungen mit den Muslimbrüdern ab. In relativ kurzer Zeit hat die Organisation ihren starken Rückhalt in der Bevölkerung verloren, den sie sich durch ihr soziales Engagement während Jahrzehnten aufgebaut hatte.

Auch von der Nationalen Allianz gab es noch keine eindeutige Reaktion. Bislang zeigten sich nur einige islamistische Parteien dialogbereit. «Um eine Lösung für die Dauerkrise zu finden, müssen aber die Muslimbrüder mit einbezogen werden», sagt Nafaa. Allerdings wisse er nicht, wer derzeit befugt ist, im Namen der Organisation Entscheidungen zu treffen, da die ehemalige Führung entweder in Haft sitzt oder ausser Landes geflohen ist.

Einer von ihnen ist Gamal Heschmat, führendes Mitglied der Partei Freiheit und Gerechtigkeit, des politischen Arms der Muslimbrüder. Er hält sich derzeit in Katar auf und sagte kürzlich in einem Interview mit al-Dschasira, dass die Organisation nicht auf die Forderung der neuen Regierung eingehen werde, keine Demonstrationen mehr zu organisieren. Auch Heschmat zeigt kaum Kompromissbereitschaft, obwohl er zugab, dass seine Organisation zunehmend die Unterstützung aus dem Ausland verliert. Inzwischen könnten die Muslimbrüder nur noch auf die Türkei und Katar zählen.

Die Muslimbruderschaft

Die sunnitisch-islamistische Organisation wurde 1928 von Hassan al-Banna, einem Volksschullehrer und Islamgelehrten, zwar als sozialer und religiöser Klub in Ägypten gegründet, agierte jedoch bald weltweit. Nach eigenen Angaben hat die Bruderschaft Ableger in über siebzig Ländern. Ihr Schwergewicht liegt jedoch weiterhin im Nahen Osten, vor allem in Marokko, Tunesien, Libyen, Syrien und im Jemen sowie in Jordanien und Palästina. Ihr politisches Ziel ist die Errichtung eines Gottesstaats nach den Gesetzen des Korans und mit Mitteln demokratischer Wahlen.