Enzyklopädie zeitgenössischer Irrtümer (46): Ohne Handy (lässt sichs nicht leben)

Nr. 13 –

Im vergangenen Herbst reifte der Entschluss, im Januar wurde er umgesetzt: Schluss mit dem Handy.

Nach fünf Tagen Skiferien im abgelegenen Maiensäss war die Batterie des im Tal geparkten Autos leer. Kinder und Rucksäcke und Snowboard und Skischuhe und Hund und Taschen waren um die Karre drapiert. Es war schon dunkel, und die Zündung muckste sich kein bisschen. Da schoss mir durch den Kopf: «Hätte ich nur ein Handy!» – und weiter – «Dann würde ich jetzt jemanden anrufen und ihm mein Leid klagen und danach wohl die Pannenhilfe herbeiordern.» (Obwohl ich auch bei der nicht mehr abonniert bin.) Ich hatte schon seit einem Monat kein Handy mehr. Okay, das Gerät hatte ich noch, um schöne Schnappschüsse damit zu schiessen. Es dient mir zudem hin und wieder als Wecker und Telefonbuch, hat aber keine SIM- oder Sonstwaskarte mehr, mit der man über ein Handynetz telefonieren kann.

So stand ich neben dem Wagen und sah, wie die Gotte meines Bruders daherkam. «Oh Jesses», rief sie, «keine Batterie mehr!» Auto habe sie keines und Überbrückungskabel auch nicht, und die Männer seien um diese Zeit ja alle beim Stammtisch. Wenigstens hat sie mit Sicherheit ein Handy, dachte ich, während wir uns berieten, was weiter zu tun sei. Da kam eine junge Frau daher und hielt mir ein Überbrückungskabel unter die Nase und fuhr dann noch ihren Wagen neben den meinen. Sie hatte uns im Vorbeigehen zugehört. Dann tauchte aus der Dunkelheit ein Mann im Anzug mit Aktenkoffer auf, den wir herbeibaten. Sogleich begann er glückerfüllt, sich die Finger an meiner verdreckten Autobatterie schmutzig zu machen. Das Überbrückungskabel wurde festgeklammert, es funkte, und schon bald sprang der Motor an. Wir konnten unser Gepäck einladen, einsteigen und heimfahren. Heim zu unserem Festnetzanschluss.

Fünf Tage waren wir – telefonisch nicht erreichbar – in den Bergen gewesen. Einzig an einem Abend, als Besuch gekommen war, hatten wir eine Verbindung zur Aussenwelt gehabt. Der Besuch hatte nach dem Essen seine Social-Media-Kompetenz zur Schau gestellt, was eindrücklich war, angesichts der über Geräte gebeugten Köpfe aber auch etwas befremdete.

Im vergangenen Herbst hatte ich mich entschieden, den Versuch zu wagen und mein Handyabonnement zu kündigen. Der Netzanbieter machte daraufhin die wildesten Offerten. Abos ohne Grundgebühr und so weiter. Nur bezahlen wollte er mich nicht, wenn ich weiter telefonieren würde. So blieb ich bei meinem Entschluss.

Im Januar teilte ich einigen Leuten mit, dass sie von meiner «mobilen Endstation» keine Nachrichten mehr erhalten würden und ich künftig nur noch übers Festnetz erreichbar sei. Einige nahmen das nicht ernst. Andere versuchten, religiöse Beweggründe auszumachen. Einer der besonderen Kommunikationsjunkies, mit dem wir zur Pizza verabredet waren, schickte mir ein SMS aufs Festnetz. Morgens um halb neun läutete das Telefon, und eine computergesteuerte Frauenstimme sagte: «Liebe – Ursina – wann – wollen – wir – die – Pizza – denn – essen.» Ich freute mich und rief sogleich zurück. Mein Bekannter ist kommunikativ ja immer noch mobil. Wie viele SMS und vor allem welchen Inhalts er darauf hin an verschiedene Festnetznummern versandt hat, weiss ich nicht. Klar war uns beim Pizzaessen: Vertonte SMS bergen Potenzial für schöne Spielereien. Abgesehen davon, dass sie auch Menschen mit Sehschwächen dienen.

Seit ich ohne Handy lebe, haben Abmachungen an Gewicht gewonnen. Es gab Menschen, die für mich in den letzten Wochen und Monaten voller Freude andere per SMS kontaktierten, und solche, denen die Haare zu Berge standen, weil sie mich nicht erreichen konnten und sie sich an widersinnige Abmachungen halten mussten. Die Welt ist nicht untergegangen. Wenn jemand sagt: «Du kannst mir ja eine Nachricht schreiben», sage ich meistens nichts.

Inzwischen habe ich mir aber einen Festnetzapparat angeschafft, von dem aus sich SMS versenden lassen. «Das gilt nicht!», werden Fundis rufen. Ich sage: Die Kommunikationsform der Kurznachricht ist nach wie vor hübsch und charmant. Aber unnötiges Zeugs trage ich nur ungern auf mir. Das war wohl der Grund, weshalb mein Handy auf der Strecke blieb.