Kost und Logis: Ein Gebiss im Milchkaffee

Nr. 13 –

Ruth Wysseier hat Cannabis legalisiert

Wir standen am Bett meines betagten Onkels. Er lag im Pflegeheim, konnte sich nicht mehr bewegen und sprechen nach einem Schlaganfall. Aber mit seinen Blicken reagierte er auf unsere hilflosen Gesprächsversuche und signalisierte, dass er verstand, was um ihn herum vorging. Wir hatten ihm, dem Heimwehwaadtländer und ehemaligen Chefkoch, ein Schöppli vom besten Chasselas aus dem Lavaux mitgebracht und freuten uns, als seine Augen aufleuchteten.

Die Flasche stand dann während seines langsamen Sterbens viele Monate auf dem Gestell an der Wand, in seinem Blickfeld. Dem Patienten war der Alkoholkonsum aus medizinischen Gründen untersagt worden. Es hiess, der Wein könnte eine negative Wechselwirkung haben mit den pharmazeutischen Substanzen, die die ärztliche Heilkunst ihm vorschrieb, auch wenn sie am Ende ihrer Weisheit war.

Meinem Liebsten nahm ich damals das Versprechen ab, dass er mir im vergleichbaren Fall dannzumal den Rebensaft intravenös zuführen möge.

Nicht erst im Pflegeheim, auch im Altersheim herrscht mancherorts ein Alkoholverbot. Weil angetüterte Alte, wie Junge auch, stören können, ungehorsam, frech oder aggressiv werden. Heute sei aber ein Gläschen zum Essen meist erlaubt, sagt man mir beim Heimverband, man wolle die Leute ja nicht entmündigen.

Wenn die einst aufmüpfige 68er-Generation demnächst ins Altersheim kommt, wird es vielleicht heimliche Kifferpartys geben, und die Oldies haben endlose Kicheranfälle, und das Gebiss fällt ihnen in den Milchkaffee. Eine wunderbare Vorstellung, finde ich.

Für mich persönlich habe ich Cannabis schon lange legalisiert, nicht nur bei medizinischer Indikation, aber dort mit dem Gefühl grosser Rechtschaffenheit. Als kürzlich M., eine Freundin aus Jugendzeiten, zu Besuch war und über Appetitlosigkeit und Schmerzen wegen ihrer Chemotherapie klagte, verschrieb ich ihr sogleich Cannabis und bereitete THC-Eiswürfel zu. Dafür simmere ich eine halbe Handvoll Blüten in vier Dezilitern Wasser und einem Deziliter Milch, passiere das Gebräu, lasse es erkalten und fülle es in Eiswürfelbeutel. Die Würfel kann man bei Bedarf – praktisch für NichtraucherInnen und praktisch zum Dosieren – in eine Tasse Tee geben. Nun denken Sie vielleicht, solche Selbsthilfe sei nicht nötig, weil Cannabis für beschränkte medizinische Anwendung zugelassen ist in der Schweiz. Aber der Aufwand, den es braucht, bis alle Sonderbewilligungen erkämpft sind, übersteigt selbst die Kräfte von Gesunden.

Die grösste Gefahr von Cannabis für die heutige Gesellschaft liegt in seiner zeitgeistzersetzenden Wirkung: Es macht uns träge, nachsichtig, entspannt, zugedröhnt, leistungsschwach und fröhlich. Wo könnte das auch hinführen!

Ruth Wysseier ist WOZ-Redaktorin. 
Im Zweitberuf produziert sie Drogen aus Weintrauben.