Medientagebuch: Das Börsenmurmeltier

Nr. 13 –

Lotta Suter über zwei Welten im Radio

Radio hört unsereins eher nebenbei, etwa beim Kochen oder Putzen. Schliesslich rechnet man sich auch als Hausfrau zur informierten Öffentlichkeit. Und was hören wir da beim Rüebliraffeln vom nationalen Newssender SRF 4?

Neben den traditionellen Nachrichten, die ausser ihrem Namen und dem Einleitungssignal zu meinen Lebzeiten herzlich wenig geändert haben, gibt es viele interessante und gut gemachte Beiträge von KorrespondentInnen aus aller Welt, sodass man sogar beim Bodenwischen ein wenig abheben kann. Oft landen die aktuellen Reportagen aber auch in einer knallharten Wirklichkeit. Mit bedeutungsschwangerem Timbre wird der interessierten Köchin und Putzfachfrau erklärt, wie sich unsere kapitalistische Wirtschaftsweise auf die Näherinnen in Bangladesch oder die Landarbeiter in Südamerika auswirkt. Oder wie afrikanische Minenarbeiter unter den internationalen Rohstoffgeschäften leiden. Auch die ökologischen Folgen von Ressourcenverschleiss und stetig wachsendem Energieverbrauch werden regelmässig thematisiert und diskutiert.

Ganz nachdenklich holt man daraufhin die Kartoffeln aus dem Keller, hört aber auf dem Rückweg schon auf der Treppe, dass jetzt eine andere Welt angesagt wird. Die Stimmen sind munterer, der Sprachrhythmus irgendwie gebetsartig, ein halber Satz, und man weiss: Die BörsianerInnen sind dran. Aus New York oder Zürich beantworten die immer gleichen JournalistInnen mit immer gleichen Sätzen die immer gleichen Fragen aus dem SRF-Börsenstudio: Welche Papiere haben heute zugelegt, welche Aktien verloren? Wer ist der Hauptgewinner des Tages? Wer verliert am meisten?

Die Hörerin sitzt in einer Zeitschleife fest wie der Wetteransager Phil Connors in der US-Filmkomödie «Groundhog Day» (auf Deutsch: «Und täglich grüsst das Murmeltier», 1993) – nur sind im Gegensatz zum Kino bei den im Radio grüssenden BörsenaugurInnen weit und breit keine Persönlichkeitsentwicklung und kein Happy End abzusehen. Die Sache wiederholt sich Tag für Tag nach dem gleichen Muster.

Wenn es wenigstens ein komplexes Muster wäre! Doch die Börsennachrichten sind so simpel gestrickt wie eine durchschnittliche Sportberichterstattung mit ihren Siegen und Niederlagen. Und war man als Köchin für einen Moment zu sehr mit dem komplizierten Soufflérezept beschäftigt, ertappt man sich dabei, wie man auf einmal mitfiebert, wenn die Börsenkurse auf Rekordhöhe klettern. Wie man Partei ergreift in den Börsenmatches von Novartis, Transocean und all den andern Teams. Wie man sich erleichtert ein paar Zwiebeltränen abwischt, wenn der aufgeräumte Börsenberichterstatter meldet: «Wieder eine positive Woche an der Wall Street.» Wie schön! JedeR empfängt gern gute Nachrichten. Und wer gerade zum x-ten Mal die klebrige Kühlschranktür gereinigt oder Hundehaare aufgelesen hat, ist besonders froh über solche Lichtblicke im Alltag.

Nur an einem Tag mit wenig Staub und einfachem Menu (Spaghetti napolitana?) bringt die Hausfrau die Energie auf, sich zu fragen: Moment – eine positive Woche für wen? Und was bedeutet ein höherer Börsenkurs eigentlich für die Normalsterblichen? Hat nicht die Reportage direkt vor den Börsennews genau diese Art quantitatives Wirtschaftswachstum angeprangert, die jetzt – und in einer Stunde wieder – über den grünen Klee gelobt wird? Wieso weiss die rechte Radiohand nicht, was die linke tut? In der Küche gibt so was hässliche Wunden. In der Öffentlichkeit wirds kaum anders sein.

Lotta Suter ist langjährige WOZ-Autorin.