Vom Wald in den Kochtopf: Hirnpudding und Eichhörnchenpfeffer

Wie schnell sich Essgewohnheiten verändern, zeigt ein Blick in alte Kochbücher. Da finden sich vielfältige Rezepte für die Zubereitung von Innereien aller Art, aber auch Dachs- oder Bärenfleisch.

Gebratene Klapperschlange, Hundefleisch oder verpuppte Seidenraupen: Solche Gerichte gelten auf anderen Kontinenten als Delikatessen. Die meisten von uns würden lieber hungern, als so etwas zu essen. Um das gastronomische Gruseln zu lernen, ist es aber nicht nötig, teure Flugreisen zu buchen. Ein Blick in alte Schweizer Kochbücher reicht alleweil.

Die «Basler Kochschule» von Amalie Schneider-Schlöth ist eine Fundgrube für Rezepte, die heute abenteuerlich anmuten. Leider fehlt in der «12. verbesserten Auflage» die Angabe, wann das Buch gedruckt worden ist. Der Stil der Inserate («Braucht man Maizena in der Küche, ging manche Ehe nicht in Brüche») lässt vermuten, dass das Kochbuch um 1950 erschien. Die erste Auflage wurde aber schon 1877 veröffentlicht. (Nachtrag: 2010 wurde es wieder aufgelegt.)

Nichts wurde fortgeworfen

Zunächst fällt die Vielfalt an fantasievollen Rezepten für Innereien auf. Fleischstücke, die heute als Hundefutter gelten, fanden in der Küche oft und gerne Verwendung. Viele Menschen konnten sich nicht jeden Tag hochwertige Fleischstücke leisten. Deshalb wurde nichts Essbares fortgeworfen.

Schweinefett und «schönes weisses Ochsennierenfett» wurde zuhause gehackt und mit Most und Zwiebeln oder Milch eingekocht. Aus Ochsenmark, selbst gemachtem Paniermehl und Eiern formte die Basler Hausfrau Suppenklösschen. Herz, Magen, Kopf, Hals und Flügel der Gans fanden Verwendung für die Gänseklein-Suppe. Aus Fischköpfen und Gräten liess sich eine schmackhafte Fischsuppe zubereiten. Auch die Umwälzungen der Landwirtschaft lassen sich an solchen Rezepten ablesen: Das Aufkommen des Traktors hat den Ochsen, einst ein beliebtes Zugtier, überflüssig gemacht.

Fünfzig Jahre vor dem Auftreten des Rinderwahnsinns waren Gerichte mit Hirn offenbar sehr beliebt. Rezepte für durchgetriebene Hirnsuppe, Hirn au gratin, paniertes Hirn oder gebackene Hirnschnitten fehlen in der «Basler Kochschule» ebenso wenig wie Hirnpudding, Hirnküchlein oder falsche Austern von Kalbshirn. Die einzelnen Schritte der Zubereitung wollen wir uns an dieser Stelle ersparen. Möge der Hinweis genügen, dass das Hirn einige Zeit in laues Wasser gelegt werden musste, «bis man es häuten kann».

Weiter gehts mit Rezepten für Kalbslunge, gefüllte Schweinsohren und Schweinsfüsse. Die inneren Teile des Milchschweinchens (Lunge, Herz und Leber) konnten unter Anleitung von Amalie Schneider-Schlöth mit einer feinen Pilzsauce zubereitet werden.

Artenvielfalt im Kochtopf

Kaum zu glauben, wie viele verschiedene Arten von wild lebenden Tieren früher in den Kochtopf wanderten. Gleich nach den Wildschweinrezepten finden wir Gerichte mit Bärenfleisch. «Der Bär kommt in der Schweiz sehr selten vor», heisst es noch in der 12. Auflage der «Basler Kochschule» – rund fünfzig Jahre nach dem Abschuss des letzten Bären in Graubünden. Dennoch wird die Zubereitung von Bärenpfeffer, Beefsteaks, Bärenbraten und Bärenschinken empfohlen.

Einen «ganzen, jedoch ohne Kopf marinierten jungen Dachs» konnte, wer Lust hatte, «mit reichlich Wacholderbeeren» drei Stunden lang braten. Das Kochbuch enthält auch Rezepte für Murmeltierfleisch. «Des starken Erdgeschmacks aber ungewohnten Personen will das Murmeltier nicht wohl schmecken», warnte Amalie Schneider-Schlöth. Anders als das Murmeltier ist der Fischotter bei uns längst ausgestorben. Schuld daran ist bestimmt nicht Amalie Schneiders Rezept. Fischotter konnte wie Hirschpfeffer zubereitet werden. Aber Obacht: «Sein Fleisch hat einen für manche Leute widerlichen Trangeschmack, da das Tier bloss von Fischen lebt.»

Und nun kommt der Hammer. Sensible TierfreundInnen legen die Zeitung besser weg. «Eichhörnchenfleisch», so lernen wir in der «Basler Kochschule», «ist sehr fein und zart und gilt als ein besonders beliebtes Gericht.» Amalie Schneider rät zur Zubereitung analog zum Hasenragout. Zuvor allerdings mussten die putzigen Tierchen «während drei Tagen an einem luftigen, kühlen Ort aufgehängt werden zum Mürbewerden».

«Da hats ja nichts dran»

In welchen Mengen Fleisch von Tieren wie Eichhörnchen oder Dachsen vor dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz verzehrt wurde, lässt sich heute kaum eruieren. Entsprechende Forschungsresultate fehlen, wie der Basler Historiker Peter Haenger sagt. «In Notzeiten war es wohl üblich, dass Krähen geschossen wurden», so Haenger. «Die meisten Arbeiterhaushalte hatten Kaninchen. Ebenso wurden Tauben zuhause gezüchtet.» Auch der Historiker hat die «Basler Kochschule» verwendet – als Quelle für seine Studie «Das Fleisch und die Metzger». Im vor drei Jahren erschienenen Buch zeichnet er die Geschichte des Basler Metzgergewerbes nach.

Was den Verzehr von Innereien betrifft, so weist Peter Haenger auf die Bedeutung des kulturellen Faktors hin: «In anderen Kulturen sind Innereien manchmal beliebter als Filetstücke. Geschätzt wird immer das, was selten ist oder was einer Elite die Abgrenzung ermöglicht.»

Vielleicht kann der oberste Jäger des Kantons Zürich etwas Licht in die Sache bringen? Fröhlich trötet das Waldhorn in der Warteschlaufe des Telefons von Max Straub, seines Zeichens Fischerei- und Jagdverwalter. Am Apparat gibt sich Straub eher zugeknöpft. Auf die Frage, ob er Eichhörnchen für essbar hält, sagt er aber wie aus der Kanone geschossen: «Pfui Teufel! Da hats ja nichts dran.» Nun ja. Frühere Generationen sahen das anders. In der Schweiz ist die Eichhörnchenjagd erst seit 1989 verboten.

Mehr Erkenntnisse bringt ein Anruf beim WWF. «Im Jahr 2002 wurden in der Schweiz rund 7000 Murmeltiere erlegt, die meisten davon im Kanton Graubünden», weiss Doris Calegari, Spezialistin für Art- und Naturschutz. Mit dieser Nutzung im beinahe industriellen Ausmass hat der WWF keine Mühe. «Das Murmeltier ist weder geschützt noch bedroht», erklärt Doris Calegari.

«Jaja, die geschossenen Murmeltiere werden ausnahmslos gegessen», bestätigt der Bündner Jagd- und Fischereiinspektor Georg Brosi. Es gebe eine grosse Nachfrage, vor allem von Grotti in der Mesolcina. «Wenn wir einen Munggenbau räumen müssen, um einen Forstweg zu bauen, würden die Wirte der Grotti sofort hundert Munggen nehmen.» Brosi schwärmt: «Das Murmeltier ist eine der besten Wildfleischsorten. Es muss aber sorgfältig zubereitet werden, damit es zum Genuss wird.» Erdig schmecke das Fleisch nur, wenn das Fett nicht entfernt werde.

Munggenpfeffer als Trend?

«Weil es Wiesen in höheren Lagen schädigt, schätzen die Bauern das Murmeltier gar nicht. Deshalb muss es teilweise intensiv bejagt werden», sagt Brosi. Wegen der von ihm verursachten Flurschäden gelte dies auch für den Dachs. «Er geht in die Trauben und verwüstet Golfplätze.» Dachsfleisch werde auch heute noch verzehrt, erklärt der joviale Bündner, wenn auch eher selten. «Von den einen wird Dachsfleisch gerühmt, von anderen verschmäht.»

Wer Recht hat, lässt sich kaum feststellen, solange nicht eine findige Wirtin eine Marktlücke wittert. Könnte ja sein, dass Munggenpfeffer oder Dachsbraten zum nächsten Trend werden, wenn die hippen urbanen Menschen genug Sushi und Thaifood gekaut haben.