Fussball und andere Randsportarten: Security auf Katalanisch

Nr. 19 –

Pedro Lenz über seltsame Kleidervorschriften im Nou Camp

An einem warmen Samstag im Mai geht ein junger Mann in Barcelona ins Nou Camp an das Meisterschaftsspiel zwischen dem FC Barcelona und dem Getafe CF. Der Mann trägt eine schwarze Jacke und darunter ein Trikot von Real Madrid. Er wartet auf den Spielbeginn, isst Sonnenblumenkerne und plaudert mit seinem Kumpel, der neben ihm sitzt und ein Trikot des FC Barcelona trägt.

Das Spiel hat noch nicht begonnen, als der junge Mann beschliesst, seine Jacke auszuziehen und sie vor sich auf den Boden zu legen. Sekunden später wird er wegen seines Real-Madrid-Leibchens verbal angefeindet, erst nur von Einzelnen, bald schon vom ganzen Sektor. Stoisch lässt er alle Beschimpfungen und alle wütenden Drohungen über sich ergehen. Natürlich ist er nicht glücklich darüber, die Zielscheibe von so viel Hass zu sein, aber er denkt sich wohl, das Geschrei werde vorübergehen.

Doch es geht nicht vorüber, es wird immer lauter. Allmählich wird es dem jungen Mann unangenehm. Aber was will er tun? Er hat sich eine teure Sitzplatzkarte gekauft, wie alle andern auch. Er denkt, es sei sein Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Zudem beruhigt ihn, dass es im ganzen Stadion Securitypersonal gibt, das eingreifen könnte, falls er wirklich in Gefahr geraten würde.

Bevor die Lage zu eskalieren droht, greifen zwei Sicherheitsmänner tatsächlich ein. Sie gehen zum jungen Mann und sagen ihm, er soll sofort aufhören zu provozieren. Er provoziere doch nicht, sagt der junge Mann, er sitze nur da, esse Sonnenblumenkerne und warte auf den Spielbeginn. Um seinen guten Willen zu bekräftigen, zieht er trotz der warmen Witterung seine Jacke wieder an und schliesst den Reissverschluss, sodass sein weisses Real-Madrid-Trikot für niemanden mehr sichtbar ist.

Dem aufgebrachten Mob reicht das nicht. Die umstehenden Fans werden immer lauter und fordern die Securityleute auf, den jungen Mann aus dem Stadion zu werfen. Da die Sicherheitsmänner offenbar zögern, versucht ein Barcelona-Fan, den Fremden zu packen und gleich selbst für ethnische Sauberkeit zu sorgen. Das wiederum wollen die Securityleute doch nicht zulassen. Einhaltung der Ordnung ist allein ihre Aufgabe. Sie schicken den Aggressor zurück auf seinen Platz und befehlen dem friedlichen jungen Mann, das Stadion zu verlassen. «Entschuldigung, ich habe ja eine Eintrittskarte gekauft. Ich will nur das Spiel sehen. Ich habe doch nichts Verbotenes getan. Sehen Sie, das ist mein Kumpel, wir sind zusammen da, er ist Barcelona-Fan, und ich bin Real-Fan, doch vor allem haben wir beide Freude am Fussball. Wo ist das Problem?» – «Ihr Real-Madrid-Trikot provoziert die Menge. Sie müssen das Stadion verlassen.» – «Wo steht denn geschrieben, was ich anziehen darf und was nicht? Ausserdem habe ich ja die Jacke darüber angezogen. Das Trikot ist nicht mehr sichtbar.»

Die Securitymänner lassen keinen Einwand mehr gelten. Sie fordern den jungen Mann ultimativ auf, das Stadion zu verlassen. Die Menge tobt. Die Menge johlt. Die Menge applaudiert.

Die Wachmänner eskortieren den jungen Mann zum Ausgang. Sein Begleiter geht freiwillig mit. Er hätte bleiben dürfen, weil er das richtige Trikot trägt, aber er möchte jetzt lieber auch gehen. Unter Beschimpfungen verlassen die Sportfreunde das Nou Camp. Die Menge beruhigt sich allmählich. Das Securitypersonal ist erleichtert. Das Spiel zwischen Barcelona und Getafe endet unentschieden 2:2.

Erst wenige Tage zuvor hatte Dani Alves, brasilianischer Verteidiger des FC Barcelona, die Solidarität der antirassistischen Fussballwelt entgegennehmen dürfen. Alves war mit einer Banane beworfen worden und hatte diese kurzerhand gegessen. Die Securitymänner des Nou Camp scheinen die Message nicht verstanden zu haben. Wer weiss, ob sie beim nächsten Mal nicht Dani Alves rauswerfen, um zu verhindern, dass die Rassisten durchdrehen.

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Seine letzte Publikation ist die Fussball-CD «Ersatzbank», die er mit seinem Autorenkollegen Wolfgang Bortlik und den Musikern von Tim und Struppi im Verlag «Der gesunde Menschenversand» herausgegeben hat.