«Mein Nachbar Urs»: Burkas und Bärlauch
In seinen Geschichten macht Alex Capus die Kleinstadt zum Universum.
Alex Capus ist ein Menschenfreund. Obwohl er ganz schön bissig sein kann, wenn ihm eine Spezies auf den Senkel geht: der Bünzli etwa mit seiner rechthaberischen Angepasstheit, behäbige Lokalpolitiker und die populistische Rechte.
Haut der produktive Schriftsteller und Familienvater aus Olten in die Tasten, entstehen intensive Geschichten, ganz so, wie sie manchmal das Leben und sowieso die Vorstellungskraft schreiben. Und natürlich ist Olten, das 17 000-Seelen-Kaff mit Bahnverkehrsknotenpunkt, immer der Nabel der Welt.
So verhält es sich auch mit den siebzehn kürzeren und längeren Texten im Kurzgeschichtenband «Mein Nachbar Urs», die zwischen 2011 und 2013 als Kolumnen im «Stadtanzeiger Olten» erschienen sind: Den narrativen Stoff findet der Ich-Erzähler in seiner Wohnstrasse. Ein Kiesplatz wird zum Sponti-Männertreffpunkt für ihn und seine Nachbarn, die alle Urs heissen.
Beim Grillen von Lammkoteletts mit Feierabendbier und Camel-Zigaretten – die ideale Kombi für alternde Jungs – wird aufgetischt und verhandelt, was das Sein versüsst: gesundheitsschädigende Burkaverbote und aufdringlicher Bärlauch, schöne Frauen, schnelle Autos, das eidgenössische Einbürgerungsverfahren oder der Zusammenhang zwischen Katzen einerseits und Kindern, Blindschleichen und Eichhörnchen andererseits.
Nicht immer gelingt es dem Autor, in der Kürze die Würze zu finden. Und wenn der Ich-Erzähler vom Situativen zur Weisheit des Tages ausholt oder seine nonchalante Erscheinung ins Zentrum des Geschehens rückt, geht plötzlich er uns auf den Senkel.
Doch unterm Strich ist und bleibt Capus ein flotter Berichterstatter von wahrhaftigen und manchmal möglicherweise sogar wahren Geschichten, die uns, ja, sogar ein wenig berühren. Denn zum Naturalisten in ihm, der alles bis ins letzte Detail registriert, kommt der Realist hinzu mit der Einsicht in innere Welten, die er knapp und präzis beschreibt.
Etwa in der Kurzgeschichte «Am Bahnhof»: Da stehen die Pendelnden morgens zuhauf auf den Oltner Perrons in Richtung Bundesbern oder Bankenzürich. Ihre Outfits und Gagdets verraten ihre Profession und mentale Disposition – einfach köstlich, wie Capus in knappen Worten jede Sinus-Milieustudie Lügen straft. Und dann stellt er sich vor, wie es wäre, wenn die Wartenden plötzlich den falschen Zug nähmen und am lätzen Arbeitsort eine erfrischend verkehrte Welt entstünde …
Alex Capus: Mein Nachbar Urs. Geschichten aus der Kleinstadt. Hanser Verlag. München 2014. 128 Seiten. Fr. 19.90