Durch den Monat mit Alex Capus (Teil 2) : Sind Sie ein linker Immobilienhai?
Alex Capus macht eine Führung von seinem Restaurant «Flügelrad» zu seinen Häusern, sagt, warum für seine Karriere die Oltner Beizen wichtig waren und was er von der Ecopop-Initiative hält.
WOZ: Alex Capus, Sie sind mit fünf Jahren von Paris nach Olten gekommen und haben seither Ihr Leben hier verbracht. Hatten Sie nie Lust, wieder wegzugehen, wie das alle Ihre Protagonisten und Protagonistinnen machen?
Alex Capus: Ich bin in dieser Kleinstadt schon sehr verwurzelt und sehr gern hier. Aber dies natürlich auch, weil ich das Privileg habe, jederzeit zu verreisen. Ich bin etwa hundert Tage im Jahr unterwegs – und sehe also mehr von der Welt als jemand, der zwar in der Grossstadt wohnt, aber nur in seinem eigenen Quartier verkehrt. Ausserdem hat Olten vier Kinos mit total zwölf Sälen, man ist in dreissig Minuten in Zürich, es gibt viele Beizen …
In den Beizen hat auch Ihre literarische Karriere begonnen: Sie haben Ihr erstes Buch, «Diese verfluchte Schwerkraft», 1994 im Eigenverlag herausgegeben und in den Beizen in Olten aufgelegt.
Ja, und ich kann so etwas allen nur empfehlen: dass sie einfach machen. Das Buch ist dann herumgereicht worden. Plötzlich riefen mich Buchhandlungen aus Olten und aus Aarau an, ob sie ein paar Exemplare haben könnten. Irgendwie ist das Buch dann auf dem Tisch von Daniel Keel vom Diogenes-Verlag gelandet, und er hat mich angerufen. Das gibt es ja eigentlich gar nicht im richtigen Leben, dass der Verleger dich anruft. Es war Sonntagabend, ich lag in der Badewanne, als das Telefon klingelte, und dachte: Ich kenne keinen Herrn Keel. Er meinte, meine Erzählungen würden ihm gefallen, und wenn ich einen Roman schreiben würde, wolle er der Erste sein, der ihn lesen könne. Daraufhin habe ich den «Munzinger Pascha» geschrieben, der dann im Diogenes-Verlag erschienen ist.
Heute, gut zwanzig Jahre und fast ebenso viele Bücher später, sind Sie selber Beizenbesitzer. Das «Flügelrad», wo wir gerade sitzen, gehört Ihnen, dem Autor Pedro Lenz und dem Journalisten Werner De Schepper.
Wir wollten eigentlich eine andere Beiz kaufen, denn wir hatten ein Haus im ehemaligen Eisenbahnerquartier gekauft und fanden, ein richtiges Quartier brauche auch eine Quartierbeiz. Das hat dann nicht geklappt, dafür konnten wir das «Flügelrad» übernehmen. Kommt mit, ich zeige euch die Rosengasse, wo unser Haus liegt. (Er führt uns um die Ecke an die Rosengasse.) Diese alten Arbeiterhäuser hätten alle abgerissen werden sollen, eine Überbauung war geplant. Doch da kam Widerstand auf, und vor über zehn Jahren wurde der Verein «Rettet die Rosengasse» gegründet. Pedro, Werner und ich kauften dieses Haus und haben es sanft renoviert. Wir arbeiten nicht mit Architekten, da es sonst zu teuer wird. Unser Ziel ist, dass die Anwohner im Haus bleiben können. Das bedeutet, wir schauen, wie hoch die Miete sein kann, damit sie für die Mieter noch bezahlbar ist, und dann machen wir das Budget für die Renovation. (Er öffnet die Tür und geht in den Gang, zeigt auf die heruntergekommene Tapete.) Zum Beispiel so etwas, das würde ein Architekt niemals stehen lassen. Dabei ist das doch wunderschön. (Er geht durch den Gang in den Hinterhof.)
Das «Flügelrad» hat Anfang 2013 auch dem Oltner Club für Jugendliche Coq d’Or finanziell unter die Arme gegriffen und ihn vor dem Aus gerettet.
Ja, die Geldgeber sind in Olten im Moment die Schriftsteller. Hier (er zeigt auf ein anderes Haus), dieses Haus habe ich allein gekauft. Mit «Léon und Louise», meinem vorletzten Buch, habe ich meine Altersvorsorge verdient, da konnte ich mir das leisten – Pedro konnte da mit seinem Einkommen nicht mehr mithalten.
Sind Sie ein linker Immobilienhai?
Ja, aber ich vermiete die Wohnungen zu günstigen Preisen. Die Wohnungen hier standen zum Teil leer, das Haus war sehr heruntergekommen. Ich habe sanft renoviert und günstig vermietet – in zwei Wohnungen wohnen Migrantenfamilien. Ich könnte sie auch teurer renovieren und an meine Kollegen vermieten. Aber das will ich nicht. Genau so begänne die Gentrifizierung.
In Olten wird – wie an vielen Orten in der Schweiz – heftig gebaut. Und immer wieder hört man, es werde eng in der Schweiz. Die Ecopop-Initiative will die Zuwanderung in der Schweiz aus ökologischen Gründen beschränken. Was halten Sie von der Initiative?
Es tönt halt immer nach «Das Boot ist voll». Die Initiative hat einen unguten Beigeschmack. Dass Immigration für die Schweiz immer ein Segen war, kann niemand bestreiten. Die Schweiz profitiert von den Einwanderern und dem Know-how, das sie mitbringen. Trotzdem sind die Überfremdungsängste extrem verbreitet. Ich finde es einfach wichtig, dass man seinen Kompass hat und den nicht verliert. Es gab eine Zeit, wo die Linken ihren Kompass verloren zu haben schienen: Zum Beispiel in den neunziger Jahren, als sie plötzlich den neoliberalen Grundsätzen folgten und mit der Altersvorsorge an die Börse wollten.
Teile der Linken scheinen ihren Kompass bis heute nicht wieder richtig eingestellt zu haben: Die Ecopop-Initiative wird auch von links unterstützt
Ja, aber das ist dieselbe Linke, die plötzlich grünliberal ist.
Alex Capus (52) hat mit dem «Flügelrad» auch ein Haus in Olten gekauft, in dem bis vor kurzem das Centro Galicia zu Hause war. Am 1. Dezember wird das Lokal neu eröffnet mit einer kleinen Bühne für kleine Bands.