Thailand: «Fangt mich doch, wenn ihr könnt!»

Nr. 22 –

Seit das Militär die Macht an sich gerissen hat, greift Armeechef Prayuth Chan-ocha hart durch. Noch gibt es Proteste. Doch das einstige Vorzeigeland für die demokratische Entwicklung Südostasiens versinkt in einer Diktatur.

Es ist ein heisser Samstagnachmittag in einem der geschäftigsten Viertel Bangkoks. Am Siegesdenkmal drängen sich an diesem Tag noch mehr Menschen als sonst. PassantInnen schieben sich vorbei an kleineren Gruppen von Protestierenden, die sich an mehreren Stellen des Rundgangs aufgestellt haben. Sie entrollen Transparente, stellen Schilder auf und schreien sich ihren Frust von der Seele: «Fuck the coup!», «Prayuth, hau ab!» und «Wir wollen Wahlen!». Ihre Wut richtet sich gegen Thailands Militär unter Armeechef Prayuth Chan-ocha, das sich kurz zuvor an die Macht geputscht hat. «Wir lecken nicht die Stiefel der Diktatoren!», steht auf einem mehrere Meter langen Transparent.

Tausende Menschen sind seit dem Putsch vom 22. Mai auf die Strassen gegangen, obwohl unter dem herrschenden Kriegsrecht Versammlungen von mehr als fünf Personen verboten sind. Verhaftungswellen, Vorladungen und Razzien nehmen zu. Wer von den neuen Machthabern einbestellt wird und nicht erscheint, dem droht Haft. Doch selbst wer den Vorladungen Folge leistet, wird in vielen Fällen festgehalten und in Militärcamps verfrachtet. Bislang traf es die Angehörigen aller rivalisierenden politischen Lager.

«Majestätsbeleidigung»

Insbesondere richten sich die Repressalien gegen KritikerInnen des Militärs und des ultrakonservativen, königstreuen Establishments: Die sogenannten Rothemden, vorwiegend AnhängerInnen der gestürzten Regierung von Yingluck Shinawatra, sowie Akademikerinnen und Aktivisten, die sich starkmachen für Gefangene, die wegen Majestätsbeleidigung inhaftiert sind. Sombat Boonngammanong, ein bekannter «roter» Aktivist, hat erklärt, er werde sich der Junta nicht stellen, weil diese illegal an der Macht sei. Öffentlich liess Sombat die Militärs wissen: «Fangt mich doch, wenn ihr könnt!»

Armeechef Prayuth, der sich selbst zum amtierenden Regierungschef ernannt hat, versucht, innerhalb weniger Tage seine Macht zu zementieren. Er hat den Senat aufgelöst, sodass auch alle legislative Gewalt in Händen der Militärführung liegt. Die nennt sich nun Nationaler Rat für Frieden und Ordnung. Ein Militärgericht soll künftig alle Fälle ahnden, bei denen es um Verstösse gegen die nationale Sicherheit oder um Majestätsbeleidigung gegen den 86-jährigen, schwer kranken konstitutionellen Monarchen Bhumibol geht. Das Beleidigungsgesetz wird seit Jahren dazu gebraucht, um KritikerInnen mundtot zu machen. Sollten die PutschgegnerInnen weiter auf die Strassen gehen, würde Gewalt eingesetzt, kündigten die Militärs an.

Wie konnte es zu diesem erneuten Putsch in einem Land kommen, das nach dem Ende sich abwechselnder Militärdiktaturen lange als Modell für demokratische Entwicklung in Südostasien galt? Nach einem Staatsstreich 1991 und den folgenden Massenprotesten gegen die Regierung von Militärmachthaber Suchinda Kraprayoon, die 1992 von der Armee blutig niedergeschlagen worden waren, regierten nach den Wahlen im September 1992 zunächst brüchige und nur kurzlebige Koalitionen. Anfang 2001 aber änderte sich das politische Panorama. Seither haben die Parteien des 2006 ebenfalls vom Militär gestürzten damaligen Premierministers und schwerreichen Unternehmers Thaksin Shinawatra alle Parlamentswahlen gewonnen.

Unterstützt von der Rothemden-Bewegung hat das Thaksin-Lager seine Machtbasis unter der armen Landbevölkerung im Norden und Nordosten des Landes und bei den ArbeiterInnen in den Städten. Zur Sammelbewegung der Rothemden gehören auch progressive Kräfte, die einen Militärputsch als Mittel der Politik ablehnen. Vor allem diese Progressiven ziehen den Unmut der ultrakonservativen royalistischen Elite aus Technokratie, Geldadel und Armee auf sich. Diese Elite ist in der «alten Ordnung» des Feudalsystems reich geworden und verachtet die Armen und politisch Andersdenkenden. Nun fühlt sie sich durch deren Machtanspruch bedroht.

Nahezu jedes Mal, wenn die Parteien Thaksins wieder einen Wahlsieg eingefahren hatten, gingen deren politische GegnerInnen auf die Strasse. Zuletzt war dies ab November 2013 der Fall, als die oppositionelle Protestbewegung PDRC (Demokratisches Reformkomitee des Volks) von Suthep Thaugsuban gegen die im Juli 2011 demokratisch gewählte Regierung unter Thaksins Schwester Yingluck Shinawatra mobilmachte. Ihr Ziel: Yingluck sollte gestürzt und ihre Regierung durch einen ungewählten Volksrat ersetzt werden, notfalls durch eine militärische Intervention. Die PDRC war damit ein Wegbereiter für das politische Chaos, durch das die Neuwahlen am 2. Februar erheblich gestört wurden. Diese Wahl wurde schliesslich durch das Verfassungsgericht annulliert, was die politische Gewalt zusätzlich anheizte.

Privilegien und Pfründe

KritikerInnen meinen, hinter Suthep stünden Kräfte, die schon den Putsch von 2006 vorbereitet hatten und auch 2008 für monatelanges politisches Chaos verantwortlich waren. Damals wurden der Regierungssitz und der internationale Flughafen von Bangkok von den «Gelbhemden» der Volksallianz für Demokratie (PAD) besetzt. Sutheps PDRC, die nach dem Putsch ihr Protestlager erst einmal räumen musste, gilt nun als eine noch radikaler auftretende Wiedergeburt der PAD, die letztlich nur den alten Eliten als Werkzeug dient. Schon die PAD hatte eine «neue Politik» propagiert, mit der das parlamentarische System drastisch beschnitten werden sollte, um den konservativ-royalistischen Klüngeln dauerhaft Macht, Privilegien und Pfründe zu sichern und den Shinawatra-Clan politisch kaltzustellen.

Wie geht es nun weiter? Jedenfalls anders als nach dem Putsch gegen Thaksin 2006, als sich die Militärs für «die dem Volk bereiteten Unannehmlichkeiten» entschuldigt, wenig später einen ehemaligen General als Interimspremier eingesetzt und Neuwahlen innerhalb eines Jahres ankündigt hatten. Seit Prayuths Staatsstreich dagegen hat Thailand schnell die Züge einer Diktatur angenommen.

Prayuth Chan-ocha liess verlautbaren, ein Legislativrat werde zuerst einmal Reformen ausarbeiten, bevor an Wahlen zu denken sei. Ein Zeitplan dafür wurde nicht genannt. Auch verkündete die Junta nicht, wie lange sie an der Macht festzuhalten gedenkt.

KritikerInnen monieren, es gehe dem Militär darum, das Wahlsystem von Grund auf zu manipulieren: Der demokratische Spielraum solle derart eingeschränkt werden, dass die Machtkonsolidierung der alteingesessenen Eliten und Militärs gesichert ist. Von der Demokratie ist Thailand derzeit Lichtjahre entfernt.

Kritik am Putsch

Von der Uno bis hin zu UniversitätsprofessorInnen: Alle verurteilten sie den Putsch. Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte eine «sofortige Rückkehr zu einer zivilen Regierung», US-Aussenminister John Kerry sah «keinerlei Rechtfertigung für diesen Putsch». Die USA haben vorläufig die millionenschwere Militärhilfe für Thailand eingefroren.

Menschenrechtsorganisationen sind entsetzt. «Die Menschenrechtssituation unter der Militärherrschaft verschlechtert sich ständig», sagt etwa Brad Adams, Asiendirektor von Human Rights Watch. Mehr als zwei Dutzend ThailandexpertInnen von Universitäten in Asien, Australien, den USA und Europa protestieren mit einem offenen Brief. Ein Putsch habe mit Frieden nichts zu tun, ein Staatsstreich an sich sei ein Akt der Gewalt, erklären die UnterzeichnerInnen.