Unterwegs mit den Rangern: «Hier wildern alle»

Nr. 22 –

Verschiedene schwer bewaffnete Gruppen finanzieren sich durch Wilderei und den Handel mit Elfenbein. Das macht die Arbeit der Wildhüter zu einer lebensgefährlichen Aufgabe.

Schlechte Waffen, zu wenig Munition: Wildhüterpatrouille im kongolesischen Garamba-Nationalpark.

Die zwölf Männer in Uniformen haben sich in einer Reihe aufgestellt und warten. Wer an der Reihe ist, bekommt Munition in seine Mütze gezählt, fünfzehn Schuss für jeden. «Aber das ist viel zu wenig», beschwert sich Dieudonné Komerwa Daobo, der Anführer des Trupps. «Wenn der Feind stark ist, haben wir vielleicht schon nach dem ersten Gefecht keine einzige Kugel mehr.» Ihre «Feinde» sind die Wilderer im kongolesischen Nationalpark Garamba. Das Schutzgebiet, das zum Unesco-Weltnaturerbe zählt, liegt im Grenzgebiet zwischen der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik und dem Südsudan. Daobos Trupp macht sich für eine Patrouille parat. Zehn Tage lang werden die Ranger im Park bleiben und dort unter einfachsten Verhältnissen in Zelten leben. Ihr Proviant liegt bereit: Säcke mit Maismehl, Reis und Bohnen und Schachteln mit Sardinen und Keksen. Dann kommt der LKW, der sie ins Innere des Nationalparks bringt. Während sie das Gepäck verladen, erzählen sie sich Geschichten und brechen dabei immer wieder in Gelächter aus. Dabei ist ihre Mission lebensgefährlich, denn die Wilderer sind schwer bewaffnete Profis und zu allem bereit.

Waffen, Töpfe und Kinderschuhe

«Wir haben es vor allem mit der Lord’s Resistance Army LRA zu tun», sagt Luis Arranz, Direktor des Garamba-Nationalparks, «das sind Verrückte.» Arranz sitzt in seinem schlichten Büro im Hauptgebäude der Parkverwaltung. Die von Joseph Kony gegründete Miliz kommt ursprünglich aus Uganda. Die meisten MilizionärInnen sind Kinder: entführt und zu Mordmaschinen gemacht. Wegen der vielen Kinder in ihren Reihen sind die LRA-MilizionärInnen leicht von anderen zu unterscheiden. Der Internationale Strafgerichtshof sucht Kony mit einem Haftbefehl. Er wirft dem Milizenführer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, darunter Mord, Vergewaltigung und die Zwangsrekrutierung von KindersoldatInnen. Bis zu 400 seiner KämpferInnen werden im Nationalpark vermutet.

Garamba- und Serengeti-Nationalpark (Grosse Version der Karte) Karte: WOZ

«Anfangs hat die LRA höchstens mal einen Büffel zum Essen gewildert», erzählt Arranz. «Aber seit zwei, drei Jahren haben wir Beweise, dass sie Elefanten jagt, um das Elfenbein zu verkaufen und sich dadurch zu finanzieren.» Kinder, die von der LRA fliehen konnten, erzählten den Rangern von der Jagd der MilizionärInnen auf die grossen Tiere. Manchmal stossen die Wildhüter auch auf die Überreste eines LRA-Lagers, in dem sie neben Waffen und Töpfen auch Kinderschuhe finden. Daneben Stücke des als Delikatesse geltenden Rüssels.

Die LRA ist nicht die einzige bewaffnete Gruppe, der die Wilderei und der Schmuggel von Elfenbein als Einnahmequelle dienen. Zu denen, die sich teilweise durch den Schmuggel von Stosszähnen finanzieren, zählt auch die somalische Al-Schabab-Miliz. Sie gehört dem Terrornetzwerk al-Kaida an und machte im vergangenen September durch den Sturm auf das Westgate-Einkaufszentrum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi von sich reden. Dabei wurden mehr als siebzig Menschen getötet.

Ein kaputtes Maschinengewehr

Um die Tiere im Garamba-Nationalpark zu schützen, stehen Parkdirektor Luis Arranz 150 Wildhüter zur Verfügung. Damit könne er nicht viel ausrichten, sagt er. Denn der Park hat eine Fläche von 5000 Quadratkilometern, ist also fast zehnmal so gross wie der Bodensee. «Und hier wildern alle»: neben der LRA auch SoldatInnen der kongolesischen Armee, «die eigentlich im Park sind, um uns zu unterstützen». Ebenso KämpferInnen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), die «extra dafür über die Grenze kommen». Und an einem Tag im März 2012 wurden 22 Elefanten aus einem Hubschrauber erschossen. Kurz danach sahen Wildhüter einen Helikopter der ugandischen Armee tief über das Schutzgebiet fliegen. «Wir haben die Ugander zur Rede gestellt», sagt Arranz. «Sie gaben nur zu, geflogen zu sein, hätten aber nicht geschossen.» Arranz wirkt nicht überzeugt. «Und leider haben auch schon einige unserer Ranger gewildert.»

Daobos Trupp ist inzwischen im Park angekommen und hat die Zelte in der Nähe eines Bachs aufgeschlagen, in dem die Ranger sich waschen können. Sie sitzen im Schatten einiger Bäume, die in der Nähe des Wassers wachsen. Rundum erstreckt sich das goldgelbe Gras der Savanne. «Mein härtestes Gefecht war am 6. Juni 2011 gegen die LRA», erinnert sich Daobo. Er ist ein sehr grosser, schlanker Mann mit ausgeprägten Wangenknochen und hagerem Gesicht. Es war Regenzeit, der Boden schwer und schlammig, das harte Savannengras hoch. In diesen Wochen sind die MilizionärInnen der LRA und andere Wilderer besonders schwer zu entdecken. Plötzlich standen die Wildhüter vor zwei Elefantenkadavern, die MilizionärInnen waren dabei, die Stosszähne aus deren Köpfen zu hacken. «Während sie noch damit beschäftigt waren, griffen wir an.» Aber die Wilderer waren ihnen zahlenmässig weit überlegen und hatten zudem «mehrere grosskalibrige Maschinengewehre, wir dagegen nur zwei, von denen eins nicht funktionierte». Nach einer Stunde ging den Wildhütern die Munition aus, und sie mussten sich zurückziehen. Am nächsten Tag wurden sie erneut zurückgeschlagen. Als sie am dritten Tag wiederkamen, fanden sie nur noch die aufgedunsenen und verstümmelten Kadaver der Elefanten. «Das ist für uns immer schwer zu ertragen», gibt Daobo zu. «Aber wir schaffen es einfach nicht, den ganzen Park zu kontrollieren. Meist ist auf rund zwei Dritteln der Fläche kein einziger Ranger unterwegs.»

Die Parkverwaltung hat zwar kürzlich vierzig neue Wildhüter rekrutiert. «Aber wir haben keine Waffen für sie», bedauert Parkdirektor Arranz. Waffen und Munition müsste die kongolesische Regierung stellen, Arranz hätte gar nicht das Recht, sich selbst darum zu kümmern. Dennoch sind Daobo und seine Männer besser bewaffnet, besser ausgebildet und besser bezahlt als ihre Kollegen in den meisten anderen afrikanischen Nationalparks. Denn Garamba wird im Auftrag der kongolesischen Regierung von der internationalen Nichtregierungsorganisation African Parks Network (APN) verwaltet. Die Wildhüter bekommen vom Staat zwar nur ein Gehalt von umgerechnet 30 US-Dollar pro Monat, doch mit diversen Zulagen vom APN können sie auf insgesamt rund 200 US-Dollar kommen, in der Region ein sehr gutes Gehalt. Aber mit dem möglichen Gewinnen durch illegale Geschäfte kann das nicht konkurrieren: Für das Kilo Elfenbein werden vor Ort inzwischen 300 US-Dollar gezahlt, sagt Arranz. Für die rund hundert Kilo Elfenbein eines einzigen Elefanten bekommt man folglich 30 000 US-Dollar.

Tausende tote Wildhüters

Daobo und sein Team sind zu Fuss zu einer Patrouille aufgebrochen. Die Führung im Gelände hat heute Daobos Stellvertreter Jean-Pierre Abolo Kpionyesilanio. Die Männer gehen mit einigem Abstand in einer Reihe hintereinander, reden möglichst wenig. Nur wenn der Patrouillenführer ein Zeichen gibt, schliesst Daobo auf, um zu hören, was sein Stellvertreter zu sagen hat. Der hebt gerade die Hand, sofort suchen alle Deckung auf dem Boden. Daobo schleicht tief gebückt an die Spitze. «Dahinten neben dem Baum habe ich einen Verdächtigen gesehen», flüstert Kpionyesilanio. Die Männer pirschen weiter, geduckt bewegen sie sich durch das hohe Savannengras. Die Stimmung ist angespannt. Immer wieder setzen sie sich, um die Umgebung mit den Augen abzusuchen. Aber der Verdächtige ist nicht mehr auszumachen.

Am späten Nachmittag kehren die Wildhüter zu den Zelten zurück. Selbst während des Essens haben alle ihre entsicherten Waffen griffbereit. «Ich will unsere Tiere schützen, damit auch unsere Kinder noch etwas von diesem Erbe unserer Vorfahren haben», sagt der 31-jährige Daobo. Er hat eine Frau und drei Kinder, der jüngste Sohn ist noch ein Säugling. «Wir riskieren für den Erhalt der Tiere unser Leben», stellt Daobo nüchtern fest. Mindestens tausend Wildhüter wurden in den vergangenen zehn Jahren in Afrika südlich der Sahara im Dienst getötet, doch wahrscheinlich liege die tatsächliche Zahl bei 5000 Toten, heisst es beim internationalen Rangerbund.