Westliche Kämpfer in der Ostukraine: «Zwischen Dummheit und Heldentum»
Fünf junge Männer aus den USA und Österreich kämpfen im Donbass für den radikalnationalistischen Rechten Sektor. Die WOZ hat sie eine Woche lang begleitet.
Wenn die Sonne scheint, bedeutet das nichts Gutes. Nicht in diesem Krieg. Und schon gar nicht, wenn man hier im Schützengraben beim Flughafen Donezk steht. Denn wenn für die UkrainerInnen die Sicht über das Flugfeld gut ist, ist der Fernblick auch für die prorussischen SeparatistInnen auf der anderen Seite prima.
Es ist halb zwei Uhr nachmittags. Die zwei jungen Männer mit den Kampfnamen Ben und Alex stehen in ihrem Unterstand beim Feuer. Nur notdürftig ist die als Überdachung dienende Plastikfolie an den armdicken Bäumchen befestigt. Plötzlich schlägt in unmittelbarer Nähe eine Granate ein. Aus der Richtung eines prorussischen Scharfschützen zischen Kugeln vorbei. Ben und Alex rennen im Graben auf ihre Position, um zurückzufeuern. Alltag an der Front im Donbass.
In der Nacht, wenn nicht geschossen wird, wenn sie nicht ihre Waffe putzen oder auf der Feuerstelle Essen oder Tee kochen, schlafen Ben und Alex gleich neben dem Bunker. Ihre Schlafstätte befindet sich in einem kalten und feuchten Erdloch. Die Unterbringung ist Teil dessen, was die beiden Österreicher und ihre amerikanischen Kameraden mit den Kampfnamen Craig, Charlie und Cowboy suchen: den Krieg an der Front. Sie kämpfen hier auf der ukrainischen Seite gegen die prorussischen SeparatistInnen. Freiwillig. Für Kost und Logis. Die fünf Waffenbrüder aus Europa und den USA nennen sich «Task Force Pluto». Sie haben sich einer Einheit der radikalnationalistischen Gruppierung Prawyj Sektor (Rechter Sektor) angeschlossen – dem einzigen Freiwilligenbataillon in der Ukraine, das noch nicht in die staatlichen Sicherheitsorgane integriert werden konnte. Dank einiger wohlgesinnter Armeekommandeure kommen die Mitglieder der Gruppe dennoch zu Einsätzen an der Front.
Stellungskrieg, kein Geländegewinn
Der Rechte Sektor sieht sich selbst als nationalistisch – und nicht als faschistisch, wie ihn die russische Propaganda oder westliche Medien oft bezeichnen (vgl. «Militant und nationalistisch» im Anschluss an diesen Text). Die Freiwilligen sind in der Armee gern gesehen, denn sie bringen neben hoher Motivation auch Waffen und Munition mit. Auch in der Region um den Flughafen Donezk stellen die Männer des Rechten Sektors mit ihren rund ein Dutzend Kämpfern in diesen Tagen eine willkommene Verstärkung dar – eben erst hat die ukrainische Armee 51 Mann abgezogen. Ohne die Freiwilligen könnten mehrere Positionen nicht durchgehend besetzt werden.
Der Krieg in der Ukraine ruhte seit Unterzeichnung des Abkommens Minsk II am 12. Februar 2015 nie wirklich, immer wieder wurde und wird der vereinbarte Waffenstillstand gebrochen. In den ersten Monaten des Jahres 2016 haben die Kampfhandlungen wieder zugenommen. Einer der Hauptschauplätze des Kriegs ist dabei nach wie vor die Umgebung des Flughafens Donezk. Zwei grössere Schlachten waren noch vor dem Waffenstillstand um diesen strategisch wichtigen Ort gefochten worden. Zunächst konnten ukrainische Luftlandeeinheiten den Flughafen von den prorussischen Milizen befreien. Diese eroberten jedoch in monatelangen Gefechten das Gelände Stück um Stück zurück, bis sich am 22. Januar 2015 die ukrainische Armee in Positionen ausserhalb des Areals zurückzog. Von den Terminals stehen nur noch zerschossene Gerippe. Jetzt bekämpfen sich die Kriegsparteien am Flughafen seit vielen Monaten aus festgefahrenen Linien. Ein Stellungskrieg ohne Geländegewinn.
Weitgereist in Sachen Krieg
Später am Nachmittag machen sich Ben und Alex auf, um unweit des Unterstands ein PK-Maschinengewehr mit Trommelmagazin aufzubauen. Sie stapfen durch knöcheltiefen Schlamm. «Alle reden von Hackerangriffen, und wir sitzen hier wie im Ersten Weltkrieg in einem Schützengraben», sagt Alex. Die Schützengräben beim Flughafen Donezk stammen tatsächlich noch aus dem Zweiten Weltkrieg. Die UkrainerInnen verzichten derzeit auf den Einsatz von Artillerie. Für Ben ist deshalb klar: «Wenn die Russen kommen, können wir nur noch davonrennen.» Er ist sich über die Stärkeverhältnisse in diesem Krieg vollkommen im Klaren.
Doch wie die anderen ausländischen Kämpfer identifiziert sich Ben mit dem Ziel der ukrainischen Armee, das Vorgehen von Russlands Präsident Wladimir Putin im Osten der Ukraine zu stoppen. Und er teilt die radikalnationalistische Ideologie des Rechten Sektors. «Wenn die Leute ihren Nationalstolz und ihre Traditionen verlieren, dann verlieren sie auch ihr Gesicht», sagt Ben. Vertritt er damit nicht eine Naziideologie? Nein, er bedaure vielmehr, dass in Österreich alles vor die Hunde gehe.
Auch Alex denkt ähnlich. Ja, er sei nationalistisch gesinnt, gibt er zu. Er ärgert sich über einige UkrainerInnen, die beim Rechten Sektor mittun. «Das grösste Problem ist, dass die meisten hier Möchtegernnationalisten sind und meinen, sie seien grosse Kämpfer.» Alex glaubt, ein Land ohne Nationalismus verliere seine Tradition und Kultur. «In Österreich ist das schon länger der Fall», sagt der junge Mann.
Seitdem vor einigen Wochen sein Kommandant bei einer Handgranatenexplosion umgekommen ist, hat Ben an der Front das Sagen. Der Sohn österreichisch-tunesischer Eltern ist noch keine 25 – und dennoch ein Weitgereister in Sachen Militär und Krieg.
Ben stammt aus einem gutbürgerlichen Haus in Vorarlberg. Er brach die Höhere Technische Lehranstalt ab und ging stattdessen zur Armee. «Ich wollte schon immer Soldat werden. Wenn ich so zurückdenke, war ich jedes Jahr an Fasnacht in Camouflage.» Beim Bundesheer liess er sich zum Gebirgsjäger ausbilden. Sein erster Auslandseinsatz im Kosovo 2012 war für ihn eine Enttäuschung: «Nur auf Patrouille, keine Kameradschaft.» Dann Ausbildung im Sicherheitsgewerbe. Bewachung eines Schiffs vor Somalia. Gescheiterte Aufnahme in der Fremdenlegion. Zurück zum österreichischen Bundesheer. 2014 in die Ukraine. Als er nicht zum Kämpfen kam, schloss er sich in Syrien der KurdInnenmiliz YPG an, danach den Peschmerga im Irak im Kampf gegen den «Islamischen Staat». Schliesslich landete er wieder in der Ukraine.
Der Krieg ist für Ben längst zum Lebensinhalt geworden. Das Töten im Kampf gehört dazu: «Für mich ist es ganz normal, da ich mich lange geistig darauf vorbereitet habe und Ideale habe, für die ich einstehe.»
Er töte Leute, die gegen Bezahlung in ein fremdes Land eindringen und dort Leben und Zukunft zerstören würden, glaubt Ben. Und er erklärt bestimmt: «Stellen wir uns vor, jemand würde in unserer Heimat so vorgehen, wie die Russen es in der Ostukraine tun.» Mit seiner österreichischen Heimat hat er abgeschlossen. «Ich habe zum Leben zu Hause und den Menschen dort keine Verbindung mehr, da ich es nicht aushalte, was bei uns abgeht. Alles dreht sich nur noch ums Geld, überall ist man damit konfrontiert. Traditionen, Prinzipien, Familie, Freundschaft, Politik – alles nicht wichtig, es geht nur um Besitz. Die Leute haben ihre Ideale und sich selbst verloren.»
Wie bei «Full Metal Jacket»
Inzwischen hat es sich Charlie bei der etwas zurückversetzten Position bequem gemacht, neben der die Granate einschlug. Er putzt mit Stofffetzen, Benzin und Zahnbürste seine Waffe. Das Feuer brennt vor sich hin. Charlie sass vor ein paar Monaten noch in einem kalifornischen Büro. In seiner damaligen Tätigkeit sah er irgendwann keinen Sinn mehr.
Seine Familie sei für ihn nur eine Gruppe von Leuten, mit denen ihn nichts verbinde, erklärt er. «Ich habe drei Halbbrüder. Das Zuhause ist kein Daheim.» Krieg und Gewalt – das ergibt für Charlie Sinn. «Es gibt zwei Seiten, auch beim Krieg», holt er aus. «Man stelle sich vor, wenn niemand Hitler gestoppt hätte … manchmal braucht es eben Gewalt.» Auf seinem Helm steht «Born to kill», das Friedenszeichen ist aufgemalt – wie in Stanley Kubricks Kriegsfilm «Full Metal Jacket» aus den achtziger Jahren.
Die fünf jungen Männer haben unterschiedliche Lebensläufe. Doch ihre diffusen Ideen von Nationalismus und der sehnliche Wunsch, im Krieg zu kämpfen, haben die Waffenbrüder in der Ostukraine zusammengebracht. Alex etwa ist von der österreichischen Armee desertiert – er wollte das Gelernte endlich anwenden. «Adrenalin ist die beste Droge», sagt wiederum Cowboy. Er verbaute sich kurz vor der Verlegung seiner US-Armeeeinheit nach Afghanistan mit kleinen Betrügereien eine Zukunft im Militär und türmte aus der Halbgefangenschaft ins Ausland.
Etwas anders war es bei Craig: Nach fünfeinhalb Jahren mit der US-Army im Irak und in Afghanistan fand er sich in der Heimat nicht mehr zurecht. Versehrt von einer posttraumatischen Belastungsstörung und angetrieben durch Eifersucht – seine Frau hatte ihn mit einem Kameraden betrogen – fuhr er 28 Stunden mit dem Auto quer durchs Land, um seine Frau umzubringen – was er schliesslich aber nicht tat. Nachdem er jedoch in einem Wohnquartier mit der Waffe herumgefuchtelt hatte, nahm ihn eine Spezialeinheit der Polizei fest – er ergab sich widerstandslos. Die US-Army holte ihn später wieder aus dem Gefängnis, seine Kinder durfte er nach seiner Entlassung jedoch nicht mehr sehen. Auch Craig setzte sich wie sein Landsmann Cowboy ins Ausland ab. «Ich lebe meinen Traum hier», sagt er. Und: «Der Krieg ist eine Gratwanderung zwischen Dummheit und Heldentum.»
Das Leben von Ben, Alex, Craig, Charlie und Cowboy spielt sich in einer seltsamen Welt ab. Jeder hat seine ganz persönliche Motivation – auf dem Schlachtfeld rund um den Donezker Flughafen treffen sie aufeinander, werden zu einer Einheit auf Zeit. Sie wollen den UkrainerInnen «helfen» beim Kampf gegen den «Iwan», wie der Österreicher Ben die RussInnen nennt.
Sie, die Ausländer, dienen hier in der Ukraine im Krieg der anderen. Und wenn dieser beendet ist oder sie nicht mehr zur Front dürfen, wollen sie weiterziehen. In einen neuen Krieg. Vielleicht nach Syrien gegen den «Islamischen Staat». Vielleicht in den Jemen gegen die Saudis. Oder in den Südsudan. Wenn der Einsatz in der Ostukraine vorbei ist, wollen sich die Kämpfer der Task Force Pluto jedenfalls «einen eigenen Konflikt suchen». Vielleicht fechten diese jungen Männer ohne Heimat aber auch einen Krieg mit sich selbst aus: «Ich habe keine Wurzeln, bin ein schwarzes Schaf – ich würde zu Hause vor die Hunde gehen», sagt Ben. Seine Worte klingen ambivalent. Denn schliesslich erklärt er versöhnlich, er denke, er komme irgendwann wieder auf den «normalen Weg» zurück, könne wieder ein ziviles Leben führen.
Der Rechte Sektor : Militant und nationalistisch
Im Gegensatz zu anderen rechtsnationalen politischen Gruppierungen in der Ukraine ist die paramilitärische Organisation Rechter Sektor (Prawyj Sektor) erst im Zuge der Proteste auf dem Kiewer Maidanplatz gegen Ende 2013 entstanden. Im Lauf der Zeit gewann die Gruppe immer mehr Einfluss auf die heterogene Protestbewegung, bezeichnete sich selbst als «Selbstverteidigungskräfte des Maidans». Im März 2014 kämpften militante VertreterInnen des Rechten Sektors auch mit Waffengewalt gegen die Spezialeinheiten des Regimes von Expräsident Wiktor Janukowitsch.
Als der Krieg im Donbass im April 2014 ausbrach, strömten die Bewaffneten ostwärts. Zu jener Zeit bildeten sich auch andere Bataillone – Asow, Donbass und Aidar sind die bekanntesten unter den Freiwilligeneinheiten. Weil die OligarchInnen in der Ukraine immer noch einen grossen Einfluss auf die Politik haben und die Korruption weiterhin grassiert, hält der Rechte Sektor die Maidanrevolution auch heute noch für «unvollendet».
«Der Rechte Sektor ist stärker als ‹normale› rechtsextreme Parteien ein Sammelbecken für verschiedene, hauptsächlich junge Männer und einige Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen innen- und aussenpolitische Kompromisse ablehnen», sagt Andreas Umland vom Kiewer Institut für Euro-Atlantische Kooperation. Unter den Mitgliedern seien zweifelsohne «homophobe Rassisten, radikale Ethnozentristen und bekennende Neonazis».
Jedoch scheine zumindest ein Teil der WählerInnen und Mitglieder des Rechten Sektors aus Personen zu bestehen, die man als «militante Patrioten» charakterisieren könnte. «Sie haben nicht notwendigerweise ein rechtsextremes Weltbild», so der Politologe.
Nach eigenen Angaben hat die politische Gruppierung etwa 10 000 Mitglieder. Der militante Arm des Rechten Sektors umfasst derzeit mehrere Hundert KämpferInnen.
André Widmer