Zur Schlammschlacht gegen Geri Müller: Die Medien als Mob
Der Fall Geri Müller wird zum Fall Patrik Müller. Oder zu einem Lehrstück über die Suche nach geilen Storys.
Als am Dienstagabend der «Club» des Schweizer Fernsehens zu Ende war, verschwand Geri Müller aus dem Bild wie ein geschlagener Hund. Er hatte sich ausführlich zu Fragen geäussert, die die Öffentlichkeit nichts angingen. Er war von einen Medienmob dazu gezwungen worden, aufgescheucht durch einen Zeitungsartikel von Patrik Müller, dem Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag».
Patrik Müllers Geschichte krachte nach 24 Stunden zusammen wie ein Kartenhaus. Was bleibt, ist ein Tabubruch, ein Medienskandal, eine Schlammschlacht. Die Affäre handelt nicht von der Integrität eines Politikers, sondern von der vierten Gewalt, die sich in Prüderie übt und gleichzeitig dem billigsten Boulevard huldigt.
Die «Schweiz am Sonntag» hatte berichtet, der grüne Nationalrat und Badener Stadtammann Geri Müller habe einer Frau Nacktfotos aus dem Stadthaus geschickt. Das geschah in einer zu diesem Zeitpunkt «rein virtuellen Beziehung», wie Geri Müller später den Medien erklärte. Kein Fall von Stalking, sondern von Sexting. Offenbar einvernehmlich, ohne Belästigung, ohne strafrechtliche Relevanz.
So weit, so harmlos.
Mindestens zwei weiteren Medien war die Geschichte schon früher angeboten worden, dem «Blick» (seit Mitte Juli) und der «Weltwoche». Bemerkenswert: Beide verzichteten auf eine Publikation – oder hatten die Faktenlage noch nicht eindeutig klären können.
Patrik Müller, Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag», aber veröffentlichte die Geschichte, obwohl der Beschuldigte Geri Müller laut eigener Darstellung nicht hatte Stellung nehmen können. Mehr noch: Im «Club» warf Geri Müller Patrik Müller vor, eine Abmachung gebrochen zu haben. Der Chefredaktor habe am Freitag versprochen, die Geschichte nicht zu bringen. Es sei «zu wenig dran». «Ich ging davon aus, dass das Versprechen gilt», sagte Geri Müller. Der Artikel erschien dennoch. Der Aufhänger: ein Polizeieinsatz in der Badener Altstadt. Das Pikante: der Sexchat mit den Nacktfotos. Die Vorwürfe: Amtsmissbrauch und Nötigung. Geri Müller habe der Frau gedroht und ihr die Polizei auf den Hals gehetzt, um ihr das Handy mit dem kompromittierenden Material abzunehmen. Das überzeugt nicht, da die Unterlagen längst den Medien zugespielt worden waren. Der Politiker bestreitet das denn auch, die Polizei stützt seine Version. Und mittlerweile bestätigt auch die Frau, dass sie Geri Müller eine Suiziddrohung per SMS geschickt hatte, weswegen er die Polizei kontaktierte.
Bei einer sauberen Abklärung wäre die Geschichte in sich zusammengebrochen, der Hauptvorwurf, der ein öffentliches Interesse allenfalls legitimierte, entkräftet worden. Doch Patrik Müller liess sich nicht beirren. Nacktbilder eines Politikers – eine geile Story. «Am Ende blieb von all den Vorwürfen nur die Sache mit dem Pimmel», sagte Geri Müller im «Club». Was soll daran von öffentlichem Interesse sein, wie Patrik Müller stur behauptet?
Vieles bleibt unklar, die Faktenlage unübersichtlich, die Motive fragwürdig. Welche Rolle spielt die 33-jährige Frau? War sie bloss «verliebt» und «verzweifelt», wie sie selbst sagt? Wie passt das dazu, dass «Blick» und «Weltwoche» offenbar gezielt mit ausgewähltem und bearbeitetem Material bedient wurden? Diese nicht unerheblichen Fragen bleiben mit Verweis auf den Quellenschutz unbeantwortet. Aber es hätte zur journalistischen Pflicht gehört, sie vor einer Publikation zu klären, gerade angesichts der Stellung und Streitbarkeit Geri Müllers.
Fragen muss sich nach heutigem Kenntnisstand vor allem Chefredaktor Patrik Müller gefallen lassen: Hat er die 33-jährige Frau, ihre Motive und ihre ausgewählten Belege ausreichend geprüft? Hat er einen Beziehungskonflikt für eine Hetzjagd auf einen Politiker benutzt? Und vor allem: Warum hat Patrik Müller Geri Müller nicht mit der fertig recherchierten Geschichte konfrontiert? Stimmt es, dass der Chefredaktor dem Politiker versprochen hat, den Artikel nicht zu publizieren? Hat er ihm damit in einer derart existenzvernichtenden Geschichte das Recht zur Stellungnahme vorenthalten? Dann ist es der Chefredaktor, der nicht mehr tragbar ist.