Theater in Burma: Anonyme Gesichter hinter Sonnenbrillen

Nr. 35 –

Burmas Kunstszene ist im Aufbruch. Ein Gespräch mit Moe Satt, der am diesjährigen Zürcher Theaterspektakel eine Kurzperformance zeigte.

Moe Satt bei seiner «Face and Fingers»-Performance: «Wenn wieder mal ein Künstler in Burma festgenommen wurde, sage ich: Der war eben nicht so ‹smart› wie ich.» Foto: Christian Altorfer

Der erste Interviewtermin platzt. Vergeblich warte ich auf den burmesischen Performer Moe Satt vor der Roten Fabrik. Am Abend zeigt er dort im Rahmen des Zürcher Theaterspektakels seine Kurzperformance «Face and Fingers» und ein Video. Nur mit einem Longyi bekleidet, dem wadenlangen Wickelrock, den im Alltag Burmas noch die meisten Männer tragen, betritt er die Bühne. Mit seinen langen beweglichen Händen formt er vor und mit seinem Gesicht Gesten, in gelassener Konzentration, fremd und gleichzeitig faszinierend für unsere europäischen Augen. Nichts mehr und nichts weniger. In einer Abfolge von 108 Gesten – in Asien steht die Zahl für Unendlichkeit – erzählt er von Schönheit und Schrecken in seiner Stadt Yangon.

Am nächsten Tag treffe ich den dreissigjährigen Performer dann doch noch zum Gespräch. Trotz des spätsommerlich warmen Wetters stecken seine Füsse in punkigen Boots, schlenkern die Rockschösse eines grauen Jacketts um seine schmalen Hüften. Die ebenfalls grauen Jeans sitzen hauteng. Wie ein Strich in der Landschaft wirkt Satt. Doch mit seinem kahl geschorenen Kopf hat er gar nichts von einem rauen Punk; offen und heiter blicken seine Augen. Sohn einer buddhistischen Mutter und eines muslimischen Vaters, bezeichnet er sich selbst als Freigeist. Wenn er sich an eine amüsante Episode erinnert, schüttelt ein Lachen seinen Körper. Zu lachen, denkt man, gibt es in diesem Land, das offiziell Myanmar heisst, nicht viel. Trotz seiner überwältigenden Bodenschätze gilt es als eines der ärmsten Länder Asiens.

Misstrauen gegenüber Intellektuellen

Seit der Wahl von Thein Sein 2011 zum Präsidenten der Union of Myanmar und der Etablierung einer zivilen Regierung gibt sich das nach wie vor von den Generälen gesteuerte Regime zwar moderater. Nach jahrzehntelanger Abschottung, Misswirtschaft und Repression ist das südostasiatische Land daran, sich langsam nach innen und aussen zu öffnen. Kritische BürgerInnen stehen aber immer noch unter Beobachtung, und Festivalprogramme müssen den Zensurbehörden vorgelegt werden. Dazu: «92 Prozent der jungen Menschen bei uns sind arbeitslos», weiss Satt.

Das klingt wenig hoffnungsvoll, und doch ist er, was die Zukunft anbelangt, optimistisch. Satt schlägt sich als Grafikdesigner durchs Leben. Studiert hat er etwas ganz anderes; er hat einen Bachelor in Zoologie. Doch das Ausbildungsniveau sei tief und die Chance auf einen Job in diesem Bereich äusserst klein, erzählt er. Auch sein Vater, ein studierter Physiker, verdient sich den Lebensunterhalt nicht als Akademiker, sondern als Kaufmann. Gegenüber Intellektuellen war die Militärdiktatur seit je misstrauisch.

Raffinierte Strategien

Die leichte Brise von Freiheit, die seit kurzem durch Burma weht, schnuppern auch die KünstlerInnen; längst haben sie, halbwegs im Untergrund, begonnen, neue Aktionen zu lancieren und Netzwerke zu knüpfen. 2008 wird in die Kunstannalen Burmas als historisches Jahr eingehen: Zum ersten Mal bekamen Satt und seine MitstreiterInnen offiziell die Erlaubnis, ein Performancefestival abzuhalten.

Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass die Militärs im Zuge der landesweiten Unruhen 1988 sämtliche Theaterhäuser demoliert hatten – für sie waren es Brandherde der Opposition. «Ich musste einem Funktionär der Zensurbehörde erklären, was eine Performance ist; er hatte keine Ahnung», erinnert sich Satt amüsiert.

Inzwischen hat das Festival Beyond Pressure mit Performances, Installationen und Videoaufführungen schon fünfmal stattgefunden. Immer im Dezember während einer Woche, da das Klima dann auch für WestlerInnen erträglich sei, wie Kulturaktivist Satt erklärt.

Obwohl die ausländischen KünstlerInnen bis jetzt aus anderen südostasiatischen Ländern wie Malaysia, Thailand oder Indonesien kamen, hatten die GründerInnen von Anfang an im Sinn, auch PerformerInnen aus Europa und den USA einzuladen. Mit der diesjährigen Ausgabe von 2013 haben sie dieses Ziel erreicht. Hatte die frühere Generation noch auf der Strasse gegen die Regierung gekämpft, so wenden die jungen KünstlerInnen heute raffiniertere Strategien an. In der Kunst sind Agitprop-Demonstrationen von gestern; angesagt sind subtilere Ausdrucksmittel. Satt sagt es so: «Wir machen Konzeptkunst, unsere Kunst ist weniger emotional und in der Aussage indirekter.» Oder mit einem von Satt erzählten Witz, den die BurmesInnen mit ihrer Affinität zu Comedy- und Satireshows zu schätzen wissen: «Wenn ein Künstler wieder mal festgenommen wurde, sage ich: Der war eben nicht so ‹smart› wie ich.» Wendig und ausgebufft könnte man auch sagen.

Waren ausländische KünstlerInnen am ersten Festival Beyond Pressure bei den Zensurbehörden noch unerwünscht, lud sie Moe Satt ganz einfach in ein Restaurant an eine Party ein; dort konnten sie unbehelligt auftreten. Wurde die erste Ausgabe noch in kleinem Rahmen in einer Galerie privat alimentiert, stehen heute Gelder aus dem holländischen Prince Claus Fund zur Verfügung. Wie Satt schmunzelnd anfügt, war er der erste Antragsteller aus Burma überhaupt.

Ausschliesslich mit dem Körper

Satt ist umgekehrt als Künstler im Westen angekommen. Seine 2008 entwickelte Performance «Face and Fingers» zeigte er bereits in England, Polen und Liechtenstein. Verwendete er für seine ersten Arbeiten noch viele verschiedene Materialien, arbeitet er heute ausschliesslich mit seinem Körper. Vorbild sind ihm da die Engländer Gilbert & George. Genauso stilbildend waren für ihn – und das mag erstaunen – Denken und Arbeiten von Joseph Beuys oder der japanischen Gruppierung Gutai, einer radikalen, regierungskritischen KünstlerInnenbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch die subversive Verspieltheit der Dada-Bewegung gab Satts Kreativität Impulse.

Auf die Frage, wie politisch die eigenen Performances seien, weicht Satt aus. Es sei am Publikum, Bedeutung aus seinen evozierten Bildern zu lesen. Als ich meine Assoziationen während der Aufführung erwähne, anonyme Gesichter hinter Sonnenbrillen und gegen die Schläfen gerichtete Gewehrläufe, nickt Satt zustimmend. Wer sich die Mühe nimmt, seine Festivalwebsite durchzulesen, stösst neben der Absichtserklärung, zeitgenössische Kunst und Diskussionen zu fördern, auch auf die Forderung nach Kunst als sozialer Kraft. Wie stellt sich Freigeist Satt zu dieser Aussage? Glaubt er an die gesellschaftsverändernde Kraft von Kunst? Er lacht nur und weicht ein weiteres Mal aus: «Ich bin da noch nicht zu einem abschliessenden Urteil gekommen.»

www.beyondpressure.org