Visionen: Der sture Herr Stöckli

Nr. 36 –

Die Rede vom Kinosterben muss ein böses Gerücht sein. Schon in der vorletzten Ausgabe (siehe WOZ Nr. 34/14 ) haben wir hier die Geburt eines neuen Zürcher Kinos mit nicht weniger als fünf Sälen vermeldet, es ging dort um das «Houdini» im Kreis 4, diesen schicken Lichtspieltempel der Gentrifizierung. Dabei haben wir ein anderes Haus unterschlagen, das dieser Tage zumindest seine Wiedergeburt als Kino feiert – und zwar als eines von der gutschweizerischen, sogar ausdrücklich kindergerechten Sorte.

Das war ja nicht immer so gewesen im «Stüssihof», wo jahrzehntelang mehr gestöhnt als gestaunt wurde. Dabei war es von seinem Besitzer Edi A. Stöckli erst ab 1981 als reines Sexkino bespielt worden, und der erste Film, den Stöckli damals zeigte, war «Born Erect» – allerdings unter dem weitaus unverfänglicheren deutschen Titel «Leos Leiden». Davor hatte das «Stüssihof» immer wieder sein Gesicht gewechselt. Zur Eröffnung im Oktober 1960 lief «The Five Pennies», ein wohlanständiger Musikfilm mit Danny Kaye und Louis Armstrong. Später dann war das «Stüssihof» vor allem ein Haus für Reprisen. Und um 1980 waren kurz Kunst und Punk angesagt, mit britischen Untergrundfilmen wie Derek Jarmans «Jubilee» und dem «Great Rock ’n’ Roll Swindle» über die Sex Pistols.

Jetzt hat Stöckli sein «Stüssihof» mit zwei Sälen wieder zum Reprisenkino umgebaut – und vor allem auch zu einem kleinen Heimatschutzgebiet für den Schweizer Film, dieses zarte Pflänzchen. Über Mittag laufen Kinderfilme, sonst vor allem einheimische Filme wie jetzt gerade «Recycling Lily», Pierre Monnards knallbunte Romanze über einen Abfallpolizisten.

Man könnte jetzt natürlich auch von einem gewissen Kulturverlust sprechen: Die Pornoschwemme im Internet hat den althergebrachten Sexkinos den Garaus gemacht, dabei ist der gemeine Pornokonsum aus seiner klandestinen Öffentlichkeit ins Private zurückgedrängt worden. Aber besser ist es, stattdessen den grundsympathischen Starrsinn des Unternehmers und Kulturförderers Stöckli zu würdigen, der sich sagte: «Stüssihof ohne Kino geht nicht.»