Elektronikbranche: Vierzehn Stunden am Tag im Stehen arbeiten und Gift einatmen

Nr. 38 –

Ein neues Ethikrating von Fastenopfer und Brot für alle verspricht ein besseres Gewissen beim Smartphone-Kauf. Aber selbst wenn ein Unternehmen relativ gut abschneidet – die Wirklichkeit sieht anders aus.

Smartphones und Tablets gehören inzwischen zu unserem Alltag wie der Morgenkaffee. Sieben von zehn SchweizerInnen besitzen laut einer Umfrage des Vergleichsdienstes Comparis einen digitalen Allrounder. Dieser wird alle zwei, drei Jahre durch ein neueres Modell ersetzt, sei es, weil der Akku schwächelt, der Vertrag ausläuft – oder schlicht weil wieder einmal eine bessere Version auf den Markt gebracht wird. Und doch beschleicht einen dabei ein leichtes Unbehagen. Schliesslich zerstören Smartphones die Umwelt, die Rohstoffe dafür werden in Ländern geschürft, in denen Krieg herrscht, und sie werden unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengebaut.

Entsprechend gross war die Aufmerksamkeit, als die Hilfswerke Fastenopfer und Brot für alle vergangene Woche ein Rating zu den führenden Herstellern publizierten. «Wie viel Blut steckt in unseren Smartphones?», so der sprechende Titel. Das Rating sei als «Orientierungshilfe» gedacht, sagt die Projektverantwortliche Daniela Renaud gegenüber der WOZ: «Viele Konsumenten wollen etwas verändern, wissen aber nicht, wie.»

Katastrophale Arbeitsbedingungen

Grundlage für das Rating waren die Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen sowie die öffentlich zugänglichen Informationen auf deren Websites. Gut abgeschnitten haben dabei Nokia und HP, dicht gefolgt von Apple. Auf den hinteren Rängen finden sich etwa Asus, HTC oder Samsung. Generell schnitten die meisten Unternehmen in Sachen Umweltschutz am besten ab. «Beim Umweltschutz ist es für die Firmen vergleichsweise einfach, etwas zu verbessern», sagt Renaud. Ausserdem sei Umweltschutz im Zeitalter des Klimawandels generell gefragt.

Schlechter stehen die Firmen bei den Arbeitsrechten da. Laut Renaud ist das ein «komplexeres Thema». Davon besonders betroffen sind ArbeiterInnen in China: Jedes zweite Smartphone wird in China zusammengesetzt, insgesamt sind 7,6 Millionen ChinesInnen in der Elektronikbranche beschäftigt. Oft arbeiten die Angestellten vierzehn Stunden am Tag, sind giftigen Chemikalien ausgesetzt und verdienen dafür selten genug, um davon leben zu können.

In der medialen Öffentlichkeit schwimmt das Thema immer dann kurz oben auf, wenn wieder einmal ein Skandal publik wird. Etwa als die britische «Mail on Sunday» 2006 über die ausbeuterischen Zustände beim Apple-Zulieferer Foxconn berichtete. Oder 2010, als sich ein Dutzend Foxconn-Angestellte zu Tode stürzten. Um dem drohenden Imageschaden entgegenzuwirken, stellte Apple Richtlinien für die Zulieferer auf und publiziert nun jährlich einen Bericht über deren Einhaltung sowie seit 2012 auf der Firmenwebsite auch die Namen seiner Lieferanten.

Die Realität hinter der Fassade

«Corporate Social Responsibility» ist das Zauberwort der Imageoffensiven, hinter denen sich die Firmen verstecken, um grüner, sozialer oder nachhaltiger wahrgenommen zu werden. Die Botschaft: «Schaut her, wir setzen uns ein!»

Doch hinter der Hochglanzfassade steht noch immer eine Realität, die den schönen Worten nicht gerecht wird. Eine Untersuchung der Nichtregierungsorganisation China Labor Watch in der Firma Taizhou, die für Apple unter anderem Teile des neuen iPhone 6s herstellte, förderte zahlreiche arbeitsrechtliche Mängel zutage: Zwang zu Überstunden, mangelhafte Schutzausrüstung für den Umgang mit Chemikalien, ungenügende Informationen über Sicherheit – alles Dinge, die sowohl gegen chinesisches Recht wie auch gegen die Richtlinien von Apple verstossen. Und dies, obwohl Apple ein Jahr zuvor beteuerte, sich für Verbesserung einzusetzen.

«Wenn die Unternehmen Kontrollen bei ihren Zulieferern durchführen, sehen sie in der Regel nicht die tatsächlichen Bedingungen in der Fabrik», sagt Pui Kwan Liang, Projektleiterin der Hongkonger NGO Sacom. Die Organisation hat im Vorfeld des Ratings von Fastenopfer und Brot für alle in diversen Fabriken Leute eingeschleust, um ein Bild der realen Zustände zu erhalten. Fazit: Die ArbeiterInnen werden nicht über die Gefahren aufgeklärt, mussten Überstunden leisten – und das die ganze Zeit im Stehen. «Die Konzerne können die Zustände in den Fabriken nicht kontrollieren», sagt sie. «Denn die Fabrikleitung wird im Vorfeld informiert. Steht eine Kontrolle an, werden die Angestellten informiert und den Richtlinien entsprechend ausgerüstet. Den Kontrolleuren geht es nur darum, ihre Liste abhaken zu können.»

«Alle Regeln sind bedeutungslos, wenn man den Zulieferbetrieben nicht genug Mehrerlös gibt, um ihre Arbeiterinnen und Arbeiter angemessen zu bezahlen», sagte ein ehemaliger Apple-Manager 2012 gegenüber der «New York Times». Zwischen 2007 und 2012 konnte Apple seine Gewinnmarge auf über 30 Prozent erhöhen, während jene von Foxconn von 3,7 auf magere 1,5 Prozent schrumpfte. Inzwischen geht die Hälfte des Endverkaufspreises jedes Geräts an Apple. Und nachdem Foxconn aufgrund des grossen öffentlichen Drucks seine Löhne erhöht hatte, verschob Apple die Produktion teilweise zum billiger produzierenden Konkurrenten Pegatron. Zugunsten chinesischer ArbeiterInnen auf einen Teil des Gewinns zu verzichten, ist für Apple offenbar kein Thema.