Schweiz–Südafrika: Forschen nur bis hierher
Geschichtsforschung hat politische Bedeutung. Das zeigt die Aufarbeitung der Beziehungen der Schweiz zum Apartheidregime in Südafrika.
1999 kam die offizielle Schweiz nicht mehr darum herum, sich mit einer unrühmlichen Episode ihrer Geschichte auseinanderzusetzen: der Kollaboration mit dem Apartheidregime Südafrikas. Eine offizielle Untersuchungskommission wollte der Bundesrat nicht einsetzen. Aber er beauftragte den Schweizerischen Nationalfonds, das Forschungsprogramm NFP 42 zur Aussenpolitik um den Aspekt Südafrika zu ergänzen. Daraus gingen 2001 zehn Forschungsprojekte hervor, die innerhalb von drei Jahren zum Abschluss kamen.
Seit den siebziger Jahren hatte die Antiapartheidbewegung in der Schweiz Fragen zum Kriegsmaterial- und Kapitalexport, zum Gold- und Uranhandel sowie zu den Arbeitsbedingungen in Schweizer Firmen aufgeworfen und Studien dazu publiziert.
Als Reaktion auf den Entscheid des Bundesrats, keine politische Bewältigung vorzunehmen und die Aufarbeitung an die Geschichtswissenschaft auszulagern, initiierte der Solifonds 1999 die Recherchiergruppe Schweiz–Südafrika. Sie arbeitete eng mit der Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im südlichen Afrika und der Aktion Finanzplatz Schweiz zusammen. Die Gruppe wollte die NFP-Studien kritisch begleiten und wo nötig ergänzen und korrigieren, um politischen Druck aufzubauen. Bereits im Oktober 2000 erschien die erste Broschüre der Reihe «Apartheid-Connections»: «Direkte Diplomatie als Alibi». Sie durchleuchtete die Aussenpolitik gegenüber der Apartheid. Ihr folgten viele weitere Studien, Artikel und Interventionen.
Wichtige Expertise aus der Peripherie
2004/05 erschienen die ersten NFP-Studien. Besonders die drei Studien zu den Wirtschaftsbeziehungen, zur militärischen und nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit und zu den völkerrechtlichen Aspekten belegten die intensiven Kontakte zwischen den beiden Staaten zwischen 1948 und 1994. Sie blieben aber Einschränkungen unterworfen – an erster Stelle einer Archivsperre zu Dokumenten über Schweizer Firmen, die der Bundesrat entgegen früheren Zusicherungen verhängt hatte. Die meisten der zehn Studien waren in der Fragestellung zu eng angelegt, bezogen etwa die globale Situation der Entkolonialisierung nicht ein. Zudem arbeitete niemand mit südafrikanischen ForscherInnen zusammen.
Parallel zum NFP arbeiteten auch die beiden Landeskirchen ihre eigene Geschichte auf. Und sie gingen mit den Resultaten viel selbstkritischer um, als es die Eidgenossenschaft tat.
Zwei Fragen standen diesbezüglich im Vordergrund: Hatten Schweizer Wirtschaft und Diplomatie zur Stabilisierung und Verlängerung des Apartheidregimes beigetragen? Und umgekehrt: Wie viel hatten die internationalen Sanktionen gegenüber Südafrika zum Ende der Apartheid beigetragen?
Bislang hatten bürgerliche ApologetInnen standhaft behauptet, Schweizer Firmen hätten durch ihre liberale Anstellungspolitik zur allmählichen Lockerung der Apartheid beigetragen. Eine solche Position konnte angesichts neuer Erkenntnisse nicht mehr vertreten werden. Also bestand die zweite Verteidigungslinie darin, dass man die Wirksamkeit der internationalen Sanktionen bestritt und damit implizit die Nichtteilnahme der Schweiz an diesen Sanktionen rechtfertigte.
Firmenarchive weiter geschlossen
Der Basler Historiker Georg Kreis, der die südafrikaspezifischen Projekte des NFP 42 leitete, verneinte im Abschlussbericht kleinmütig, dass die Durchbrechung der Sanktionen durch die Schweiz einen wesentlichen Beitrag zur Stützung des Regimes geleistet habe. Paradoxerweise hatte er aber zugleich Mascha Madörin, die wohl beste Kennerin der komplexen Beziehungen zwischen der Schweiz und Südafrika, mit einer Zusatzexpertise beauftragt. Und diese zeigte, wie wirksam die Sanktionen tatsächlich gewesen waren.
Diesen Juni sind nun die bislang gesperrten öffentlichen Akten zu Schweizer Firmen freigegeben worden. Weiterhin nicht offen zugänglich bleiben die Firmenarchive. Die Freigabe kommt aus mehreren Gründen zu spät. Zum einen ist die institutionelle Aufarbeitung mit ihren besseren finanziellen Möglichkeiten vertan. Wichtiger noch: Hätten vollständigere Recherchen bereits früher durchgeführt werden können, hätte man Klagen um die Entschädigung von Apartheidopfern mit zusätzlichem Material stützen können.
Mittlerweile ist das öffentliche Interesse an solchen lang zurückliegenden Geschichten geschwunden – schliesslich kämpfen die Schweizer Banken zurzeit an anderen Fronten. Doch eine weitere Aufarbeitung bleibt wichtig, gerade angesichts aktueller Fragen der Zusammenarbeit mit autoritären Regimes.
Mascha Madörin: «Helfer der Apartheid oder ‹verlässliche Freunde›. Wie die Schweizer Banken das südafrikanische Apartheid-Regime stützten». Edition 8. Zürich 2008. 144 Seiten. 22 Franken.