Sozialhilfe: Wenn selbst ExpertInnen keine Antworten haben
Im derzeitigen politischen Klima kommen die Rechte von SozialhilfebezügerInnen zunehmend unter die Räder. Seit 2013 hilft eine unabhängige Fachstelle, sich gegen unrechtmässige Kürzungen der Sozialhilfe zu wehren.
Ende August hat die Städteinitiative Sozialpolitik, die die sozialpolitischen Interessen von rund sechzig Städten vertritt, die neusten Zahlen zur Sozialhilfe veröffentlicht. Aufgrund der unterschiedlichen Bezugsquoten fordert sie eine gerechtere Verteilung der Sozialhilfekosten zwischen den einzelnen Städten und Gemeinden.
Politiker und Expertinnen meldeten sich daraufhin zu Wort, identifizierten unterschiedliche Schwachpunkte im System der Sozialhilfe und machten Lösungsvorschläge. Während die einen verbindlichere Richtlinien und ein Rahmengesetz wollen, fordert die SVP in einem Positionspapier einen grösseren Spielraum auf Gemeindeebene, um eine Senkung des monatlichen Grundbedarfs von derzeit knapp 1000 Franken auf 600 Franken zu ermöglichen. Bereits heute wenden Gemeinden unterschiedliche Regelungen im Bereich der Sozialhilfe an. Für die Armutsbetroffenen ist es daher noch schwieriger abzuschätzen, wann eine behördliche Bestimmung den Rahmen des gesetzlich Erlaubten überschreitet und ihre Rechte verletzt sind.
Für rund eine Viertelmillion Menschen in der Schweiz ist die Sozialhilfe das letzte Auffangnetz. Beantragt werden können Sozialhilfeleistungen erst dann, wenn das Ersparte aufgebraucht ist und keine andere Versicherung mehr zahlt. Das heisst: Wenn das Sozialamt Leistungen verweigert oder sich die Abklärungen lange hinziehen, wird die Situation für die Betroffenen schnell mehr als brenzlig. Darum sei es umso wichtiger, dass sich die Menschen gegen Fehlentscheide und Willkür der Behörden wehren können, sagt Andreas Hediger, Geschäftsleiter der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS), gegenüber der WOZ.
Die UFS ist ein gemeinnütziger Verein, der seit Januar 2013 in Zürich die einzige auf Sozialhilferecht spezialisierte Beratungsstelle in der Deutschschweiz betreibt. Finanziert ist die Stelle durch Stiftungen, Gönner- und Mitgliedsbeiträge sowie Privatspenden. Neben der Beratung begleitet die UFS die Armutsbetroffenen auch zu behördlichen Terminen und vermittelt bei den zuständigen Ämter.
Fehlender Rechtsschutz
Dies ist umso notwendiger, als das Beratungsangebot zum Sozialhilferecht beschränkt ist – im Gegensatz etwa zum Asyl- und Ausländerrecht oder zum Sozialversicherungsrecht, auf die mehrere kostenlose Anlaufstellen spezialisiert sind. Im Sozialhilfebereich aber gibt es in der Deutschschweiz neben der UFS nur die Berner Beratungsstelle für Menschen in Not und die Stelle für Sozialbenachteiligte des Evangelischen Hilfswerks (HEKS) im Kanton Aargau, die kostenlose Rechtsvertretungen anbieten und Gerichtsverfahren einleiten. Theoretisch steht den Betroffenen zwar eine unentgeltliche Rechtsvertretung zu, sofern sie sich sonst keine leisten können. Doch in der Praxis wird diese nur bewilligt, wenn ein Fall als besonders schwer erachtet wird. Mit der Begründung, bei sozialhilferechtlichen Verfahren gehe es meist lediglich um die Darlegung von persönlichen Umständen und nicht um besondere rechtliche Schwierigkeiten, wird der Antrag auf einen kostenlosen Rechtsbeistand meistens abgelehnt.
Das Sozialhilferecht ist äusserst komplex und daher für LaiInnen oft nur schwer durchschaubar. Rechte und Pflichten ergeben sich zunächst aus der Bundesverfassung und den kantonalen Sozialhilfegesetzen und -verordnungen. Hinzu kommen die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), die das soziale Existenzminimum definieren. Verbindlich aber werden diese erst durch die jeweiligen kantonalen Gesetzgebungen.
Warum aber Rechtsschutzversicherungen die Kosten in sozialhilferechtlichen Verfahren nicht übernehmen, ist selbst für ExpertInnen nicht nachvollziehbar. Gerade in einem derart sensiblen Bereich wie der Sozialhilfe wäre ein ausgeprägter Rechtsschutz unabdingbar. Verweigern die Behörden die Auszahlung von Unterstützungsleistungen oder stellen diese gar ein, befinden sich die Betroffenen innert kurzem in einer existenzbedrohlichen Notsituation. Die schweizweit einzige Rechtsschutzversicherung, die auch für die Gerichtskosten bei Streitigkeiten mit den Sozialämtern aufkommt, ist die Assistance des «Beobachters».
Sich wehren lohnt sich
Die UFS kritisiert den fehlenden Rechtsschutz im Bereich der Sozialhilfe – und versucht, die bestehende Lücke zu schliessen. Andreas Hediger betont jedoch auch, dass die UFS oft nicht bis vor Gericht ziehen müsse, um einen Konflikt mit den Behörden zu lösen. In vielen Fällen reiche es aus, SozialhilfebezügerInnen oder Sozialarbeitende auf die bestehenden rechtlichen Grundlagen hinzuweisen, damit sie mit guten Argumenten fordern können, die Kürzung oder gar Einstellung der Sozialhilfe rückgängig zu machen.
Die Statistik des ersten Halbjahrs 2014 zeigt: Bei den 498 Personen, die die Fachstelle in dieser Zeit aufgesucht haben, konnte der Grossteil der Probleme durch Beratung und Vermittlung gelöst werden. In achtzehn Fällen übernahm die UFS die kostenlose Mandatsführung und vertrat die Betroffenen vor Gericht. Über achtzig Prozent der abgeschlossenen Gerichtsfälle endeten für die Betroffenen positiv.