Fussball und andere Randsportarten: Der Fluss der Gewalt

Nr. 49 –

Pedro Lenz über die Ohnmacht der Poesie

Río Manzanares heisst der Fluss, der durch Madrid fliesst und im Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 als Schützengraben und Kriegsschauplatz besungen wurde. Der andalusische Dichter Miguel Hernández etwa schrieb in seinem Gedicht «Fuerza del Manzanares» die folgenden Verse: «Camino de ser mar va el Manzanares: / rojo y cálido avanza / a regar, además del Tajo y de los mares, / donde late un obrero de esperanza.» Der Manzanares sei auf dem Weg zum Meer, sagte der Poet, rot und warm gleite er voran, nicht nur, den Tajo und die Ozeane zu bewässern, sondern auch den Ort, wo ein Arbeiterherz voller Hoffnung schlage.

Am vergangenen Sonntagmorgen erhielt das Gedicht von Miguel Hernández eine bittere Aktualität. Am Ufer des Manzanares hatten sich die Fangruppen Riazor Blues aus La Coruña und Frente Atlético aus Madrid zu einer Schlacht getroffen. Es hätte ein Kräftemessen unter Gleichgesinnten werden sollen. Die Ultras der beiden Klubs Deportivo de La Coruña und Atlético Madrid wollten sich vor dem Meisterschaftsspiel ihrer Klubs in der spanischen Hauptstadt freundschaftlich verprügeln. Sie hatten abgemacht, ohne Messer zu kämpfen. Aber dann hielten sie sich nicht an die eigenen Abmachungen, und der Rudelkampf artete aus.

Der 43-jährige Francisco Romero Taboada, genannt Jimmy, wurde mit einem Messer angegriffen, erhielt offenbar mehrere Stockschläge auf den Kopf und fiel schliesslich schwer verletzt in den Manzanares, wo er sich nur mit Mühe über Wasser halten konnte, bis Feuerwehrtaucher und Polizisten ihn aus dem Wasser bergen und ins Krankenhaus führen konnten. Offenbar konnte ihm dort nicht mehr geholfen werden. Noch am frühen Nachmittag hörte das Herz des Fans aus Galicien auf zu schlagen.

Das Fussballspiel wurde planmässig durchgeführt. Die Präsidenten, Trainer und Spieler der Vereine sagten einmütig, sie verurteilten jede Gewalt rund um den Fussball, und sprachen Jimmys Angehörigen ihr Beileid aus. Von einer Spielverschiebung wurde abgesehen, um nicht noch weitere Gewaltakte zu provozieren, wie der Sprecher des spanischen Fussballverbands bekannt gab. Am gleichen Wochenende, an dem der fürchterliche Todesfall vermeldet wurde, zündeten Fans in Schweizer Fussballstadien farbige Rauchpetarden. «Sie foutieren sich um unsere Gesetze. Sie machen ein Fussballstadion zum rechtsfreien Raum. (…) Unsere Hardcore-‹Fans› sind zu einer Landplage verkommen», kommentierte der Boulevard umgehend und verlangte sofortige und strenge Massnahmen gegen die «Täter».

In Leserkommentaren wurden die Rauchpetarden in Schweizer Stadien bald schon mit dem Todesfall in Spanien in Verbindung gebracht. Dringende Forderungen nach lebenslangen Stadionverboten und Zuchthausstrafen liessen nicht lange auf sich warten.

Ich selbst war am Wochenende an zwei Meisterschaftsspielen der Super League. Dabei habe ich weder Ausschreitungen noch gesundheitsbedrohliche Szenen miterlebt. Aber der Tod Jimmys in Spanien und der sogenannte Pyro-Irrsinn stehen nun für manche Kommentatoren in einer Linie.

Dabei wird vergessen, dass sich die Tragödie von Madrid ausserhalb des Stadions zutrug und dass an der Schlacht am Ufer des Manzanares nur Mitglieder der genannten Fangruppen beteiligt waren.

Gewalt ist grausam. Aber pyrotechnische Choreografien mit Gewalt gleichzusetzen, ist unfair und unklug. Wenn wir jetzt noch mehr Stadionverbote aussprechen und noch mehr Stadionkameras einrichten, wird damit vielleicht die eine oder andere Rauchfackel verhindert. Um jedoch der Gewalt zu begegnen, werden keine Gesetze der Welt ausreichen. Was sollen die Hooligandatenbank und die unzähligen Videoüberwachungen ausrichten, wenn nicht einmal die Poesie es geschafft hat, die Welt zu einem friedlicheren Ort zu machen?

Pedro Lenz (49) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Er zündet keine Fackeln, dreht aber auch nicht gleich durch, wenn andere es tun.

Die gesammelten Kolumnen «Fussball und andere Randsportarten» von Pedro Lenz und Etrit Hasler sind im WOZ-Shop auch als Buch erhältlich.