Gewalt im Fussball: Tagebuch der Ratlosigkeit

Nr. 4 –

Mit Alkoholverboten und einem falschen Hooliganbegriff ist der Fansubkultur nicht beizukommen.


Er war mit Spannung erwartet worden, nun zucken die Fans mit den Achseln: Der siebte «Runde Tisch gegen Gewalt im und um den Sport» brachte keine Ausdehnung des ultrarepressiven Kurses, den die Konferenz der kantonalen Justiz- und PolizeidirektorInnen unter Führung von Karin Keller-Sutter im vergangenen Jahr eingeschlagen hatte. Im Gegenteil: Der am letzten Freitag verabschiedete Massnahmenplan liest sich mit wenigen Ausnahmen wie eine weitere Seite im Tagebuch der Ratlosigkeit, das Verbände, Ligen, Bund, Kantone und Städte führen, seit sie der Fangewalt den Kampf angesagt haben. Es habe sich «die Vernunft durchgesetzt», sagt Marc Furrer, der Präsident des Eishockeyverbandes (vgl. Interview).

Als eine der am lautesten diskutierten Massnahmen, die der Runde Tisch «mittelfristig» für Fussballstadien vorsieht, soll an den Spielen nur noch Leicht- statt Normalbier ausgeschenkt werden, an «Hochrisikospielen» (hauptsächlich Partien zwischen den Vereinen YB Bern, FC Zürich, GC Zürich und FC Basel) würde gar nur alkoholfreies gezapft. Diese Art oraler Bevormundung ist vielerorts aber längst bekannt, genau wie die Konsequenz: Bei internationalen Spielen, an denen seit Jahren Alkoholverbot herrscht, türmen sich vor den Eingängen Berge aus zertretenen Bierdosen. Wer trinken will und es im Stadion nicht kann, tut es davor, so, dass es bis Spielschluss reicht. Selbst Sicherheitsinspizienten der Liga greifen, wie vor dem Meisterschaftsfinale FCB–YB im Frühling 2008 beobachtet, zur Dose, wenn drinnen Trockenheit verordnet wird. Den Alkohol bringt nur aus dem Stadion, wer die Trinkenden aussperrt. Das erfordert Eingangskontrollen, die die bisherige Mühsal beim Anstehen um ein Vielfaches übersteigen. Vor allem, weil – einmal mehr – auch der Kampf gegen Pyrotechnik intensiviert werden soll.

Das Pyroverbot als Problem

Die Gleichsetzung von Feuerwerk mit «gewalttätigem Verhalten» im Hooligangesetz (BWIS II) entpuppt sich als unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zu einer Annäherung zwischen Ligen, Vereinen und Fans in den Kurven. Selbst Sicherheitsverantwortliche moderner Stadien wie die in Bern oder Basel halten es für einen grossen Fehler, die Pyrozünder zu Hooligans hochzustilisieren (wie eine im FC-Basel-Forum publizierte Bachelorarbeit der Uni Freiburg zeigt). Nicht nur machen sich VerfechterInnen der Pyrokultur einen Sport daraus, die Petarden und Fackeln trotz immer rigoroserer Kontrollen ins Stadion zu schmuggeln – es wird mehr gezündet denn je. Die öffentliche und mediale Verteufelung als Folge einer kompletten Umdeutung des Stimmungsmittels Pyrotechnik innert zehn Jahren führt auch zu einer unheiligen Allianz aller als Hooligans Verschriener: Steinewerfer, Bierduscher, Fackelträger, Schläger. So heterogen Fanszenen auch sein mögen: Gegen Druck von aussen wehren sie sich kompakt. Gegebenenfalls auch über die Vereinsfarben hinaus, wie die erfolgreichen Aktionen im Sommer 2006 zeigten, als der erste Versuch, einen Fanpass einzuführen, scheiterte.

Zieh dich aus, Fan!

Auch der Plan einer Leibesvisitation bis auf die Unterhose, wie sie Sportminister Ueli Maurer und SFV-Präsident Peter Gilliéron verbreiten, ist nicht neu: Der Autor selbst hatte sich 2001 für die WOZ ausgezogen, um als Servette-Fan getarnt in den Gästeblock des Espenmoos zu gelangen. Der berüchtigte «St. Galler Container» wurde jedoch wieder entfernt, die Massnahme ging selbst der Liga zu weit. Der Text über den Strip schaffte es 2004 immerhin in den Band «Die 100 schönsten Schikanen gegen Fussballfans».

Pius Valier, Kommandant der Stadtpolizei St. Gallen und Oberleiter der nationalen Projektgruppe Sicherheit im Sport, sprach 2009 in der «Sportlounge» des Schweizer Fernsehens von den Fans als «Jugendkultur». Das waren neue Töne, gerade von Polizeiseite. Tatsächlich entsteht eine Vielzahl jener Phänomene, die der Runde Tisch als Probleme bekämpfen will, allein durch die Masse Jugendlicher und junger Erwachsener, die sich jedes Wochenende als Fans eines Vereins gut gelaunt quer durch die Schweiz bewegen. Erst das geballte Auftreten von Auswärtsfahrenden führt dazu, dass PassantInnen an den Bahnhöfen erschrecken, dass die Polizei zur Trennung der Lager aufmarschiert und dass Extrazüge eingesetzt werden, die die Fahrt nicht immer heil überstehen. Dass Fans zu Hunderten Auswärtsspiele besuchen, ist in der Schweiz ein vergleichsweise neues Phänomen. Es ist bezeichnend, dass kaum jemand diesen subkulturellen Trend erforscht, sich aber Runde Tische formieren, die über dessen Zähmung oder Erstickung beraten und PolizeidirektorInnen zur Repressionsschulung durch halb Europa reisen.

Gelassene Ultras

Im Gespräch mit engagierten Fans verschiedener Lager wird deutlich, dass sie sich in einer Position der Stärke wähnen und entsprechend gelassen auf die angekündigten Massnahmen reagieren. Sie werden sich per Fancard kaum als «Jugendkulturelle» registrieren und überwachen lassen – und denken auch nicht daran, künftig vielleicht Busse oder Züge zu chartern, wie das die SBB gerne hätte. Den bürokratischen und finanziellen Aufwand und das Haftungsrisiko als Charterkunde tragen: Das macht ein Fandachverband vielleicht für ein Europacupspiel in Italien, nicht aber alle zwei Wochen für ein Schweizer Meisterschaftsspiel. Dann bieten sich schon die Regelzüge an, die die SBB doch um jeden Preis frei von Fans halten möchte.

Wenn Kantone und Städte, gestützt auf ein Bundesgerichtsurteil, künftig bis zu achtzig Prozent der Kosten eines Polizeieinsatzes auf die Klubs überwälzen  – es sei denn, diese kooperieren, dann gibts Rabatt –, werden die Vereine den Druck auf ihre Basis erhöhen, um die Zielvorgaben zu erfüllen: Stadionverbote werden noch schneller ausgesprochen und noch seltener aufgehoben, Daten noch freizügiger den Behörden weitergegeben. Dies führt, wie die KKJPD am Beispiel Freiburg im Breisgau bestaunte, zur «Trockenlegung des Ultrasumpfs». Oder zu noch mehr Gegendruck.