Porträt: «Helfen, wenn jemand Hilfe braucht»

Nr. 51 –

Shariffa «Cheri» Karim kam vor vierzig Jahren als Flüchtling in die Schweiz. Heute versorgt sie andere mit Essen oder einer Unterkunft. Deswegen wurde sie auch schon von der Polizei verhört.

«Was nützt mir ein voller Tiefkühler, wenn jetzt jemand hungert?», sagt Shariffa Karim.

Fast am Ende des Gesprächs fasst Shariffa Karim ihre solidarische Lebensweise in einem Grundsatz auf Englisch zusammen: «There’s always room for one more» – es hat immer noch Platz für jemanden. Eine Lebenseinstellung, die Karim schon in ihrer Kindheit in Simbabwe vorgelebt bekam. Ihre Mutter lud immer wieder Bedürftige zum Essen mit der Familie ein. Bis heute lebt Karim diesen Grundsatz weiter, hilft, wo immer sie kann. Auch im Treffpunkt Schwarzer Frauen in Zürich, der Mitte der neunziger Jahre gegründet wurde, 2010 aber seinen Raum verlor, war Shariffa Karim stets Ansprechperson für Gestrandete, Flüchtlinge oder Tänzerinnen, die Unterstützung benötigten.

Wenn Shariffa Karim erzählt, purzeln immer neue Geschichten aus der 63-Jährigen. Sie spricht Deutsch mit leichtem Akzent und greift zu englischen Ausdrücken, wenn ihr das deutsche Wort gerade nicht einfällt.

«Die Deutschen kommen»

Shariffa Karim, die alle nur Cheri nennen, wohnt seit mehr als vierzig Jahren in der Schweiz. Sie floh 1972 aus Harare im damaligen Rhodesien vor der Unterdrückung durch die weisse Minderheitsregierung und vor der Apartheid. In der Schweiz hatte Karim Aussicht auf ein dreimonatiges Visum und kannte mehrere Personen – eine davon in Lüterkofen im Kanton Solothurn. Als sie am Zürcher Flughafen ankam und bei der Information nachfragte, liess man sie abblitzen: «Vielleicht ist das in Österreich.»

Also reiste Karim mit dem Bus zu einer anderen Freundin nach Lausanne. Auch die fand sie am ausgemachten Treffpunkt nicht. Schliesslich traf sie an einer Telefonzelle in der Romandie zufällig auf einen alten Bekannten aus Simbabwe, der ihr half, die Familie in Lüterkofen zu erreichen. Als sie dort ankam, versammelten sich gerade zahlreiche Rekruten am Bahnhof für eine Übung im Umland. Karim sah die Soldaten mit ihren Gewehren und bekam es mit der Angst zu tun. Die Deutschen kommen, dachte sie und floh zurück nach Lausanne, den Blick stets zu Boden gerichtet.

Diese Geschichte entlockt Karim ein Lachen, das den ganzen Raum ausfüllt – und ansteckend wirkt. Sie war damals halt «naiv», wie sie sagt. Zwei Wochen später kam sie endlich bei der Freundin in Lüterkofen an. Sie fand Arbeit als Kellnerin, wurde aber ohne ihr Wissen schwarz angestellt. Die Wirtin habe ein Verhältnis mit dem Dorfpolizisten gehabt und sei deswegen nicht belangt worden. Karim selber sollte später nicht nur wegen der fehlenden Arbeitserlaubnis ins Visier der Behörden geraten.

Essen, Trinken und eine Unterkunft

Es folgte die Anerkennung als Flüchtling und eine Wohnung in Bern. Karim arbeitete oft als Kellnerin oder auch als Barkeeperin in Go-go-Bars. Dort erlebte sie, wie die jungen Frauen von BetreiberInnen und Kunden immer wieder ausgenutzt wurden. Karim sah nicht bloss zu. Sie half vielen, die schlecht Deutsch sprachen, im Umgang mit den Behörden und bei Scheidungen oder vermittelte sie ans Frauenhaus weiter.

Im dritten Zimmer ihrer Wohnung, die sie mit ihrem Sohn teilte, beherbergte sie oft Menschen, die Unterschlupf suchten. «Etwas zu essen, etwas zu trinken und eine Übernachtungsmöglichkeit», fasst Karim ihre solidarische Hilfe zusammen. Die Nationalität der Menschen spielt für sie keine Rolle.

Das Kommen und Gehen in Karims Wohnung fiel auch der Berner Polizei auf – «schliesslich waren es die Siebzigerjahre», sagt Karim. Sie wurde auf den Posten bestellt und über politische Umtriebe verhört. Doch Karim verteidigte ihre Haltung, und die Polizei musste sie laufen lassen.

Sie zog nach Zürich und engagierte sich im Treffpunkt Schwarzer Frauen, später fand sie eine Anstellung in der Gassenküche. Immer wieder kochte sie auch ausserhalb der Arbeitszeit und half so. «Was nützt mir ein voller Tiefkühler, wenn jetzt jemand hungert?», sagt Karim und erzählt von einer kranken Musikerin in Südafrika, die früher in der Schweiz gelebt hatte und eine Dialyse benötigte. Karim schrieb E-Mails an befreundete MusikerInnen und Bekannte. Zusammen mit anderen kochte sie für den ganzen Saal des Gemeinschaftszentrums Schwamendingen, und es kamen fast 2000 Franken zusammen, die man nach Südafrika schicken konnte. «Warum sollte man erst Geld schicken, wenn die Person tot ist, wie es Brauch ist, wenn man jetzt helfen kann?», fragt Karim.

Bald wird Cheri Karim pensioniert. Auch dann wird sie kaum ruhen. Kürzlich hat sie einen afghanischen Flüchtling kennengelernt, der seit dreizehn Jahren hier lebt. Karim half ihm im Umgang mit den Behörden. Sie mache solche Dinge von Herzen, sagt Karim und äussert einen dieser Sätze, den viele sagen, doch wenige leben: «Wenn jemand Hilfe braucht, dann musst du helfen: mit einer Idee, einer Information oder etwas zu essen – das ist nichts Besonderes.»

* Wunsch von Gertrud Bernoulli: «Porträtiert 
Shariffa ‹Cheri› Karim 
vom Treffpunkt 
Schwarzer 
Frauen.»