Dokumentarfilm «Broken Land»: Die alltägliche Politik der Abschottung

Nr. 5 –

Texas liegt auch in der Schweiz: Der Dokumentarfilm «Broken Land» zeigt, wie die Grenze den Blick auf die anderen prägt. Nach den Solothurner Filmtagen kommt er jetzt in die Kinos.

Ein Texaner sichtet im Dokumentarfilm «Broken Land» die Überreste einer Flucht.

Eben waren wir noch hier, schon sind wir ganz woanders: Das gehört zum Zauber des Kinos, dieses Mediums der Teleportation. Man kann das sogar an den Solothurner Filmtagen erleben, die als Werkschau des Schweizer Films ja zwangsläufig auf einheimischem Boden verharren, ganz gleichgültig, ob dieser nun kritisch umgepflügt oder bloss folkloristisch betanzt wird.

Teleportation, das heisst: Aus dem grauen Frost am Jurasüdfuss flüchten wir ins Kino, und schon landen wir unversehens unter der gleissenden Sonne von Texas, zum Beispiel. So geschehen im Dokumentarfilm «Broken Land» von Stéphanie Barbey und Luc Peter. Aber das Verrückte daran ist, dass uns die Reise irgendwie doch wieder zurückwirft. Denn je länger wir uns hier in der texanischen Wüste aufhalten, desto mehr wird uns bewusst: Dieser Film ist zwar an der Grenze zu Mexiko angesiedelt, aber in dem, was er zeigt, sehen wir immer auch die Schweiz gespiegelt, also uns selber. Teleportation mit eingebautem Rückkopplungseffekt.

Ein Zaun für gute Nachbarschaft

Frost gibts aber auch im Film: Robert Frost nämlich, den US-Heimatdichter, der dort in jedes Schulzimmer gehört. Von ihm stammt angeblich der Spruch, den zwei ältere Texaner im Film einmal beschwören, als sie an dem massiven, mehrere Meter hohen Grenzzaun zu Mexiko ein Transparent aufhängen, irgendwo im staubigen Nirgendwo der Wüste: «Gute Zäune machen gute Nachbarn» steht darauf, darunter der Name Robert Frost. Gute Nachbarschaft also ist, wenn die anderen drüben bleiben, unter sich. Als Botschaft an die Flüchtlinge, die hier im Schutz der Dunkelheit die Grenze passieren: Ist das noch gütig lächelnder Rassismus oder schon kalter Zynismus? Und welches von beidem wäre schlimmer?

Das sind Fragen, wie sie einen den ganzen Film hindurch verfolgen, und Franz Treichler von den Young Gods liefert dazu einen Soundtrack, der nach elektrifiziertem Wüstenstaub klingt. Stéphanie Barbey und Luc Peter blicken nur von der einen Seite auf diese «Welt zwischen Welten», die sich hier im Grenzgebiet auftut. Sie bleiben in Texas, zeigen fast ausschliesslich den Blick des reichen Nordens auf die Grenze, die von Menschen aus dem Süden unablässig perforiert wird. So entsteht das Porträt einer Obsession mit dem anderen, das durchaus widersprüchliche geistige Profil einer alltäglichen Politik der Abschottung. Kommt uns das bekannt vor?

Der Flüchtling als Phantasma

Zu Beginn sehen wir zwei beflaggte Buggys durch die Dünen rasen, eine kleine Spassrallye unterm Sternenbanner. Dann geht die Kamera auf Spurensuche: eine weisse Socke im Sand, ein liegen gebliebener Rucksack, eine zerbrochene Spielfigur, Fossilien der Flucht. Die Flüchtlinge selbst bleiben in diesem Film ein reines Phantasma: Sie tauchen etwa als gespenstisch verpixelte Phantome auf, die sich auf dem Überwachungsmonitor eines Farmers durch die schwarze Nacht bewegen. Sechzehn Kameras hat der Mann auf seiner kleinen Ranch angebracht: «Das hat nichts mit Paranoia zu tun, es ist einfach ein Lebensstil.» Vermutlich stimmt das sogar: Paranoia hat bekanntlich mit Angst zu tun, und Angst hat dieser Farmer keine. Hat er auch gar nicht nötig, so scharf bewaffnet, wie er ist.

Unliebsame Begegnungen fürchtet er auch nicht, weil es zu Begegnungen mit Flüchtlingen gar nicht kommt. Er sieht sie auf seinen Monitoren, und ja, er riecht sie noch lange, nachdem sie sein Grundstück durchquert haben. Da schämt er sich jetzt zwar ein bisschen, das in die Kamera zu sagen, aber doch, das Fremde habe seinen eigenen Geruch, sagt der Farmer. «Für die riechen wir ja auch: und zwar nach Hamburgern.»

Da ist aber auch der Bauer, der sich über den Grenzschutz genauso ärgert wie über die Flüchtlinge, «weil beide Unruhe bringen». Und da ist die Frau mit indianischen Wurzeln, die mit Hilfsgütern ins Grenzgebiet fährt, um Trinkwasser und Konservendosen in der Wüste zu deponieren: Notrationen für die Unsichtbaren, die hier passieren. Sie selber fühlt sich gefangen an der Grenze, sagt sie: «Man sperrt uns ein in diesem Land unter dem Vorwand, uns zu beschützen.»

Stéphanie Barbey und Luc Peter wollten die realen und imaginären Effekte erforschen, die diese Grenze bei den Leuten erzeugt, die hier wohnen. Was sie dabei gefunden haben, ist eine recht leutselige Form von Fremdenfeindlichkeit, die sich nicht aus Angst speist und die vor allem auch grossen Wert darauf legt, dass man sie gefälligst nicht mit Rassismus verwechselt. «Es ist doch nicht rassistisch, wenn wir unsere Grenze beschützen wollen», sagt einmal ein alter Texaner. Schliesslich wisse er überhaupt nicht, was das für Leute seien, die über die Grenze kommen wollen, also könne er gar kein Rassist sein.

Die Sentenz mit den guten Zäunen übrigens stammt nicht einmal von Robert Frost. Es ist einfach ein altes Sprichwort, das dieser in seinem Gedicht «Mending Wall» verwendet hat. Darin trifft sich ein Mann mit seinem Nachbarn, um gemeinsam die Steinmauer zu flicken, die ihre Grundstücke trennt – und das ganze Gedicht tut in seinen Gedankenschlaufen dann nichts anderes, als den Sinn einer solchen Grenzmauer infrage zu stellen. Frost demontiert also den Kalenderspruch, den die beiden Texaner im Film als hehre Dichterweisheit auf ihrem Transparent entrollen.

Zombies der Pionierzeit

So erzählt «Broken Land» beiläufig auch von einem Nationalismus, der sich von dem kulturhistorischen Erbe, auf das er sich beruft, längst entfremdet hat. «Wir sind bis auf den Mond geflogen», sagt ein selbst ernannter Grenzschützer einmal, «aber wir schaffen es nicht einmal, unsere eigene Grenze zu sichern – das ist doch verrückt!» Da spricht der alte Frontier-Geist, aber er klingt wie ein Zombie aus der Pionierzeit: Die Grenze der Zivilisation, die einst immer weiter nach Westen verschoben wurde, muss auch heute gegen den Einfall der Barbaren gesichert werden (auch wenn die Barbaren damals noch Eingeborene waren). Was der Mann offensichtlich vergessen hat: Die durchlässige Grenze war immer schon ein elementarer Bestandteil der Identität dieser Nation, die einst von Eingewanderten gegründet wurde. Damals, als man diese noch nicht illegal nannte.

Der Grenzwächter kann froh sein, dass die Menschen aus dem Süden noch nicht in Teleportation geschult sind.

Ab 29. Januar 2015 in den Kinos.

Broken Land. Stéphanie Barbey und Luc Peter. Schweiz 2014