Feminismus: «Manche finden meine Sprache zu derb»

Nr. 6 –

Anne Wizorek löste vor zwei Jahren mit dem Twitter-Hashtag #aufschrei gegen Alltagssexismus in den sozialen Medien eine heftige Debatte aus. Nun gastiert die Netzaktivistin in der Schweiz. Die WOZ hat sie vorab in ihrer Heimat Berlin besucht.

WOZ: Frau Wizorek in Ihrem Buch «Weil ein #aufschrei nicht reicht» zitieren Sie die US-amerikanische Musikerin Beyoncé Knowles. Inwiefern vertritt sie feministische Werte?
Anne Wizorek: Sie präsentiert ihre eigene Sexualität. Diese wird Frauen im Musikbusiness, und gerade schwarzen Frauen, oft abgesprochen – sie werden als Wesen ohne eigene sexuelle Bedürfnisse dargestellt. Auf ihrem letzten Album thematisiert sie das auf verschiedenen Ebenen, im Song «Pretty Hurts» etwa geht es darum, dass Schönheit und Perfektion völlig überbewertet sind. Letztes Jahr nutzte sie an den Video Music Awards die Bühne, um ihre feministische Botschaft samt riesigem «feminist»-Leuchtschriftzug zu verbreiten.

Auch Sie kritisieren die gängigen Körperideale und Rollenbilder, die unter anderem durch die «Pinkifizierung» bereits im Kindesalter weitergegeben werden. Ist das noch Sexismus, oder ist es nicht vielmehr die Folge eines kapitalistischen Körperbilds?
Das arbeitet ja ganz eng zusammen. Frauenmagazine zeigen das exemplarisch, wenn sie dir sagen: «Sei, wie du bist!», nur um auf der nächsten Seite die ganzen Cremes und Mittelchen zu präsentieren, die du benutzen sollst, um möglichst perfekt auszusehen und die Norm zu erfüllen.

Sie verwenden gerne Wörter wie «unfickbar» und werden dafür teilweise scharf kritisiert …
Manche finden meine Sprache zu derb, ja. Aber ich will mir nicht vorschreiben lassen, wie ich als Frau über Sexismus zu schreiben habe.

Es scheint eine gesellschaftliche Realität zu sein, dass frau «fickbar» ist oder eben nicht.
Deswegen muss man es auch explizit benennen, da mit verbalen Eiertänzen und akademischem Duktus niemandem geholfen ist. Meine Message soll möglichst allen zugänglich sein.

Frau muss also nicht den ganzen Kanon von den Suffragetten über Simone de Beauvoir bis Judith Butler kennen, um mitreden zu können?
Nein, zumal das nicht die einzigen Quellen sind, um sich über Feminismus zu informieren, wie das Internet zeigt. Klar, manche haben diesen Anspruch, aber um aktiv zu werden, muss man keinen Kanon auswendig können. Letzten Endes geht es ja darum, sich zu engagieren und immer bereit zu sein, weiter dazuzulernen.

Wie steht es denn um die jungen Frauen von heute? Geht die Tendenz wirklich wieder hin zu konservativen Rollenbildern?
Diese Entwicklung wird oft als «Rückzug in den Biedermeier» beschrieben. Der Widerspruch dabei: Den jüngeren Generationen wird nicht zugehört, während man ihnen aber gleichzeitig vorwirft, politisch nicht engagiert zu sein. Diesbezüglich machen die älteren Generationen viele Fehler. Aber ich glaube, dass es solche Clashes in jeder Epoche gibt.

Nur dass die Kluft in unserem Fall noch verstärkt wird durch die rasante technologische Entwicklung der letzten Jahre …
… und durch die neoliberale Ideologie, die bis weit ins Privatleben reicht: Alles konzentriert sich auf die einzelne Person, sodass man dabei den Blick aufs Gesamtgefüge verliert.

Wenn sich Feministinnen grundsätzlich ums ganze Gefüge sorgten, hiesse das ja theoretisch, dass sie alle links sein müssten. Oder zumindest nicht von neoliberaler Gesinnung.
Schön wäre es natürlich, wenn Feminismus immer mit Kapitalismuskritik und Antirassismus einherginge. Gerade das Beispiel Alice Schwarzer zeigt aber, dass dem nicht so ist. Als Linke würde sie sich wohl kaum für ein Kopftuchverbot einsetzen oder Sätze sagen wie «Man muss den Leuten von Pegida schon zuhören».

Ihnen wird attestiert, frischen Wind in die deutsche Feminismusdebatte zu bringen. Würden Sie sagen, dass Sie repräsentativ sind für die heutigen Feministinnen?
Es war nie mein Anspruch, als Stimme für alle zu gelten. Mir ist es aber wichtig, sichtbar zu machen, dass es mehr als nur eine feministische Stimme gibt, da gerade im deutschen Sprachraum der Eindruck entstanden ist, es gäbe nur eine Person und damit nur eine politische Position. Das ist Quatsch, dieses Entweder-oder.

Was unterscheidet den heutigen Feminismus von den früheren Frauenbewegungen?
Sicher die Werkzeuge, die mit dem Internet vielfältiger geworden sind und durch das auch die Vernetzung massiv zugenommen hat. Durch Plattformen wie Facebook, Blogs oder Twitter bin ich buchstäblich nur einen Mausklick von anderen Aktivistinnen auf der ganzen Welt entfernt, und wir können dann gemeinsam Projekte planen.

Das Internet: Ertragen Sie es eigentlich noch? Sie werden ja massiv angefeindet in den Leserkommentaren.
Haha, natürlich! Wie könnte ich auch anders – trotz der negativen Erfahrungen. Deswegen setze ich mich ja auch für eine solidarische, respektvolle Netzkultur ein.

Naiv, wer glaubt, dass sich die Onlinekommentar-Kultur nicht auch im Realen spiegelt?
Absolut. Schliesslich manifestieren sich damit Machtstrukturen im Netz, die es im Offlineleben schon lange gibt.

Was tun wir dagegen?
Den Gegensatz zwischen online und offline endlich aufheben. Oder zumindest anerkennen, dass beides eng verzahnt ist und sich gegenseitig beeinflusst. Solange dieses Grundproblem besteht, wird es immer Leute geben, die beleidigende und aggressive Kommentare als Randerscheinung abtun und sie so verharmlosen.

Ist es nicht ein strukturelles Problem, wenn rassistische oder ehrverletzende Kommentare immer öfter schweigend hingenommen werden?
Die Gefahr ist schleichend, da die Hemmschwelle immer weiter sinkt und sich das offline bemerkbar macht. Das kann einen gesamtgesellschaftlichen Wandel bewirken, wenn man nichts dagegen unternimmt. Dieser ganze Hass wird ja immer als Meinungsfreiheit deklariert, ohne dass wir darüber reden, wessen Meinung eingeschränkt wird, wenn wir diesen Hass zulassen. Abgesehen davon sind viele dieser Hatespeech-Kommentare strafrechtlich relevant. Bekämpfen kann man sie wohl nur durch eine Mischung aus rechtsstaatlichen und aufklärerischen Instrumenten, also auch mit Schulungen von Polizei und anderen Behörden.

Abgesehen von den Kommentaren im Netz: Wie geht es nach #aufschrei weiter? Oder anders gefragt: Wie steht es um die Nachhaltigkeit im Kampf gegen Sexismus?
Der Hashtag war ein Funke, eine Initialzündung. Erloschen ist er nicht, immerhin wurde er zu einer Referenz für Alltagssexismus und ebnete den Weg für andere Hashtags. Die Frage ist, wie Sexismus im Alltag sichtbar gemacht werden kann. Online geschieht das mittels zahlreicher Blogs, Hashtags oder Videos, offline gibt es beispielsweise die Slutwalks, also Schlampenmärsche gegen die Täter-Opfer-Umkehr bei Vergewaltigungen, und ähnliche Aktionen.

Die Missstände aufzuzeigen, ist gut und schön, aber entwickelt sich der Feminismus auch inhaltlich weiter?
Klar, vieles wird intersektionaler, bezieht also mehrere Diskriminierungsformen neben Sexismus mit ein. Wenn wir zum Beispiel die Diskussionen um Sexarbeit betrachten, hat sich diese in den letzten Jahren weiterentwickelt, nimmt nun Klassismus und Rassismus mit ins Bild. Diesbezüglich spüre ich schon einen Generationenunterschied, aber für mich, die im Osten geboren wurde, ist es auch noch mal anders, da ich nicht im Kontext etablierter westlicher Frauenbewegungen aufgewachsen bin.

Wie war das Frauenbild in der DDR?
Es gab relativ fortschrittliche Gleichstellungsgesetze im Gegensatz zum Westen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hatte Priorität in der Familienpolitik, weshalb die Kinderkrippen- und Tagesstätten sehr zahlreich waren. Ausserdem gab es das «Babyjahr», weil ja die meisten Frauen berufstätig waren. Und was die Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen angeht, haben wir nach der Wende definitiv einen Rückschritt gemacht

In Deutschland soll die Dreissig-Prozent-Frauenquote für die Aufsichtsräte grosser Unternehmen bald zur Norm werden. Darf man als Frau der Quote gegenüber skeptisch sein?
Klar, schliesslich ist es ein Armutszeugnis, dass wir die Quote überhaupt brauchen. Niemand will sie. Letzten Endes sage ich immer: Schlimmer kanns nicht mehr werden, deshalb können wir die Quote als Werkzeug aber auch ruhig bemühen.

Es wird zumeist nur über Quoten in Kadern, nicht aber in gewöhnlichen Jobs – wie zum Beispiel handwerklichen Berufen – geredet. Ist das nicht sehr elitär?
Bei der Quote geht es ja um Führungsposten, also Machtpositionen. Das Problem in anderen Feldern ist, dass diese Berufe in der Wahrnehmung noch immer als klare Männer- oder Frauenberufe gelten. Talente und Interessen werden so immer noch in Geschlechterschubladen gepresst, wobei Frauen die schlecht bezahlten Bereiche bekommen. Programmieren zum Beispiel galt früher als Frauenberuf. Die Männer übernahmen erst, als man gesehen hat, dass sich die Informatik als lukrativer Zukunftsmarkt entwickelt, und Frauen wurden regelrecht verdrängt.

Braucht es vielleicht einfach noch etwas Geduld? An den Hochschulen sind die Frauenanteile ja relativ hoch.
Sicher, und gerade in den technischen Bereichen wird ja auch viel Mädchen- und Frauenförderung betrieben. Es geht aber nicht nur um den Nachwuchs, sondern auch darum, dass Frauen die bereits in den sogenannten Mint-Berufen – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – arbeiten, mit einem sexistischen Umfeld konfrontiert sind, da diese Bereiche immer noch von Männern dominiert sind. Manche Frauen passen sich stillschweigend an, andere kritisieren die Verhältnisse und bekommen dabei noch zusätzlich eins auf den Deckel, so oft, bis sie sogar ganz aussteigen.

Männer, die sich gegenseitig die Steigbügel halten, während Frauen gegeneinander im «Zickenkrieg» konkurrieren? Das klingt nach Klischee.
Ich habe das selber schon erlebt und finde es immer wieder traurig, wenn Frauen ihre Mitbewerberinnen sabotieren. Ich weiss aber auch, dass dieses Verhalten angelernt ist, es ist ein Selbsterhaltungstrieb, der den Frauen im Patriarchat suggeriert, dass sie nicht solidarisch miteinander umgehen können, wenn sie bestehen wollen – was letztlich dazu führt, dass alles bleibt, wie es ist. Aus diesem Muster auszubrechen, ist wiederum sehr befreiend. Für mich fing das an, als ich mich näher mit Feminismus auseinandersetzte.

Die Netzaktivistin

Anne Wizorek (33) ist im Osten Berlins geboren und aufgewachsen. Sie ist selbstständige Beraterin für digitale Medien und Mitgründerin des Polit- und Popkulturblogs www.kleinerdrei.org. Mit dem Twitter-Hashtag #aufschrei hat sie im Januar 2013 eine breite Debatte über Alltagssexismus ausgelöst und wurde dafür mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Zehntausende Frauen trugen unter diesem Schlagwort ihre Erfahrungen mit Sexismus und sexueller Gewalt zusammen. Im Oktober 2014 veröffentlichte Wizorek ihr Buch «Weil ein #aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute».

Anne Wizorek liest und diskutiert dieser Tage in Bern, Basel und Zürich. Die genauen Termine finden Sie in der «Politour» (unter «Feminismus»).