Fussball und andere Randsportarten: Mehr Schwalben braucht die Welt

Nr. 6 –

Etrit Hasler wünscht sich mehr Schauspielerei

Wenn ich meinem oberflächlichen Blick in die Boulevardmedien (haha – Anspielung bemerkt?) glauben darf, greift eine unerträgliche Krankheit in der Welt des Sports um sich: die Schwalbe. Also nicht das Tier, sondern der Akt, bei dem AthletInnen so tun, als seien sie Opfer eines Fouls geworden. Sich minutenlang am Boden wälzen, als seien sie gerade mit einem Hochgeschwindigkeitszug kollidiert, obwohl sie in Wirklichkeit höchstens von einer sanften Brise gestreichelt wurden.

Diese generell als unsportlich taxierte Disziplin entstammt bekanntermassen dem Fussball und wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem von der italienischen Nationalmannschaft popularisiert. In den letzten Jahren hat sie jedoch massiv um sich gegriffen, nicht nur in andere Länder, sondern plötzlich auch in andere Sportarten.

So schlug mein liebstes Klatschblatt neulich Alarm, dass diese Unsitte sich nun auch im Eishockey ausbreite. Ein Skandal. Wer im Eishockey gefoult wird, dreht sich traditionellerweise um, schmeisst die Handschuhe weg und geht zu einer unsanften Nasenmassage über, während die SchiedsrichterInnen passiv danebenstehen. Klar gelten in einem solchen Kontext Schwalben als «unehrenhaft» oder, noch etwas archaischer gesagt, als «unmännlich». Was völliger Quatsch ist. Denn die wohl «männlichste» Sportart überhaupt ist ohne Zweifel Wrestling – eine Sportart, die streng genommen ausschliesslich aus Schwalben besteht.

Daher ist es auch völlig unberechtigt, Alarm zu schlagen. FreundInnen des archaisch-männlichen Sports sollten sich vielmehr freuen, dass die Schwalbe endlich auch in anderen Sportarten zum Standardrepertoire gehören könnte. So freut sich doch die ganze Schweiz darüber, wenn Roger Federer nach einer Partie von seinen Gefühlen «übermannt» wird und losheult wie ein Neunjähriger, dem man gerade den Lolli geklaut hat. Warum bis zum Schluss der Partie warten? Man stelle sich vor, wie Roger von einem Djoko-Smash leicht am Ellbogen gestreift wird, sich darauf ins Gesicht greift und sich wie vom Blitz getroffen zu Boden schmeisst? Das würde dem Dramafaktor so eines Tennismatches durchaus gut tun. Gerade Djokovic beherrscht jetzt schon die angetäuschte Verletzung meisterlich, da wäre eine «echte» Schwalbe nur noch eine kleine Steigerung.

Auch andere Sportarten könnten davon durchaus profitieren. Wenn wir ehrlich sind, schaut niemand Skirennen, um zu sehen, wer gewinnt, sondern nur, weil wir darauf warten, dass sich die FahrerInnen möglichst kunstvoll hinlegen. Wieso den Nebeneffekt nicht gleich zur Hauptattraktion aufwerten? Mit einer Jury, welche analog zum Eiskunstlauf Stilnoten verteilt: Ungebremst ins Fangnetz mit doppelter Schraube und angetäuschtem Oberschenkelhalsbruch? 9.4, hätte noch ein bisschen gefährlicher aussehen dürfen.

Auch Radrennen könnten massiv an Unterhaltungswert zulegen – so eine gross inszenierte Massenkarambolage in der Bergetappe sieht sich doch jedeR gern an. Und wenigstens muss man sich dort keine echten Sorgen wegen der Gefahren für die FahrerInnen machen – so aufgedopt, wie die ohnehin schon sind, kann es nur eine kleine Sache sein, ein bisschen Sturzresistenz in den Giftcocktail zu mischen. Es lebe die Wissenschaft!

So absurd, wie die Idee klingt, ist sie nicht. Immerhin hat sich der Fussball seit der Erfindung der Schwalbe zur gewinnbringendsten Sportart der Welt entwickelt – wieso sollten sich andere SportlerInnen von diesem Kuchen nicht etwas abschneiden dürfen? Vielleicht, wenn eines Tages die Schwalbe ganz selbstverständlich zu jedem Sport gehört, müssen sich die FussballerInnen wieder etwas Neues ausdenken, um sich abzuheben. Tore schiessen, zum Beispiel. Ist ja nur so eine Idee. Denn wie sagte schon der grosse Lyriker Olifr M. Guz? «Schluss mit dem Geheul, wenn es nicht mehr wehtut.»

Etrit Hasler ist ein ausserordentlich unbegabter Schauspieler. Deswegen ist er wohl auch nicht Sportler geworden.

Unter dem Titel «Fussball und andere Randsportarten» hat die WOZ die besten Kolumnen von Etrit Hasler und Pedro Lenz als Buch herausgegeben. Es ist unter www.woz.ch/shop/buecher erhältlich.

Die Buchvernissage findet am Mittwoch, 
11. Februar, im Bogen F in Zürich statt. 
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