Ungarn: Geben und Nehmen in Orbans Land

Nr. 8 –

Wie der rechtspopulistische ungarische Ministerpräsident Viktor Orban seine Parteiklientel bedient. Und mit seinem Gebaren inzwischen selbst seine Förderer verärgert.

Unter den vielen Skandalen der rechtspopulistischen ungarischen Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban gehört dieser eher zu den kleineren, aber er ist symptomatisch: Das Nachrichtenportal «Origo» hatte enthüllt, dass Janos Lazar, Orbans Kanzleichef und einer der mächtigsten Männer in der regierenden Fidesz-Partei, nicht richtig erklären konnte, wie die auffällig hohen Kosten seiner Staatsreisen nach Zürich und London zustande gekommen waren. Bevor aber die Öffentlichkeit unangenehme Fragen stellte, beglich er die Rechnungen nachträglich aus eigener Tasche.

Kaum war die peinliche Posse enthüllt, wurde Gergö Saling, der Chefredaktor von «Origo», gefeuert. Inhaberin des Portals ist Magyar Telekom, eine Tochterfirma der Deutschen Telekom. Diese bestreitet zwar jeglichen Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung der Enthüllungsstory auf «Origo» und dem überraschenden Rausschmiss des Chefredaktors, der Betroffene selbst kann wegen einer Verschwiegenheitsklausel in seinem Auflösungsvertrag nichts sagen. Tatsache aber ist, dass der ungarischen Telekom kurz vor dem Vorfall eine lukrative Mobilfunklizenz verlängert wurde. Gesprächspartner des Konzerns aufseiten der ungarischen Regierung war niemand anders als Kanzleichef Lazar, der Mann mit den hohen Rechnungen.

Der Fall «Origo»-Telekom gilt als typisch dafür, wie Orban sein Machtsystem aufrechterhält und ausbaut. «Medienbetreiber und auch andere ungarische und internationale Unternehmen werden schikaniert und erpresst. Das Gleiche gilt für Nichtregierungsorganisationen», kritisiert Balazs Gulyas. Er gehört zu den führenden Köpfen der ausserparlamentarischen Opposition, seit er im Herbst vergangenen Jahres mit an der Spitze einer Massenbewegung stand, die das Kabinett zu einem Verzicht auf eine geplante Internetsteuer zwang.

Es war der erste ernst zu nehmende Rückzieher Orbans seit fünf Jahren. Seither hoffen viele in der Zivilgesellschaft, ein Wendepunkt sei erreicht und das Stimmungstief der Opposition nach dem erneuten Erdrutschsieg der Regierungspartei Fidesz bei der Parlamentswahl vom April 2014 überwunden. «Ziel ist nicht nur, alte Korruptionsaffären zu vertuschen, sondern auch, der Parteiklientel immer neue Vorteile zu verschaffen. Hinter der rechtspopulistischen Rhetorik verbirgt sich das rein finanzielle Interesse einer Oligarchie», kritisiert Balazs Gulyas.

Andere, handfestere Korruptionsskandale einer ganzen Reihe hoher RegierungsfunktionärInnen kommen dazu. So steht etwa Ildiko Vida, die Chefin der ungarischen Steuer- und Zollbehörde, unter dem Verdacht, einen massiven Mehrwertsteuerbetrug zumindest toleriert zu haben. Je mehr derartige Fälle auftauchen, desto mehr nimmt die Popularität der Regierung ab. «Wir müssen begreifen, dass dieses Regime auf Korruption aufbaut», sagt Gulyas. Oppositionsgruppen erhöhen den Druck: «Keine Woche ohne Demos», ist ihre Devise, und sie schaffen es auch so gut wie immer.

Tatsächlich kommen in letzter Zeit immer mehr Details ans Licht, die die Einschätzung der Opposition bestätigen. Ein Skandal, der neulich von ungarischen Journalisten aufgedeckt wurde, wirft neue Fragen auf: Ungarn importiert russisches Gas nicht nur direkt von Gazprom, sondern auch über die schweizerische MET Holding AG. Dem Unternehmen mit Hauptsitz in Zug und Filialen in mehreren osteuropäischen Ländern wird von der ungarischen Regierung seit Jahren ein Monopol über die Nutzung der Pipelines garantiert, die das über Österreich geleitete russische Gas viel günstiger nach Ungarn bringen als die direkten Lieferungen über die Ukraine. Den Preisunterschied kassieren ungarischen Medienberichten zufolge vor allem die Aktionäre der MET AG: Geschäftsleute aus der Entourage von Ministerpräsident Orban.

Orbans Popularitätsverlust und seine klientelistische Wirtschaftspolitik haben in den vergangenen Monaten zu Verwerfungen innerhalb der Fidesz-Partei und zu Spannungen zwischen Regierungsvertretern und manchen parteinahen Oligarchen geführt. So erklärte der schwerreiche Geschäftsmann Lajos Simicska dem Ministerpräsidenten neulich «den medialen Krieg».

Simicska besitzt neben einem Bauunternehmen mit zahlreichen lukrativen staatlichen Aufträgen auch die nationalkonservative Tageszeitung «Magyar Nemzet» und den Fernsehsender Hir TV. Er zählte bis vor kurzem zu den finanziellen Unterstützern der Regierungspartei Fidesz, ist jetzt aber über eine neu eingeführte Werbesteuer empört. Sollte der Oligarch Interna über die Parteifinanzierung ausplaudern, droht Orban weiterer Popularitätsverlust, und das selbst bei seiner rechtskonservativen Wählerschaft.